Besucher aus einer fernen Galaxie, die die aktuelle Hochstimmung an den irdischen Aktienmärkten wahrnehmen, müssen den Eindruck gewinnen, dass unsere Finanzwelt krisenfrei ist.
Kolumne von Robert Halver, Baader Bank
In der Tat haben sich die Krisen gut versteckt oder – um es genauer zu formulieren – wurden bislang gut versteckt. Dennoch sind sie hinter den blühenden Aktienlandschaften präsent und werden uns im nächsten Jahr durchaus beschäftigen. Entscheidend für den Einfluss der Krisen auf die Finanzmärkte ist jedoch, wie sie behandelt werden, inwiefern sie entschärft werden. Und mit welchen potenziellen Krisen haben wir es 2014 zu tun?
USA: Bedrohen innenpolitische Probleme den Weltfinanzfrieden?
Bis spätestens 7. Februar 2014 braucht God’s Own Country eine neue parlamentarisch abgesegnete Anhebung des US-Schuldenlimits, um technisch nicht bankrott zu gehen. Daher sind im Vorfeld der im November 2014 anstehenden US-Zwischenwahlen erneute innenpolitisch motivierte Budget-Scharmützel nicht auszuschließen, die auch den Weltfinanzfrieden und speziell den der Schwellenländer bedrohten. Aber da US-Politikern schon die letzte Auseinandersetzung um den Staatshaushalt nur Hohn und Spot eingebracht hat, werden sie – auch ein gebranntes Politiker-Kind scheut das Feuer – ihre Wiederwahl im Herbst nicht gefährden. Dies spricht für einen weniger dramatischen Budget-Showdown.
Schwellenländer: Wachstumsträume ausgeträumt?
Die Emerging Markets befinden sich im Übergang von export- und immobiliengetriebenen Konjunkturblasen zu einer stärkeren Binnennachfrage. Dabei sind Reibungsverluste nicht auszuschließen. Exemplarisch zeigt jedoch China mit seiner Öffnung für internationales Kapital und einer marktwirtschaftlicheren Ausrichtung, dass alles für den Aufbau eines kaufkräftigen Mittelstands und damit eines nachhaltigeren Wirtschaftsverlaufs unternommen wird. Hierbei gilt Japan als abschreckendes Beispiel: Ab Ende der 80er-Jahre konnte dort dem Zusammenbruch der Immobilienblase, gepaart mit einer Exportschwäche, nichts binnenkonjunkturell Positives entgegengesetzt werden. Die Emerging Markets mögen ihre ungehemmte – aber eben auch anfällige – Pionierzeit hinter sich haben. Im Sinne einer Stabilisierung der Weltkonjunktur – Emerging Markets bleiben existenziell wichtige Absatzmärkte für den Westen – ist ihre nachhaltige Wirtschaftspolitik jedoch zu begrüßen.
Euroland: Es lebe die Reform-Renitenz
Aufgrund ihres großen politischen Drohpotenzials kann man die Euro-systemrelevanten Staaten nicht zu Reformen zwingen. Und sollte die im Mai 2014 anstehende Europawahl Euro-kritischen Parteien Aufwind bescheren, wird zur Beruhigung der Euro-Volksseele noch weniger Reformdruck ausgeübt. Auch die anstehende Schwarz-Rote Koalition in Berlin wird kaum mit gutem Beispiel vorangehen: Die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner nimmt dem Reformeifer die Luft zum Atmen.
Wenn aber Unternehmen in Euro-Süd weder investieren noch Arbeitsplätze schaffen, würde die private Wirtschaft dort unter sonst gleichen Bedingungen wie ein Primelchen in der Wüste Gobi verdörren. Aber zur Abhilfe haben wir ja unsere Rettungsdauerschleife: Da viele Euro-Länder keine wirtschaftsfördernden Reformen machen, muss der Staat mit neuen schuldenfinanzierten Konjunkturpaketen dagegen halten. Und weil der Staat einspringt, ist der Druck für Reformen schwach ausgeprägt, ein Teufelskreis. Nennen wir es die Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung. Für Reformanhänger mag dies kein Trost sein, aber für die Finanzmärkte mindestens ein großes Trostpflaster.
Schluss mit Liquiditäts-lustig? Nein, aus Geldpolitik wird Gelddiplomatie
Die internationale Bruderschaft der Notenbanker hat bislang die Finanzkrisen in Liquidität ersäuft. Droht dem Motto „Wasser Marsch“ 2014 ein Strukturbruch? Immerhin spricht die Fed bereits von Tapering, also einer Drosselung der Anleihenaufkäufe.
Die US-Notenbank steckt in einem großen Dilemma: Einerseits besteht bei ungebremster Fortsetzung ihrer Liquiditätszuführung die Gefahr von großen Anlageblasen, die bei späterem Platzen auch großen realwirtschaftlichen Schaden anrichten könnten. Andererseits ist ihre Androhung, irgendwann zu tapern, schon ausreichend, um Kapitalfluchten aus den Emerging Markets loszutreten. Ihr Lösungsweg ist Verbalerotik. Sie will tapern, wenn dies bessere Konjunkturdaten hergeben. Damit tut sie es jetzt noch nicht, hat die Finanzmärkte aber schon einmal darauf vorbereitet. Nehmen die Aktienmärkte diese Botschaft an, beugt die Fed im Idealfall all zu dramatischen Aufwärtsbewegungen vor.
Ohnehin gibt es beim tatsächlichen Beginn des Tapering eine Entschädigung, ein Kompensationsgeschenk der Fed zur Finanzmarktberuhigung: Die bittere Medizin – obwohl die Tapering-Dosis schwach ausfallen dürfte – wird durch die Garantie, die ultratiefen Notenbankzinsen noch bis zum „Sanktnimmerleinstag“ aufrechtzuerhalten deutlich versüßt. Die Fed ist sich ihrer großen Verantwortung für die Emerging Markets bewusst, die die Fed-Knute doppelt und dreifach spüren würden. Im Übrigen haben die geldpolitischen Brüder in Japan und Euroland ihre grandiose Spielstärke auf der Finanzwiese noch gar nicht gezeigt. So wird unsere EZB ab November 2014 in Personalunion Liquiditätsproblemerkennung und Liquiditätsproblembeseitigung bei den Banken in Personalunion betreiben.
Grundsätzlich wird notenbankseitig alles unternommen, um ein erneutes Orwell-Jahr der Weltkonjunktur wie 2009 zu verhindern. Es wäre vermutlich die letzte Krise unseres derzeitigen Finanzsystems.
Insofern wird sich das finanzgeschichtliche Muster, wonach frühere Liquiditätshaussen an den Aktienmärkten, die die Notenbanken losgetreten hatten, auch durch sie selbst – über geldpolitische Restriktion – später wieder beendet werden, 2014f. nicht wiederholen. Wer konjunkturelle Sorgen hat, hat auch geldpolitischen Likör.
Aktienbewertung: Jenseits von Gut und Böse?
Über die Liquiditätshausse sind die Aktienmärkte nicht mehr billig wie im Schlussverkauf. Wenn man allerdings Aktien als zu teuer bezeichnet, was ist dann mit Zinsvermögen, des Deutschen liebstes Anlage-Kind? Denn Staatspapiere befinden sich trotz euroländischer Schuldenorgien, für die Deutschland mithaftet, in Bewertungsregionen, die man nur noch mit dem Raumschiff Enterprise erreichen könnte. Hat uns jemals ein Finanzpolitiker gesagt, man solle deswegen Staatspapiere verkaufen? Ach, wie liebe ich doch das Messen mit zweierlei Maß. Die für Staatspapiere schädliche Schuldenpolitik mit geldpolitischem Feuerschutz sorgt immerhin für fundamentale Konjunkturimpulse, die die Aktienbewertungen über nachfolgende Gewinnsteigerungen wieder entspannen.
Aktienmärkte 2014: Konsolidierungen ja, Crashes nein
Auch wenn die gut zusammenarbeitende Schulden- und Geldpolitik den Krisen einen Sack übergestülpt haben, werden sie 2014 ihr hässliches Antlitz zeigen. So sind beispielsweise Unterbrechungen in der weltkonjunkturellen Aufwärtsbewegung oder Unpässlichkeiten über das beginnende Tapering und damit zwischenzeitliche Aktienkonsolidierungen einzukalkulieren. Die Krisen-Halbwertszeiten sind jedoch begrenzt. Denn auch 2014 sind Konjunkturerholung und geldpolitische Dauerberieselung die wertvollsten Aktientreiber. Das spricht für einen Jahresendstand 2014 des DAX von 10.500 Punkten.
Für Zinspapiere – gerade auch, wenn sie das Übergewicht im Anlageportfolio ausmachen und natürlich im Hinblick auf die Altersvorsorge – spricht viel, so viel wie für Schnupfen, Husten und Heiserkeit.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.
Foto: Baader Bank