Herr Wagner, wie steht es um den Versicherungsschutz im Rahmen einer Hilfeleistung
Wagner: Grundsätzlich ist die Tätigkeit als Helfer im Rahmen einer Privatinitiative oder im Rahmen einer Hilfsorganisation mitversichert. Da gibt es keine Einschränkungen. Einzig zu beachten wäre, dass, soweit das Engagement so groß ist, dass man es sogar anlässlich des Ukrainekriegs hauptberuflich macht, ein Berufswechsel beim Unfallversicherer angezeigt werden müsste.
In der privaten Unfallversicherung gelten Kriegsereignisse als Ausschlusskriterium? Wie steht es um den Schutz, wenn ich mich an der Grenze zur Ukraine befinde oder im Land selbst helfe. Also etwa direkt hinter der Grenze, um Verletzte, Kranke oder Kinder nach Polen zu begleiten.
Wagner: Unabhängig von der Tätigkeit der versicherten Person ist bei Aufenthalten in der Nähe der Ukraine oder gar in der Ukraine der Ausschluss von Unfällen durch Kriegsereignisse zu beachten. So besteht kein Versicherungsschutz für Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht wurden. Der Ausschluss ist in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) geregelt.
Was genau sind Sinn und Zweck des Ausschlusses?
Wagner: Unfälle, die in Folge von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen unmittelbar oder mittelbar eintreten würden, hätten ein Ausmaß, welches vom Versicherer nicht mehr getragen werden könnte. Eine zuverlässige Kalkulation des Aufwands für zu erwartende Unfälle wäre nicht möglich. Um die Beiträge seriös kalkulieren zu können, wurde der Ausschluss in die GDV-Muster-Bedingungen aufgenommenEine Ausnahme bildet die so genannte Überraschungsklausel.
Können Sie kurz skizzieren, wann es sich im Sinne des Ausschlusses um Krieg oder Bürgerkrieg handelt?
Wagner: Die Definition ist leider sehr technisch. Krieg ist ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten. Dass die Handlungen von Russland in der Ukraine als Kriegshandlung zu bezeichnen ist, ist im völkerrechtlichen Sinne unumstritten. Diese völkerrechtliche Begriffsbestimmung ist jedoch im Sinne der Klausel keine ausreichende Definition. Vielmehr kommt es auf eine Definition im versicherungsrechtlichen Sinne an. Und deren Grenzen sind weiter zu ziehen.
Krieg im versicherungsrechtlichen Sinne ist jeder tatsächliche kriegsmäßige Gewaltzustand ohne Rücksicht auf die zeitlichen, sachlichen und räumlichen Grenzen des Kriegszustandes im völkerrechtlichen Sinne. Und selbst, wenn der Krieg vorbei ist etwa nach einem Waffenstillstand, Kapitulation oder Friedensbeschluss besteht kein Schutz, wenn sich das Kriegsrisiko verwirklicht. Weil beispielsweise eine liegengebliebene Handgranate, die ja noch explodieren kann, ein solches Kriegsrisiko darstellt. Hinzu kommt noch ein räumlicher Aspekt.
Und welche Konsequenzen hat der?
Wagner: Während des zweiten Golfkriegs feuerte Irak 39 Raketen auf israelisches Territorium, obwohl Israel an diesem Krieg offiziell nicht teilnahm. Diese verursachten laut der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post zwei Todesopfer durch direkte Treffer. Da diese „Unfälle“ durch Kriegs oder Bürgerkriegsereignisse verursacht wurden, hätte hier kein Versicherungsschutz bestanden. Soweit also eine aus der Ukraine irregeleitete Rakete in einem Nachbarland explodiert, sind Unfälle aus diesem Ereignis in der Privaten Unfallversicherung nicht versichert.
Das heißt, meine private Unfallversicherung greift nicht, wenn ich in Polen, also der Europäischen Union durch einen Querschläger verletzt werde, der aus der Ukraine stammt?
Wagner: Leider ist es hier kompliziert. Wir unterscheiden zwischen einem unmittelbaren und einem mittelbaren Kriegsereignis. Zunächst muss klarstellend eine Abgrenzung zwischen einer Tätigkeit und einem Ereignis (Unfallereignis) getroffen werden. Flüchtlingen zu helfen ist eine Tätigkeit und somit grundsätzlich nicht als unmittelbares oder mittelbares Ereignis anzusehen. Wie bereits erwähnt, ist diese Tätigkeit vom Unfallversicherungsschutz umfasst.
Demgegenüber steht das unfallursächliche Ereignis. Jedes Ereignis, das in einem Zusammenhang mit dem Krieg steht, für Krieg typisch ist und ohne Krieg nicht eingetreten wäre, ist ein Kriegsereignis. Ereignisse, die auch zu Friedenszeiten eintreten können und die nur zufällig während eines Krieges eingetreten sind, sind keine Kriegsereignisse. Das heißt, die Explosion der irregeleiteten Rakete, ist demnach eindeutig ein Kriegsereignis. Wie gesagt, eine Abgrenzung eines kriegsunabhängigen Ereignisses von einem mittelbaren Kriegsereignis ist nicht in wenigen Worten zusammenzufassen.
Hier kommt es auf den Einzelfall an. Eine bloße räumliche Nähe reicht jedoch nicht aus. Ein Zusammenhang mit dem Krieg muss gegeben sein. Eine Person, die etwa in Polen an der Grenze bei Hilfetätigkeiten über einen Randstein stolpert und stürzt, hat Versicherungsschutz.
Lassen Sie uns bitte noch einmal auf die Überraschungsklausel zurückkommen. Was genau bedeutet Sie?
Wagner: Für Touristen, Geschäftsleuten, Journalisten und andere beruflich oder außerberuflich Reisend bleibt der Versicherungsschutz bei überraschenden Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen bestehen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, den Staat zu verlassen, bevor der Versicherungsschutz für das passive Kriegsrisiko endet. Der Versicherungsschutz besteht also, wenn die versicherte Person auf Reisen im Ausland überraschend von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen betroffen wird.
Diesen versicherten Personen wird mit der Überraschungsklausel die Gelegenheit gegeben, den Staat zu verlassen, bevor der Versicherungsschutz für das passive Kriegsrisiko entfällt. Die Überraschungsklausel gilt aber nicht für Reisen in oder durch Staaten, in denen bereits Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Ebenso gilt diese Klausel nicht bei aktiver Teilnahme am Krieg oder Bürgerkrieg. Dieser Punkt ist theoretisch relevant, falls sich der Krieg etwa auf Polen ausweiten würde. Als Haftpflichtkasse haben wir hier nachgebessert.
Inwiefern?
Wagner: Die „Überraschungsklausel“ der AUB fordert eine Ausreise der versicherten Person aus dem Land, in dem Krieg oder Bürgerkrieg ausbricht, binnen sieben Tagen. Diese Frist kann nicht durch etwa erschwerte Verkehrssituationen „entschuldigt“ werden und ist somit im Einzelfall sehr eng bemessen. In allen Produktlinien der Unfallversicherung Einfach ist die Frist daher deutlich verlängert. Bei unseren Tarifen Einfach Gut und Einfach Besser erlischt der Versicherungsschutz erst mit dem 21. Tag nach Kriegsausbruch oder dem Beginn der Feindseligkeiten. Mitversichert sind Unfälle durch Terroranschläge in ursächlichem Zusammenhang mit einem Krieg oder Bürgerkrieg, die außerhalb der Territorien der Krieg führenden Parteien ausgeführt werden.
Bei Einfach Komplett besteht der Versicherungsschutz so lange die versicherte Person Bemühungen anstellt, das Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet zu verlassen mindestens 28 Tage nach Kriegsausbruch oder dem Beginn der Feindseligkeiten. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass für Flüchtlingshelfer auch in Grenznähe zur Ukraine Versicherungsschutz besteht. Die Situation in dieser Region Europas ist aktuell jedoch schwer vorhersehbar. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass – wenn sich die allgemeine Sicherheits- oder Kriegssituation in den angrenzenden Ländern zur Ukraine verschlechtert, Unfallversicherungsschutz gefährdet ist.
Dies wäre der Fall, wenn in diesen Ländern Ereignisse zu einem Unfall geführt haben, die mit dem Ukrainekrieg ursächlich zusammenhängen. Bei der Haftpflichtkasse erhalten Sie auch in Bezug auf Unfälle während Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen oder auch Terroranschlägen einen sehr guten Versicherungsschutz.