Die Corona-Krise bringt neben den gesundheitlichen Gefahren auch weitreichende wirtschaftliche Verwerfungen mit sich. Neben vielen kleinen und mittelgroßen Betrieben stehen selbst große, börsennotierte Unternehmen unter massivem Druck. Das führt aktuell dazu, dass trotz satter Gewinne 2019 die Dividendenpolitik in Frage gestellt wird. Bei allem Verständnis für die Lage darf aber nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und dabei zentrale Anlegerrechte über Bord geworfen werden. Ein Gastbeitrag von RA Dr. Martin Weimann aus Berlin.
Waren anfangs nur bestimmte Branchen betroffen, wirken sich die zahlreichen Einschränkungen der Eindämmungspolitik immer stärker auf die wirtschaftliche Gesamtlage aus. Kristalina Georgieva vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erwartet die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen seit der Großen Depression. Für das Jahr 2021 hält sie allenfalls eine teilweise Erholung für möglich. Dagegen geht der Vermögensverwalter BlackRock davon aus, dass der „Makroschock“ weniger dauerhaft sein wird als nach der Finanzmarktkrise 2008/2009.
Doch was bedeutet das für die Dividendenpolitik? Worauf müssen Aktionäre sich jetzt einstellen?
Ursprünglich gingen Analysten davon aus, dass allein die im DAX, MDAX und SDAX gelisteten 160 Gesellschaften für 2019 insgesamt etwa 44 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner auszahlen würden. Viele Anleger und Fondsgesellschaften rechnen fest mit diesen Einnahmen und gerade für private Anleger stellen Dividenden ein alternativloses Kapitaleinkommen in der anhaltenden Niedrigzinsphase dar. Gleichzeitig stehen Vorstände und Aufsichtsräte in Anbetracht der ungewissen Gesamtentwicklung vor der Frage, ob die vorgeschlagenen Dividenden zu reduzieren oder gar komplett zu streichen sind. Mehr als ein Viertel der börsennotierten Unternehmen plant, keine Ausschüttung vorzunehmen. Das jüngste und wahrscheinlich prominenteste Beispiel ist adidas.
Reihenweise Absagen von Hauptversammlungen
Nicht gerade leichter wird für Anleger die Situation dadurch, dass die Corona-Pandemie im März und April reihenweise zu Absagen von Hauptversammlungen führte. Zwar hat der Gesetzgeber hier schnell gehandelt: Seit Ende März ermöglicht ein Gesetz zur „Milderung der Corona-Folgen“ virtuelle Hauptversammlungen. Das machte die Aktiengesellschaften grundsätzlich wieder uneingeschränkt handlungsfähig. Neben Gewinnverwendungsbeschlüsse können sie nun auch alle anderen Beschlüsse fassen, wie beispielweise zu einem Squeeze-out oder Satzungsänderungen. Robert Peres von der „Initiative Minderheitsaktionäre“ warnt jedoch: „Die virtuelle Hauptversammlung schränkt Frage- und Anfechtungsrechte der Aktionäre ein und kann daher nur eine temporäre Maßnahme sein. Wir müssen aufpassen, dass Corona nicht zu dauerhaft reduzierten Mitwirkungsrechten der Eigentümerversammlung führt.“
Dies könnte auch bei der nun auf vielen Hauptversammlungen anstehenden Dividendenfrage durchaus eine Rolle spielen. Auch wenn das Jahr 2019 satte Gewinne bescherte, wird es aller Voraussicht nach nicht so weitergehen. Eine seriöse Prognose für 2020 ist schwierig, denn niemand weiß heute, wann es zu einem Ausstieg aus den Notfallmaßnahmen kommen wird und wie schnell dieser tatsächlich vollzogen wird. Diese Rahmenbedingungen stellen sowohl Vorstände als auch Aufsichtsräte vor schwierige Planungs- und Prognoseentscheidungen, wenn es um die Höhe der Dividende geht.
Wer entscheidet über Dividenden
Auch wenn die Entscheidung über die Dividende letztlich bei der Hauptversammlung liegt, haben Vorstand und Aufsichtsrat ein gemeinsames Vorschlagsrecht. Die gegenwärtige Gesamtsituation stellt sie – wie auch einen Großaktionär mit Hauptversammlungsmehrheit – vor eine komplexe Abwägung von Interessen. Einerseits haben die Öffentlichkeit und damit die Wähler kein Verständnis für hohe Dividenden, wenn dann vielleicht später staatliche Unterstützung benötigt wird. Andererseits rechnen viele Anleger mit regelmäßigen und möglichst gleichbleibenden Dividenden in ihrer Vermögensplanung. Was jedoch unter keinen Umständen legitim ist, ist, dass sich Aufsichtsräte und Vorstände Boni genehmigen, und gleichzeitig Dividenden zurückhalten wollen. Aktionärsschützer Robert Peres weist darauf hin, dass bei Neuauflage oder Anpassung von Bonusprogrammen Aktionäre gut beraten sind, besonders auf die Berechnungsgrundlagen zu achten. Das kann man nur unterstreichen. Oder anders gesagt: Eine kurz- oder mittelfristige Erholung der Wirtschaftsleistung auf den Stand vor der Corona-Krise darf nicht zu den gleichen Bonuszahlungen führen, wie die nachhaltige Erreichung weiterer Ziele.
Branchen unterschiedlich stark betroffen
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Branchen ganz unterschiedlich von dieser beispiellosen Krise betroffen sind und mit den Auswirkungen zu kämpfen haben werden. So könnte es zum Beispiel bei langlebigen Wirtschaftsgütern wie im Anlagen- und Maschinenbau eher zu Nachholeffekten kommen. Ganz anders sieht es dagegen in der Hotel-, Reise- und Tourismusbranche aus. Jede nicht gebuchte Übernachtung und jeder nicht gebuchte Flug ist verlorener Umsatz – die Nachholeffekte dürften nicht zuletzt aufgrund beschränkter Kapazitäten nicht sehr hoch ausfallen. Das gilt besonders dann, wenn sie mit einem signifikanten Kaufkraftverlust bei Endverbrauchern, Touristen oder Geschäftsreisenden einhergehen.
Und eine völlig neue Gesamtsituation entsteht, wenn die Corona-Pandemie nach dem ersten exogenen Schock in einem zweiten Schritt endogen auf die Volkswirtschaften einwirkt. Entladen sich dann tektonische Spannungen zum Beispiel aus den Immobilien-, Kredit- oder Währungsmärkten, ergeben sich weitere erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation jedes einzelnen Unternehmens samt seiner Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre. Eine derart veränderte Gemengelage würde zwangsläufig zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Gesamtsituation führen – und natürlich auch Einfluss auf die Vergütung der Organe und die Dividenden haben.
Keine einseitige Belastung der Minderheitsaktionäre
Mit dem Lockdown und der Aussetzung vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten gehen elementare Grundrechtsbeschränkungen einher. Derzeit ist die Bevölkerung noch bereit, diese Beschränkungen mitzutragen. Anleger erfahren nun noch weitergehende und belastende Rechtsverluste. Management und Großaktionäre sind gut beraten, gerade jetzt die Minderheitsaktionäre nicht aus dem Blick zu verlieren. Kleinere Anleger können sich gegenwärtig eine Meinung darüber bilden, wie das Management mit den Herausforderungen durch die Pandemie umgeht. Den Minderheitsaktionären ist daran gelegen, dass ihre Unternehmen in schwierigen Zeiten handlungsfähig bleiben, selbst wenn das bedeutet auf Dividendenzahlungen zu verzichten. Ebenso wichtig ist jedoch, dass die aus der Corona-Krise resultierenden Belastungen fair verteilt werden und auf Unternehmensebene auch das Management seinen Anteil leistet, beispielsweise durch Zugeständnisse bei Gehältern und Bonuszahlungen. Wer das nicht berücksichtigt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm bei der nächsten Kapitalmaßnahme oder an anderer Stelle der lebenswichtige Rückhalt durch sein Aktionariat fehlt.