In dem zweiten Teil des Interviews mit Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, Leiter des Münchener Ifo Instituts, erklärt er, was in der Eurozone schief läuft und warum die sogenannte „Bail-out-Politik“ weitergehen wird.
Cash.: Unlängst gab es wieder heftigere Kapriolen an den Kapitalmärkten. Wie weit sind wir tatsächlich mit der Aufarbeitung der Staatsschulden- und Euro-Krise?
Hans-Werner Sinn: Es schwelt immer weiter. Nur die Finanzkrise, die über der realwirtschaftlichen Krise liegt, hat sich im letzten Jahr ein bisschen gelöst. Draghis „Whatever it takes“ im Herbst 2012 und die Einführung des ESM haben die Finanzmärkte beruhigt, was viele als Überwindung der Euro-Krise angesehen haben.
Das ist aber weit gefehlt, denn die realwirtschaftliche Krise Südeuropas ist ja völlig unverändert und wütet weiter. Jetzt im Herbst haben die negativen Nachrichten über die realwirtschaftliche Entwicklung zugenommen und die Kapitalmärkte zunehmend nervös gemacht.
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Dass etwa die Arbeitslosenstatistiken in Südeuropa sich etwas verbessert haben, ist kein Grund zum Aufatmen?
Hans-Werner Sinn: Ja, einige Statistiken haben sich ein bisschen gebessert, in Spanien etwa. Aber das liegt daran, dass man wieder etwas mehr Schulden zugelassen hat. Die Arbeitslosigkeit liegt noch bei 25 Prozent, und bei den Jugendlichen liegt sie sogar deutlich über 50 Prozent.
Spanien, das ja nun sehr gelobt wird, hat eine Double-Dip-Rezession durchlebt. Depression muss man schon sagen, denn es ging in zwei Schüben runter um 30 Prozent. Und es könnte auch ein Triple-Dip werden. In Italien haben wir definitiv eine Triple-Dip-Rezession: 2009 ging es erstmals bergab, inzwischen erlebt das Land bereits zum dritten Mal eine Rezession.
Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht mit immer neuen Maßnahmen, die Konjunktur anzukurbeln. Jetzt sollen neben Anleihen von Krisenstaaten auch die Kreditrisiken der Banken übernommen werden. Anfang November hat sie die Bankenaufsicht über die großen Geldhäuser der Euro-Zone übernommen. Ist das nicht zu viel Macht in den Händen einer Notenbank?
Hans-Werner Sinn: Ja, es ist zu viel Macht. Die EZB kann nicht der Aufseher der Banken sein, die sie selber mit ihren Krediten unterstützt. Dies führt sie in einen Interessenkonflikt. Im Übrigen betreibt die EZB nun schon seit Herbst 2009, spätestens seit 2010 nicht mehr nur Geldpolitik, sondern Bail-out-Politik. Sie rettet die Staaten und Banken Südeuropas mit niedrigen Zinsen, Krediten aus der Druckerpresse und mit riesigen Aufkaufprogrammen für Staatspapiere.
Die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) würde eine solche regionale Geldpolitik nie machen. Insgesamt waren in den sechs Krisenländern bis zum Sommer 2012 mehr als 1.000 Milliarden Euro zusätzlich an die lokalen Banken gewährt worden – aus der Druckerpresse als Ersatz für wegbrechende private Kredite, die sie eben nicht mehr bekamen oder die ihnen zu teuer waren.
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Das ist nicht mehr Geldpolitik, zumal es nicht mit einer entsprechenden Ausweitung der Geldmenge in der Euro-Zone einhergeht, sondern es war eine Verschiebung der Geldschöpfung vom Norden in den Süden.
Es wird berichtet, dass bis zu zehn Mitglieder des EZB-Rates die Politik des Gelddruckens nicht unterstützen. Formiert sich innerhalb der EZB Widerstand gegen das Vorgehen?
Hans-Werner Sinn: Man weiß schon länger, dass ein erheblicher Konflikt zwischen der Bundesbank und der EZB-Führung herrscht. Deswegen haben Bundesbankpräsident Axel Weber und EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark 2010 entschieden, gemeinsam zurückzutreten. Das haben sie dann ein Jahr später mit zeitlicher Verzögerung, aber unter offenem Protest gemacht. Die Bundesbank wird seitdem bei den wichtigen Entscheidungen stets überstimmt.
Wie durch die Geheimprotokolle, die die „New York Times“ veröffentlicht hat, deutlich wurde, ist sie auch bei der Zypern-Rettung überstimmt worden. Zypern hat ja im Jahr 2012 neun Milliarden Euro Geld aus der Druckerpresse in Form von Krediten an die Banken geben dürfen, um den reichen Russen sowie den Investoren aus London und Athen noch die Möglichkeit zu verschaffen, sich aus dem Staub zu machen.
Das war eine Konkursverschleppung, und wie immer diente sie dazu, bestimmten Gläubigergruppen noch den Ausweg zu ermöglichen und andere, in diesem Fall eben die EZB, dann auf dem Schrott sitzenzulassen. Das hat die EZB gegen die erklärte Meinung der Bundesbank seinerzeit aber mitgetragen.
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Sie plädieren für Wettbewerb und gegen Bail-outs. Spätestens seit 2007/2008 retten wir aber Banken, weil diese als systemrelevant betrachtet werden. Warum findet diese Politik kein Ende?
Hans-Werner Sinn: Also, es ist schon in jeder Krise so gewesen, dass die Banken sagen, wenn ihr uns nicht rettet, dann geht ihr mit uns unter. Nun hat die Bankenbranche zugegeben einige Argumente für sich, wenn sie das sagt.
Aber man übertreibt eben doch gern, und in diesem Fall ist es so, dass es um die Banken Südeuropas ging, die in großen Schwierigkeiten stecken. Sie haben ihr Geld an Staaten verliehen, die nun bankrott sind, und an Immobilien-Sektoren, die kaputt sind. Da brannte also das Haus. Und dieser Brand musste gelöscht werden.
Das wäre in einem Gremium wie dem EZB-Rat wohl nicht mehrheitsfähig, wenn die Länder dort nach ihrer Größe vertreten gewesen wären, was sie aber nicht sind. Deutschland hat dort eine Stimme und ebenso viel zu sagen wie Zypern.
Die Südländer werden zudem von Frankreich und Luxemburg unterstützt, deren Banken zu den Hauptgeldgebern gehören. Wegen ihres großen Exposures waren sie von vornherein immer für eine exzessive Rettungspolitik, mit der sie sich selber retten.
Das heißt auch, dass diese Politik so weitergehen wird?
Hans-Werner Sinn: Ja, es wird weitergehen. Der erste Rettungskredit zieht den zweiten nach sich. Das ist wie bei einer Bank, die Kredite an ein marodes Unternehmen gibt, das diese Kredite nicht zurückzahlen kann. Sie muss immer wieder Anschlusskredite gewähren, damit die vorangehenden Kredite bedient werden. So kann man die Illusion wahren, es gäbe noch eine Forderung. Sobald die Bank aber den Anschlusskredit verweigert, geht der Kunde pleite und das Institut möglicherweise auch.
Das Gespräch führte Marc Radke.
Foto: Martina van Kann