Dass aus einer Konjunkturdelle keine Konjunkturbeule wird! Ist es nicht erschreckend, wie schnell sich die eurozonalen Aufschwungshoffnungen vom Frühjahr verflüchtigt haben?
Kolumne: Robert Halver, Baader Bank
Selbst an der bislang teflonbeschichteten deutschen Wirtschaft bleibt die ein oder andere Eintrübung haften. Und im Kopfkino von Verbrauchern und Investoren sorgt die Inflation an Krisen – für deren weitere Einschätzung es in punkto IS-Terror und Ebola keine historischen Blaupausen gibt – sicherlich auch nicht für offene Brieftaschen.
Ist es nicht völlig ernüchternd, dass die Eurozone seit 2008 trotz des zinspolitischen Freudenrauschs der EZB nicht nachhaltig kaltgestartet werden konnte? Das hieß bei den Beatles „Money can’t buy me love“.
Reformiere in der Zeit, nur dann hast du in der Not
Volkswirtschaft lässt sich mit Landwirtschaft vergleichen: Der Regen in Gestalt von viel und billigem Geld allein wird niemals vernünftige Ernteergebnisse schaffen. Aber auch in Kombination mit übermäßiger Düngung in Form von staatlicher Neuverschuldung sind die Ernteergebnisse, also Wachstumspotenziale deflationär gehemmt. Im Gegenteil, es kommt zu massivem Unkrautbefall, der den eigentlich in die Erde gebrachten Samen – attraktive unternehmerische Geschäftsideen – überwuchern, von der Sonne verdrängen und sogar absterben lässt. Erst die knochenharte, mühselige Feldarbeit – in einer Volkswirtschaft sind das die Wirtschaftsreformen – die den übertriebenen (staatlichen) Wildwuchs wegharkt, schafft lichtdurchlässige Standortbedingungen für hohe Erträge, für nachhaltiges Wachstum.
Euro-Politiker, die dieser „natürlichen“ Logik nicht folgen, kann man getrost als Krauterer bezeichnen. Sehen sie nicht, dass die Eurozone deflationiert? Was ist denn mit der Verbesserung der Standortqualitäten in der Eurozone? In den letzten Jahren konnte Italien nicht und Frankreich wollte nicht. Damit hat man aber die Zeit für Reformen vertan. Jetzt kämen die Reformen zur aktuellen Deflationsbekämpfung ohnehin zu spät. Denn sie brauchen Jahre, bis sie wirken. Dreist hat sich die Politik jetzt auch noch ein Alibi für die alternativlose Rettung über zinsgünstige Staatsschulden geschaffen. Ich glaube, man sollte die insgesamt berechtigte Stabilitätskritik nicht einseitig an den geldpolitischen Erfüllungsgehilfen richten. Die wahren Schuldigen sind die reformfaulen Euro-Politiker.
Und Deutschland? Die deutsche Reformbewegung hat zwischenzeitlich Rücken bekommen. Sie erfreut sich daran, dass unsere Volkswirtschaft im Vergleich zu den Euro-Ländern so stark ist. Es genügt nicht, wenn wir Europameister sind, der Weltmeistertitel muss angestrebt werden. Unsere eigentliche deutsche Industrie- und Exportkonkurrenz sitzt in Amerika und den Emerging Markets.
Auch die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik muss zur Mistgabel greifen
Aber auch die deutsche Wirtschaftspolitik muss zweifach aktiv werden. Deutschland generiert sein Brot-und-Butter-Exportgeschäft in der Eurozone. Wenn absehbar ist, dass die konjunkturellen Einschüsse näher kommen, darf erstens eine schwarze Null im Bundeshaushalt 2015 nicht zum reinen Fetisch verkommen. Politiker sollten nie vergessen, wie schnell ab 2008 aus einem soliden deutschen Aufschwung ein Abschwung mit anschließender Rezession wurde. Dann ist eine höhere deutsche Staatsneuverschuldung unter zwei Bedingungen akzeptabel. Einerseits müssen die Maastricht-Stabilitätskriterien der ersten Version – nicht die später weich gespülten – strikt eingehalten werden und andererseits dürfen neue Schulden nur für nachhaltig wirtschaftsfördernde Investitionen, zum Beispiel im Straßen- und Schienenverkehr, nicht für Konsum oder für wie Strohfeuer abbrennende Konjunkturpakete verwendet werden.
Lieber eine deutsche Konjunkturdelle mit kleinem Geld vorbeugend bekämpfen, als später eine dicke Konjunkturbeule oder schlimmere Schäden mit überteuerten Konjunkturprogrammen wie Pkw-Abwrackprämien behandeln müssen.
Zweitens muss dringend eine Wirtschaftspolitik für deutsche Mittelstandsunternehmen betrieben werden. Diese sollten nicht primär als zu melkende Kühe für soziale Wohltaten betrachtet werden. Sie sollten primär gefüttert werden, damit sie sekundär gute Milch in Form sicherer und neuer Arbeitsplätze und Steuereinnahmen geben können. In den Wiederaufbaujahren hat das übrigens ganz gut funktioniert.
Amerika hat aus seiner Misswirtschaft gelernt
Auch Amerika ist kein Stabilitäts-Musterknabe. Im Gegenteil, die Begriffe Staatsverschuldung und ultralockere Geldpolitik sind mit Amerika so verbunden wie Fast Food und die Freiheitsstatue. Aber seit einigen Jahren wurden massiv Reform-Hausaufgaben gemacht, die die USA als Industrie- und Exportnation wiederbeleben. US-Unternehmen investieren wieder freiwillig und gerne in Amerika.
Und genau hier liegt die Gefahr für die Eurozone und Deutschland. Kann das, was für US-Firmen gut ist, für unsere Unternehmen schlecht sein? Nein, die USA werden zu einer guten Alternative zum heimischen Standort. Großkonzerne wie Siemens und BMW investieren längst in Amerika.
Nicht, dass da eine Tür aufgemacht wurde, die man nicht mehr schließen kann. Was wäre, wenn auch unsere mittelständische Industrie dem Ruf „Go West“ immer mehr folgen würde? Was wäre, wenn sie sich den Argumenten günstigerer Steuern, günstigerer Stromversorgung, günstigerer Öl- und Gasversorgung oder immer produktiveren Arbeitsplätzen nicht mehr verschließen? Sollten unsere kleinen, aber feinen Industrieperlen mit ihren fabelhaften Patenten dort eine neue Heimat finden – weltweit gibt es ebenso andere lukrative Standorte – würde aus „Made in Germany“ schnell „Made in Germany, but grown up elsewhere“. Und die Arbeitsplätze werden dann woanders aufgebaut, aber nicht bei uns.
Wer mit Reformen zu spät kommt, den bestraft das Wirtschaftsleben mit neuen Staatsschulden
Die Zeit für Euro-Politiker, eine Deflationsfalle zu verhindern, ist begrenzt. An einem Siechtum der Marke Japan brauchen wir uns kein Beispiel zu nehmen. Unsere Euro-Konjunkturkrise ist hausgemacht, grob fahrlässig selbstverschuldet.
Und gemäß Verursacherprinzip muss die Euro-Politik durch stimmungsverbessernde Maßnahmen dagegenhalten. Gezwungenermaßen sind das leider vor allem Staatsschulden. Immerhin, die Aktien gerade in Deutschland würden konjunkturfreundliche Maßnahmen erfreuen. Und dann ist auch eine Jahresend-Rallye nicht ausgeschlossen.
Ihr Auftritt, liebe Politikerinnen und Politiker!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.
Foto: Baader Bank