Der demokratische US-Präsident Joe Biden und der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy konnten sich im Fiskalstreit einigen: U.a. wird das Schuldenlimit bis Januar 2025 ausgesetzt, so dass politische Grabenkämpfe im Vorfeld der Präsidentenwahl am 5. November 2024 ausbleiben. Die Finanzmärkte wären ansonsten in arge Bedrängnis geraten, vor allem, wenn der republikanische Kandidat Donald Trump heißen würde.
Und da die Ausgabenwünsche der Demokraten nicht kahlgeschoren werden und Republikaner Steuererhöhungen verhindern konnten, ist auch klar, dass der Schuldenkompromiss nicht am Kongress – Repräsentantenhaus und Senat – scheitert, selbst wenn einige „Stinkstiefel“ nach Profilierung trachten. Grundsätzlich wird niemand mit Verstand Amerika in die Fiskalhölle mit allen Konsequenzen für seine hervorgehobene Position in der Dollar-dominierten (Finanz-)Welt fallen lassen.
Mit dem Schulden-Kompromiss ist außer Zeit nichts gewonnen
Grundsätzlich wird der gefundene Fiskalkompromiss das US-Schuldenproblem nicht ein bisschen lösen. So bezieht sich die aktuelle Schuldeneinigung nur auf ca. ein Drittel des Staatshaushalts. Die u.a. wegen Inflation steigenden Fixkosten wie Sozialversicherung, Medicare und Schuldzinsen sind nicht betroffen. Dann gibt es da noch den Verteidigungsetat, der 2023 schon nach fünf Jahresmonaten fast 800 Mrd. beträgt. Und von Pazifismus wird in den USA seit flower power nicht mehr gesprochen.
Und so kommen immer mehr neue Schulden auf den Bestand hinzu. Und der hat es bereits in sich. Allein in den letzten 10 Jahren wurden mehr Schulden angehäuft als zwischen der Staatsgründung 1776 und 2003.
2003 werden die USA keine Mühe haben, ca. 1,6 Bill. US-Dollar neue Schulden anzuhäufen. Ein Defizit von ca. sechs Prozent zur Wirtschaftsleistung? Nichts ist unmöglich, würde man bei Toyota sagen!
Mittlerweile geht die amerikanische Verschuldung in die Exponentialfunktion über.
Grafik: US-Verschuldung
Wie würde Amerika unter normalen Bedingungen fiskalpolitisch gesunden?
Und diese katastrophale Überschuldung führt als negativer Beigeschmack zu chronischer Inflation, steigenden Kreditkosten und kastriert auch noch Wohlstandspotenziale. Denn nach Zinszahlungen stehen den USA schon bis Ende Mai 575 Mrd. nicht mehr für Wohlstands fördernde Investitionen zur Verfügung.
Geeignete Gegenmaßnahmen wären dramatische Ausgabenkürzungen und massive Steuereinnahmen. Staatliche Ausgaben dürften primär nur der Steigerung von Produktivität und Wachstum zugutekommen. Damit würde dann auch die staatliche Übernachfrage eingedämmt, was Preis- und Zinsauftrieb milderte.
Allerdings sprechen wir hier von einer gewaltigen Rosskur. So errechnen US-Ökonomen, die wissenschaftlich rational und nicht politisch emotional argumentieren, dass Amerika seine fiskalische Ordnung wiederherstellen könnte, wenn die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von derzeit weit über 100 auf 70 Prozent gedrückt würden. Dieses Ziel wäre erreichbar, wenn über 30 Jahre lang die US-Staatsausgaben um fünf Prozent gesenkt und die Steuern um zwei Prozent erhöht würden.
Der US-Politik fehlt zwar das Stabilitäts-Gen, doch wird der Gen-Defekt toleriert
Wer glaubt daran, dass sich US-Politik dafür jemals öffnet? Dieses Unterfangen ist ähnlich schwer wie Abnehmen. Der Geist mag willig sein, aber das Fleisch ist schwach. An Regierungsmacht interessierte Politiker werden ihren fellow citizens diese Tortur kaum antun. Reformen führen längerfristig zwar zu Erfolgen, tun aber in der Zwischenzeit richtig weh. Und bei jeder neuen Krise wird jeder politische Homo Oeconomicus das Land mit Staatsausgaben retten wollen: Wollen wir Amerikaner z.B. zulassen, dass uns der Konkurrent China näherkommt? Wir müssen alles dafür tun, dass die USA eine führende Rolle im Klimaschutz und vor allem in der KI erlangen, damit Peking diese technologische Waffe nicht zur Erlangung der Weltherrschaft einsetzt. Wer wollte diesen „edlen“ Motiven widersprechen?
Populismus und staatliche Wahlgeschenke gehören zu Politikern wie die Bulette zum Hamburger. Überhaupt, selbst das im Vergleich zu uns eher sozial kalte Amerika hat seine Bürger in den letzten Jahren an die Freuden eines freigiebigen Staates gewöhnt. Welcher an (Wieder-)Wahl interessierte Politiker wird süßes Zucker- gegen hartes Schwarzbrot austauschen wollen?
Nein, nein, nein, die USA werden nicht vom Fiskal-Saulus zum -Paulus werden. Dennoch müssen sie ihre Schuldenprobleme irgendwie lösen. Sie werden es nach alter Väter Sitte machen. Zunächst werden sie bei der Finanzierung ihrer Verschuldung weiterhin auf die zinsfreundliche Unterstützung der Fed setzen. Daneben hilft eine aufgehübschte Inflation. Tatsächlich muss man annehmen, dass die für die Messung der Preissteigerung Verantwortlichen mit Nachnahmen Pinocchio heißen. Insgesamt lassen sich so schöne negative Realzinsen erzielen, die das Schuldenproblem verniedlichen.
Und natürlich werden die USA ihre Rentenpapiere weiter gerne im Ausland abladen. Das Ausland weiß zwar um die Qualität dieser bunten Massenware. Und sicherlich mögen viele Länder Amerika wie Bauschmerzen. Aber wenn man harte Ware in die USA nur gegen billiges Papier verkaufen kann, zahlt man eben diesen Preis und gibt Uncle Sam insofern Kredit. Ohnehin hat man mit der Weltleitwährung unbegrenzten Dispo.
Warum sollte sich Amerika diesen Vorteil mit einer Staatspleite jemals kaputtmachen?
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725