Die Halver-Kolumne: Geldrausch

Die Kapitalmärkte treiben manchmal seltsame Stilblüten. Auf dem fundamentalen Auge scheinen die Börsen blind zu sein. So sind aktuell nicht die stabilen Schwellenländer die Stars in der internationalen Finanzmanege, nein, es ist die instabile westliche Welt.

Robert Halver, Baader Bank

Dass die Schwellenländer über gefragte Rohstoffe der technologischen Neuzeit wie Industriemetalle, Seltene Erden, Gold, Silber, Öl und Gas verfügen, schön. Dass China & Co. teilweise immer noch auf Wachstumsraten blicken wie Deutschland in seiner Sturm und Drang-Zeit der Wirtschaftswunderjahre sowie im Vergleich zur westlichen Welt nur waisenhaft geringe Verschuldungen tragen müssen, ja und? Dass deren Volkswirtschaften aufgrund einer günstigen Bevölkerungspyramide wirtschaftlich wie von der Muse geküsst werden, ach wirklich? Und dass der erfolgreiche Aufbau eines gesunden Mittelstands, der – wie bei uns nach dem Wiederaufbau – langfristig stabil wachsende, blühende Landschaften garantiert, honorieren die Finanzmärkten ähnlich verhalten wie Vegetarier fallende Schnitzelpreise.

Die Schwellenländer werden wirtschaftsfreundlich von der Muse geküsst, der Westen staatstragend von der Muffe gepufft

Und was hat unsere westliche Welt zu bieten? Demographisch betrachtet sterben wir aus und unser Mittelstandsbauch schrumpft Richtung Wespentaille. Unsere Rohstoffe sind mehrheitlich die aus der industriellen und ökologischen Steinzeit, nämlich Stein- und Braunkohle. Und wenn irgendwo Innovationsalarm herrscht, dann wohl bei uns, wo viele Politiker konjunkturpolitische Scheuklappen tragen. So mancher frühere, wirtschaftsfreundlich deregulierende Sheriff von Nottingham gefällt sich heutzutage in der Rolle des staatstragend regulierenden Robin Hoods dann doch besser.

Aber Hand aufs Herz, es gibt eine Disziplin, da ist die westliche Welt wirklich einsame Weltklasse: Niemand betätigt so diszipliniert, so beharrlich, so unbeirrt die Tastenkombination „Steuerung/ P“ – das ist auf der Tastatur der Druckbefehl – wie die geldpolitische Drückerkolonne der Fed, Bank of Japan und der Bank of England. Auch die EZB ist mittlerweile Kolonnenvollmitglied: Auf ihrer Verpackung steht zwar noch Bundesbank drauf, aber längst ist US-Notenbank drin. Um einer Depression der euroländischen Wirtschaft aufmunternd entgegenzuwirken, kann man ähnlich wie bei einer Werbung für Melissengeist sagen „Nie war die EZB so wertvoll wie heute“.

Geldpolitik macht Renten froh und Aktien ebenso

An den Finanzmärkten scheinen die fundamental soliden Verhältnisse der Emerging Markets gegenüber der von der Geldpolitik künstlich angeheizten Partylaune im Westen fast schon zu langweilen. Ja, die Helden an den internationalen Finanzmärkten sind die Stabilitäts-Outlaws. Denn warum liegen die Risikoaufschläge für Schwellenländer gegenüber deutschen Staatsanleihen in der Spitze bei 10 Prozent? Warum hängen Nikkei, Dow Jones, Euro Stoxx und Dax ihre Konkurrenten aus den Schwellenländern ab wie ein ICE die Dampflok?

De facto zwingt der Zuckerrausch der westlichen Geldpolitik und Regularien – auch darin sind wir Spitze – Banken und Versicherer regelrecht, Staatspapiere der Stabilitätssünder zu kaufen. Und wie bei Backhefe wachsen die Aktienmärkte als aus Renditesicht alternativlose Anlageklasse mit in den Himmel. Überhaupt, wie will ein Vermögensverwalter seinen Kunden erklären, bei Aktien nicht dabei zu sein?

Helicopter-Ben wird nicht zum Zick Zack-Ben

Die westliche Geldpolitik ist die alles beherrschende Größe an den westlichen Finanzmärkten. Als Beweis dient der kürzliche Auftritt von US-Notenbankchef Ben Bernanke vor dem US-Kongress. Zuerst hatte er der amerikanischen Wirtschaft keine ausreichende Wachstumsstärke bescheinigt und in punkto Inflation auf Entspannung gemacht. Das spricht zunächst für „Weiter so, Ben“. Die Aktienmärkte frohlockten wie die Engel an Weihnachten. Dann jedoch ließ folgende Aussage die liquiditätsverwöhnten Aktienmärkte erbleichen wie der unangekündigte Besuch der Schwiegermutter am Wochenende: „Die Fed könnte auf ihren nächsten Sitzungsterminen die Aufkäufe von Anleihen reduzieren, wenn die Daten dies unterstützen“.

Klopfen wir die Aussagen von Ben doch einmal nüchtern auf ihren Nährwert ab. Die „Daten“, vor allem die des US-Arbeitsmarkts – nicht nur quantitativ, auch qualitativ – schreien nicht Hurra. Im Übrigen, gibt nicht die haushaltspolitische Konsolidierung in Amerika der Fed sogar die höheren Weihen für eine ausgleichende Geldpolitik? Und selbst wenn die US-Notenbank irgendwann tatsächlich weniger neues Geld drucken sollte, kommt doch immer noch ein Schippchen oben drauf. Das ist kein Ausstieg, noch nicht einmal der Einstieg in den Ausstieg.

Erst bei einem wirklichen Ausstieg käme es zu schweren Entzugserscheinungen an den Finanzmärkten. Davon hat er aber – ich habe genau hingehört – nichts gesagt. Nicht zuletzt haben die irritierten Reaktionen der Aktienmärkte gezeigt, dass Konjunktur und Finanzmärkte die geldpolitische Intensivstation noch lange nicht verlassen können.

Mit Ben Bernanke haben wir es mit einem dramaturgisch gewieften, geldpolitischen Hofschauspieler zu tun. Seine Absicht war es, zu signalisieren, dass die US-Notenbank keine von Konjunktur und Finanzmärkten Gejagte ist, sondern die Sache souverän im Griff hat. Hätten Sie es etwa anders gemacht?

Japan und die Eurozone insgesamt sind erst recht von blühenden Landschaften entfernt. Wie lange werden sie wohl noch die Notspeisung brauchen? 5, 10 Jahre oder noch länger? Ich glaube, wir sollten großzügig sein. Es wird dabei bleiben (müssen): Die westliche Geldpolitik lässt Anleger ähnlich wie das Raumschiff Enterprise in Aktien-Galaxien vordringen, die nie ein Aktionär zuvor gesehen hat.

Über den geldpolitischen Tellerrand der westlichen Welt schauen

Und dennoch, gerade die fundamental starken Aktien aus den Schwellenländern sollten insbesondere weiter die für Stabilität schlagenden deutschen Anlegerherzen erreichen. Erinnern wir uns: Selbst nach dem Neuen Markt kamen die Substanzwerte wieder, die ihr Leben bis dato wie Nachtschattengewächse fristen mussten.

Solide Aktienmärkte sprechen heute nicht mehr (amerikanisches) englisch oder japanisch. Heute sprechen sie chinesisch, mexikanisch, türkisch oder auch portugiesisch – allerdings mit brasilianischem Akzent.

 

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.

Foto: Baader Bank

 

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