Halver-Kolumne: Was Subventionswettlauf und Protektionismus für Deutschland bedeuten?

Robert Halver
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Robert Halver, Baader Bank

Washington hat keine Hemmungen, mit uns über den „Inflation Reduction Act" (IRA), dem größten US-Subventionsprogramm seit Jahrzehnten, in einen knallharten Wettbewerb zu treten. Nicht zuletzt werden damit auch deutsche Vorzeigeunternehmen gelockt. Welche Gegenstrategien wendet Deutschland an und wie erfolgreich können sie sein?

Bidenomics – Das neue Wort für Protektionismus

Die Zeiten, in denen sich Deutschland in den starken Armen Amerikas kuscheln konnte, sind endgültig vorbei. Es regiert der knallharte Standortwettbewerb, der mit IRA noch an Dramatik zugenommen hat und der die Gefahr eines markanten german brain drain heraufbeschwört.

Tatsächlich konnten schon Audi, BMW, Schaeffler, Siemens Energy oder Aurubis dem amerikanischen Lockruf nicht widerstehen. Doch denkt mittlerweile jedes zehnte deutsche Unternehmen vor allem mit technologischem und grünem Schlüssel-Know-How an „Go West“.

Europa und Deutschland brüllen wie Löwen, aber können sie auch zubeißen?

Zunächst war Deutschland über den amerikanischen Liebesentzug verdutzt. Doch gibt es Liebe zwar in Hollywood, nicht aber in Washington. Es sei an ein Zitat des früheren US-Außenministers Henry Kissinger erinnert: Amerika hat keine Freunde, nur Geschäftsinteressen. Man kann getrost von Protektionismus sprechen, der übrigens auch in China zuhause ist.  

Allmählich dämmert es zwar auch in Berlin und Brüssel, was jenseits des großen Teichs passiert. Daher will man mit dem sog. Net Zero Industry Act bis 2030 zwei Fünftel der für Europas Klimaziele jährlich erforderlichen grünen Technologien, 85 Prozent der Windkraftanlagen, 85 Prozent der Batterien, 60 Prozent der Wärmepumpen, 40 Prozent der Solarpaneele und die Hälfte des grünen Wasserstoffs heimisch herstellen. Deutschland will sogar weltweit die führende Rolle bei KI spielen. Wow!

Aber verlassen wir die schöne Vision und kommen wir zur schnöden Realität. Zunächst, während IRA in Amerika schon seit dem 16. August 2022 wirkt, vergeudet Europa mit seiner lahmen Umsetzungsgeschwindigkeit wirtschaftspolitisch noch viel Zeit. Im Vergleich zu Brüssel leidet die Schnecke an ADHS. In der Zwischenzeit jedoch ist die Gefahr groß, dass unsere Firmen weg sind. Und sind sie einmal weg, bleiben sie auch weg.

Konsequente Wirtschaftspolitik statt selbstgerechter Ideologie

Im Vergleich zu den USA und China kann sich Europa Protektionismus nicht erlauben. Angesichts unserer Export- und Rohstoffabhängigkeit können uns ansonsten andere Länder, die den Daumen auf Energie und Vorprodukten haben, am langen Arm verhungern lassen. So wird z.B. für E-Mobilität und Solaranlagen viel Silber gebraucht. Also können wir in China nicht undiplomatisch und einseitig die Moralkeule schwingen. Es geht auch um Interessenorientierung. Worte zerstören, wo sie nicht hingehören.

Nein, um sich gegenüber den USA und China behaupten zu können, muss Europa sich wie eine Braut attraktiv machen, sozusagen die Mitgift in die Höhe treiben. Man muss uns begehren.

Zunächst muss ein starker europäischer Binnenmarkt her, der es uns erlaubt, gegenüber China und Amerika selbstbewusster und damit unabhängiger aufzutreten, weil wir noch mehr Kaufkraft auf die Waage bringen. Mit uns muss man gerne Geschäfte machen. Sollte es Ende 2024 zu einem Präsidentenwechsel in den USA zu den Republikanern kommen, wird es Europa und Deutschland noch schwerer haben. Das gilt umso mehr, wenn Trump wieder das Sagen hat, der in seiner letzten Amtszeit alle Register ziehen würde.

Also brauchen wir eine europäische Harmonisierung auf allen Ebenen. Das Wirrwarr unterschiedlichster nationaler und europäischer Vorschriften erfreut vielleicht Rechtsanwalts- und Steuerkanzleien, dient aber nicht der europäischen Wehrertüchtigung.

Und dann geht es ans wirtschaftlich Eingemachte. Ein innovativer deutscher Standort entsteht nicht durch ideologische und unklare Gesundbeterei. Öko-planwirtschaftliche Holzhammermethoden mögen vielleicht den Umerziehungsbeauftragten in ihrer Meinungs-Bubble frönen. Der Staat hat aber vor allem für verlässliche, wirtschaftsfreundliche, pragmatische Rahmendaten zu sorgen und ansonsten gepflegt den Mund zu halten.

Auch ist es keine Lösung, die Strukturdefizite Deutschlands und Europas mit einer beängstigenden Steigerung des Schuldenstands wegzufinanzieren. Diese Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners macht uns nur behäbig, wirtschaftlich leistungsschwach und der Wohlstand findet im Ausland statt.  

In der aktuellen Energie und Heizungsdebatte geht es konkret darum, der Wirtschaft mehr Zeit zu geben, um sie nicht zu überfordern: Evolution statt Revolution. Jährlich immer etwas höhere CO2-Bepreisungen und ein teurerer Emissionshandel allein sind schon Anreize, die zum gewünschten Klimaziel führen, aber eben wirtschaftsverträglich und mit Nervenschonung der privaten Immobilienbesitzer. Damit erhöhte sich nicht nur die Akzeptanz für Klimaschutz bei uns, sondern vor allem bei den globalen Umweltsündern, die noch meilenweit von unseren heutigen Standards entfernt sind.     

In der Energiedebatte kommt Wirtschaftskompetenz zu kurz

Ein besonderer wirtschaftlicher Schwachpunkt sind die in Deutschland weltweit höchsten Strompreise. Und in Zukunft wird für E-Mobilität, Digitalisierung oder KI dramatisch mehr Strom gebraucht. Um mit der ausländischen Konkurrenz mitzuhalten, ist die Deckelung des Industriestroms in Deutschland für energieintensive Firmen zwar verständlich. Doch wird gemurkst.

Zunächst entsteht ein gewaltiges Bürokratiemonster: Wer bekommt wann und wieso und wie viel? Außerdem ist das Vorhaben grob unfair, wenn laut Vorhaben nur große Firmen privilegiert werden, aber die mittelständische Wirtschaft leer ausgeht, die immer noch das Rückgrat Deutschlands ist.

Überhaupt ist es nur rein ideologisch zu rechtfertigen, wenn einerseits die Wirtschaftspolitik ohne sachliche Not Atomenergie kappt, aber andererseits die resultierenden hohen Strompreise auf Kosten der Steuerzahler subventioniert bzw. neue inflationstreibende Schulden gemacht werden.   

Zudem sollen die Subventionen bis spätestens 2030 auslaufen, weil dann genügend Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung stehe. Und wenn diese Hoffnung trügt? Der schleppende Ausbau auch der Stromnetze macht hier sehr skeptisch. Und wie stellen wir die nötige Grundlast dar, wenn Sonnenenergie in der dunklen Jahreszeit bzw. Windstrom bei schwachem Wind zu wenig vorhanden ist. Nehmen wir dann heuchlerisch Atomstrom von unseren Nachbarn? Und wenn dieser dort gebraucht wird? Bleiben dann die Kohlemeiler länger am Netz und setzen wir weiter auf schmutziges Flüssiggas aus autoritären Regimen? Die grüne Revolution frisst ihre Kinder.  

Nicht zuletzt müssen die deutschen Unternehmen als Gegenleistung für die Strombremse Bedingungen erfüllen. So sollen sie eine langfristige Standortbindung eingehen. Viele Unternehmen werden sich auf diesen Deal kaum einlassen, weil es bei uns ja auch an vielen anderen Stellen wirtschaftlich hapert: (Unternehmens-)Steuern, Arbeitskosten oder (Netz-)Infrastruktur. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Da erscheint insgesamt die Umsiedlung nach Amerika wirtschaftlicher.

Fazit: Viele Politiker in Deutschland und Europa sollten sich an die gute Wirtschaftspolitik der „alten weißen Männer“ zurückerinnern. So ganz falsch haben Ludwig Erhard & Co. nicht gelegen.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash. 

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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