Wenn man Jörg Kintzel fragt, wie er die Arbeit der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP nach zwei Jahren beurteilt, stellt er eine Gegenfrage – die zunächst einmal nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun zu haben scheint. „Erinnern Sie sich noch an das Fußballmärchen in Brasilien?“, fragt der Vorstand des Finanzvertriebs Valuniq. „Damals, als Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister wurde, zerlegte unsere Mannschaft im Halbfinale die Brasilianer mit 7:1. Heute, neun Jahre später, können wir uns dank unserer Regierung sehr gut in die Brasilianer hineinfühlen: Unsere Ampel liegt bereits mit einigen Toren zurück. Und die jüngsten Landtagswahlen zeigen deutlich, dass es Zeit für Spielerwechsel und besseres Passspiel ist. Schon lange ist kein Ball aus der Politik mehr bei den Menschen angekommen. Ganz im Gegenteil: Der Mannschaftskapitän weist beängstigende Gedächtnislücken auf und – um in der Metapher zu bleiben – die grünen und gelben Flügelspieler rennen völlig planlos umher.“
Damit endet Kintzels Fußball-Metapher, aber nicht seine Kritik, denn er nimmt sich die Parteien auch einzeln vor: „Nach der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke braucht es eine neue Aufgabe für die Grünen. Das Klima retten sie offensichtlich nicht – das geht nur mit einer starken Wirtschaft und CO2-neutralem Strom. Eine echte Klimaschutzpartei würde ich sogar wählen. Die Grünen zeigen jedoch deutlich, dass es viel mehr um die Ideologisierung der politischen Landschaft und die Belastung der Wirtschaft geht. Die FDP hingegen, die genau für diese starke Wirtschaft stehen sollte, schreit lieber laut in der Koalition herum und zerstört notwendige Allianzen für die Wirtschaft.“ Und die Opposition? Die Union sei viel zu sehr mit den Egotrips ihrer Vorsitzenden Friedrich Merz beschäftigt, statt gute Politik zu machen, meint Kintzel. „Und da wären wir schon bei einem Grundproblem der deutschen Politik: In den Parteien gibt es keine Führungspersönlichkeiten. Denn wer aneckt, kommt nicht weit. Lieber führen wir schlechte Verhandlungen zur europäischen Zinspolitik, treiben mit fehlgeleiteter Energiepolitik die Preise und lassen uns von Klimaklebern auf der Nase herumtanzen. Dabei gäbe es so viele Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.“ Sein düsteres Fazit: „In Frankreich gehen die Menschen auf die Straße, in Deutschland wählen sie AfD. Und all das wird der deutsche Mittelstand ausbaden müssen.“
Ein vernichtendes Urteil, mit dem Kintzel in der Finanzdienstleistungsbranche nicht allein dasteht. Auch das Fazit von Dr. Bernward Maasjost, Geschäftsführer des Maklerpools PMA, fällt negativ aus. „Substanzielle Fortschritte für die Branche vermag ich nicht zu erkennen. Vielmehr gibt es mehr Bürokratie, mehr Regulatorik und formalistische Eingriffe“, kritisiert er und zitiert Seite 32 des Koalitionsvertrages: „Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen und der Wirtschaft, insbesondere den Selbstständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen. Überflüssige Bürokratie werden wir abbauen.“ Leider sei diese Absichtserklärung ein Lippenbekenntnis geblieben. Als Beispiel nennt Maasjost das Thema ESG: „Unsere Kunden sind – und das ist aus den Protokollen nach der ESG-Abfragepflicht ablesbar – mit qualifizierten Wünschen zu komplexen Nachhaltigkeitskriterien in der Regel überfordert.“ Zuviel Dirigismus und zu wenig Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit zeige sich auch bei der nach wie vor ungelösten Reform der Altersvorsorge.
Doch es gibt nicht nur kritische Stimmen. Viele Branchenteilnehmer rechnen der Bundesregierung – speziell dem Finanzministerium – hoch an, dass sie ein EU-weites generelles Provisionsverbot vorerst verhindert konnte. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte im Sommer nachgezeichnet, wie das von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness ursprünglich geplante generelle Provisionsverbot doch noch gekippt wurde. Eine entscheidende Rolle spielte demnach ein Brief von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
„Lehrstück über die Macht der Finanzlobby“
Den gesamten Vorgang, der zum vorläufigen Aus eines generellen Provisionsverbots führte, bezeichnet „Der Spiegel“ als „Lehrstück über die Macht der Finanzlobby“. Demnach hätten sich Vertreter von Banken und Finanzvertrieben, darunter der DVAG-nahe Deutsche Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV), im Herbst 2022 in Briefen an das Bundesfinanzministerium massiv gegen das Provisionsverbot gewehrt und um Unterstützung gebeten. Wenige Wochen nach Eingang der Lobbybriefe habe Lindner am 28. Dezember an McGuinness geschrieben, er sei „sehr besorgt“ über die Pläne der EU-Kommission und halte sie für falsch. Die Haltung der Bundesregierung zu EU-Vorhaben hat laut „Spiegel“ stets großes Gewicht, insbesondere in der Finanzmarktpolitik, da das private Geldvermögen Deutschlands innerhalb der EU am größten sei. Mit seinem Brief habe Lindner klar gemacht, dass mit ihm ein Provisionsverbot nicht zu machen sei. „Da von den Ministerien der Grünen und der SPD anschließend kaum Widerspruch zu hören war, konnte die Finanzkommissarin McGuinness bei ihren Plänen nicht auf die Unterstützung Deutschlands zählen“, schreibt das Magazin.
Vor diesem Hintergrund könne man mit der bisherigen Arbeit der Ampel-Regierung durchaus zufrieden sein, sagt Dr. Klaus Möller, Vorstand des Defino Instituts für Finanznorm – weil sie das Beste, nämlich nichts, getan habe. „Von Berlin sind in den letzten zwei Jahren keine furchteinflößenden regulatorischen Initiativen ausgegangen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich sogar klar gegen die europäische Initiative für ein Provisionsverbot positioniert.“ Möller lobt auch Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen), die als parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium für DIN und die Normung in Deutschland zuständig ist. „Sie hat in dieser Funktion erfahren, wie wichtig und hilfreich Selbstregulierung durch Normung ist. Und sie unterstützt entsprechende Projekte und Aktivitäten – auch in unserer Branche – ausdrücklich. Das nährt die Hoffnung, dass die Politik der Branche zukünftig mehr Selbstgestaltungsspielraum lassen könnte.“
„Es hätte schlimmer kommen können“, meint auch Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK). Offenbar sei die Regierung so sehr mit anderen Themen und Kontroversen beschäftigt, dass sie von Regulierungen des Versicherungsvertriebs bisher abgesehen habe. „Gut erinnerlich sind uns dagegen noch die Pläne der vorherigen Großen Koalition zu einem Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen. Doch diesbezüglich hört man von der Ampel-Regierung nichts.“ Ganz im Gegenteil: „Bundesfinanzminister Christian Lindner intervenierte mit einem Brief bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegen die Pläne ihrer EU-Amtskollegin Mairead McGuinness, die Provisionen EU-weit verbieten lassen wollte. Das begrüßten wir außerordentlich.“
Mit Blick auf die Reform der privaten Altersvorsorge lobt Heinz den bereits im Koalitionsvertrag fixierten Bestandsschutz für die Riester-Rente. Diesen bekräftigte nun auch die von der Ampel-Koalition eingesetzte Fokusgruppe private Altersvorsorge. „Ihre Empfehlungen, nämlich die Beibehaltung des Drei-Schichten-Modells sowie eine stärkere Flexibilisierung in der Auszahlungsphase, erntet auch unseren Zuspruch. Allerdings beurteilen wir die Pläne, die Altersvorsorge über sogenannte Altersvorsorgedepots den volatilen Kapitalmärkten zu überlassen, skeptisch.“ Für den Rest der Legislaturperiode bleibe abzuwarten, ob die Empfehlungen der Fokusgruppe noch in Gesetze gegossen werden oder – aufgrund der „Ampel-spezifischen Divergenzen“ – bloße Empfehlungen bleiben, bis eine neue Bundesregierung 2025 ihr Amt antritt. Eine gewisse Skepsis ist nicht zu überhören.
„Deutliche Spannungen innerhalb der Koalition“
Auch Martin Klein, Vorstand des Votum-Verbands, hebt den Einsatz von Christian Lindner hervor, als die EU-Kommission ein Provisionsverbot beabsichtigte. „Das klare Nein zu diesen Plänen aus dem Bundesfinanzministerium ist ausdrücklich zu begrüßen. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung diese Haltung geschlossen beibehält und sich auch im weiteren EU-Gesetzgebungsprozess konsequent gegen eine weitere Überbürokratisierung der Anlageberatung ausspricht“, betont Klein. Der Gradmesser für die Zufriedenheit mit der Arbeit der Ampel sei daher klar: „Wird es der Bundesregierung gelingen, den drohenden europäischen Bürokratie-Overkill abzuwenden?“ Die Zwischenbewertung falle positiv aus, soweit man das Bundesfinanzministerium betrachte. „Dies ist aber eine Betrachtung mit einigen Vorschusslorbeeren. Ein positives Endurteil kann erst gefällt werden, wenn wir im Frühjahr 2024 feststellen können, dass die EU-Kommission bei ihren unausgegorenen Plänen zur Kleinanlegerstrategie in die Schranken gewiesen wurde und ein überzeugendes Riester-Nachfolgeprodukt seine gesetzliche Basis gefunden hat.“
Frank Rottenbacher, Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung, findet die bisherige Bilanz der Ampel-Koalition in Bezug auf den Finanzvertrieb eher durchwachsen. „Der unerwartete Ausbruch des Ukraine-Kriegs stellte ohne Frage eine immense Herausforderung dar und erforderte eine rasche Neuausrichtung der politischen Prioritäten. Dennoch offenbaren sich beim Finanzvertrieb deutliche interne Spannungen innerhalb der Koalition. Die FDP positioniert sich klar als Verfechterin des unabhängigen Vermittlers und plädiert ebenso deutlich für den provisionsbasierten Vertrieb, auch auf EU-Ebene. Die Grünen hingegen tendieren zur Abschaffung von Provisionsmodellen, wertschätzen aber die private Altersvorsorge. Die SPD, traditionell ein Befürworter der gesetzlichen Rente und deshalb zurückhaltend bei der privaten Altersvorsorge, sieht sich gezwungen, deren Notwendigkeit anzuerkennen und stützt sich dabei auf die Erkenntnisse der Fokusgruppe.“ Die Koalition müsse nun Taten folgen lassen. „Ein mögliches Provisionsverbot für deutsche Versicherungsmakler in Brüssel muss abgewendet werden. Hier erwarten wir klare Formulierungen. Gleichzeitig sollte die Umsetzung der Erkenntnisse der Fokusgruppe Priorität haben. SPD und Grüne sind hier besonders gefordert und sollten mutige Schritte wagen.“
Bei aller gemeinsamen Freude darüber, dass ein generelles Provisionsverbot vorerst vom Tisch ist, sind sich die Verbände allerdings nicht darüber einig, ob auch ein partielles Provisionsverbot verhindert werden konnte. Seit der Veröffentlichung der EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy – RIS) Ende Mai wird nun in der Vermittlerbranche die Frage diskutiert, ob die RIS beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten ein Provisionsverbot für Versicherungsmakler vorsieht.
Der BVK hat hierzu ein Gutachten bei Professor Dr. Christoph Brömmelmeyer von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in Auftrag gegeben. Der auf Bürgerliches Recht, Versicherungsrecht und Europäisches Wirtschaftsrecht spezialisierte Wissenschaftler kommt zu dem Ergebnis, dass die RIS kein solches Provisionsverbot beinhaltet: „Dem Versicherungsmakler steht es nach wie vor frei, provisionsbasiert zu beraten. Das gesetzliche Berufsbild des Versicherungsmaklers hindert ihn nicht daran. Die RIS geht zwar davon aus, dass der Versicherungsmakler die Beratung im provisionsbasierten Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten als ’nicht unabhängig‘ bezeichnen muss. Das kann er aber auch tun. Der Versicherungsmakler braucht weder zu behaupten, dass er wie ein Arbeitnehmer persönlich abhängig sei, noch, dass er vertraglich bzw. wirtschaftlich von einem bestimmten Versicherer abhänge“, so Brömmelmeyer. „Er muss lediglich angeben, dass die von ihm angebotene Beratung auf Provisionsbasis und deswegen ’nicht unabhängig‘ erfolgt.“
Noch ein Brief nach Brüssel?
Die Frage der Unabhängigkeit bezieht sich laut Brömmelmeyer nicht auf den Status des Maklers im Sinne des Berufsbildes, sondern auf seine Dienstleistung, die über Courtage oder Honorar bezahlt wird: „Der Versicherungsmakler gibt an, dass er selbstständig und ‚ungebunden‘ ist, so dass er auf der Basis eines repräsentativen Marktüberblicks im bestmöglichen Interesse des Kunden Versicherungsanlageprodukte auswählen und empfehlen kann. Er gibt gleichzeitig an, ob die von ihm angebotene Beratung ‚unabhängig‘ oder ’nicht unabhängig‘ erfolgt, je nachdem, ob es sich im konkreten Einzelfall um eine Honorarberatung handelt (unabhängig) oder um eine Beratung auf Provisionsbasis (nicht unabhängig).“
„Der EU-Vorschlag besagt keineswegs, dass der Versicherungsmakler eine unabhängige Beratung anbieten muss und deswegen keine Provision verlangen kann“, ergänzt BVK-Präsident Michael H. Heinz. „Er hat vielmehr die Wahl gegenüber den Kunden anzugeben, dass er auf Provisionsbasis arbeitet und deshalb ’nicht unabhängig‘ ist oder er kann auf Honorarbasis beraten, das heißt Versicherungsanlageprodukte empfehlen, ohne dafür eine Provision von einem Versicherer zu erhalten. Dann kann er dies als ‚unabhängig‘ bezeichnen. Man kann also mitnichten von einem Provisionsverbot für Makler sprechen, wie das einige Verbände tun.“ Nichtsdestotrotz werde der BVK auf Klarstellungen pochen, um unterschiedliche Rechtsauslegungen zu verhindern.
Dr. Bernhard Gause, geschäftsführender Vorstand des BDVM, schließt sich der Auffassung des BVK an. Dass mit der Kleinanlegerstrategie nicht die Einführung eines Provisionsverbots für Makler beabsichtigt ist, sei von der EU-Kommission bereits auf einem Symposium des BDVM im Juni „klar bestätigt“ worden. Auch die einleitende Ausführung auf Seite 16 der Kleinanlegerstrategie („Vermittler, die nicht angestellt oder vertraglich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind, aber Provisionen erhalten, sollen nicht davon abgehalten werden, sich als vertraglich ungebunden darzustellen.“) lege dies nahe.
Beim AfW hingegen schätzt man die Gefahr eines Provisionsverbots für Makler ungleich größer ein – und beruft sich dabei ebenfalls auf Rechtsgutachten, getreu dem Motto „Zwei Juristen, drei Meinungen“: „Passives Abwarten und Appeasement sind der falsche Weg. Die Gutachten des österreichischen Maklerverbandes und das vom AfW bei Professor Schwintowski in Auftrag gegebene Gutachten belegen die reale Gefahr eines Provisionsverbots, wenn nicht aktiv gegen den aktuellen Entwurf der EU-Kommission vorgegangen wird“, warnt AfW-Vorstand Norman Wirth. Vielleicht schreibt ja auch der Finanzminister wieder einen Brief nach Brüssel.
Kim Brodtmann, Cash.