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Hendrik Leber, Acatis: „Für viele Amerikaner wird es noch ein böses Erwachen geben“

Foto: Dirk Beichert
Dr. Hendrik Leber, Acatis Investment: "KI wird ein dominanter Teil des Asset Managements sein."

Dr. Hendrik Leber ist Gründer und CEO von Acatis Investment. Cash. sprach mit ihm vor der turbulenten Zollpolitik der USA über die aktuelle Lage an den Kapitalmärkten in Amerika, Europa und Asien, die Folgen der Trumpschen Politik für die Märkte, die Herausforderung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Asset Management, über das Thema finanzielle Bildung sowie den Veränderungsprozess in der Fondsbranche.

Das Börsenjahr 2025 läuft: Geht die Trump-Rallye jetzt weiter oder wird er wieder eingebremst?
Dr. Leber: Ich glaube, er wird gebremst. Ich hätte nicht erwartet, dass der Stress an den Kapitalmärkten jetzt schneller kommt. Im Gegenzug sehe ich, dass Europa interessant ist. Auf einer Konferenz in Lyon habe ich mir kürzlich zwei Dutzend Unternehmen angeschaut. Ich hatte den Eindruck, dass die Unternehmen gut aufgestellt sind, ein gutes Wachstum haben und viel günstiger sind als vergleichbare amerikanische Unternehmen. Ein Beispiel: In Amerika gibt es eine große Firma namens Cintas, die Wäsche für Hotels oder Gefängnisse wäscht. Und in Europa gibt es eine vergleichbare große Firma namens Elis. Die amerikanische ist mindestens doppelt so teuer wie die europäische, hat aber ein ähnliches Wachstum und ähnliche Cashflows. Wenn die amerikanische Firma so teuer ist, warum kaufe ich dann nicht lieber die europäische? Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass wir in diesem Jahr vielleicht eine Trendwende zugunsten Europas erleben, auch wenn wir uns als Kontinent in einem sehr langfristigen Abwärtstrend befinden.

Inwiefern?
Dr. Leber: Einerseits deindustrialisieren wir, und wir haben wenig, was an diese Stelle tritt. Gleichzeitig haben wir einen solchen Tiefpunkt erreicht, dass es eigentlich nicht weiter runtergehen kann. Sondern wir haben hingegen durchaus die Chance, einmal ein bisschen zu reformieren und wieder etwas frischen Wind in die Volkswirtschaften zu bekommen.

Noch mal zurück zu den USA: Viele Unternehmen sind hoch bewertet. Trotzdem ist der Optimismus der Anleger sehr groß. Ist da zu viel Sorglosigkeit im Spiel?
Dr. Leber: Das ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Es heißt ja mittlerweile, Donald Trump wurde in der ersten Amtszeit unterschätzt und in der zweiten wird er überschätzt. Trump wurde von vielen Kleinunternehmern und Bauern gewählt, die wirtschaftlich auf mehr Freiräume gesetzt haben. Allerdings setzt er um, was er angekündigt hat, und das tut weh. Ich glaube, wir werden im nächsten halben Jahr eine Desillusionierung der Bevölkerung sehen, wenn sie erkennt, dass seine Maßnahmen nicht folgenlos sind. Das sieht man zum Beispiel in Berichten von Restaurants, die 30 Prozent ihres Personals verschwinden lassen müssen, weil diese illegal dort arbeiten. Wenn das Personal fehlt, steht das Restaurant still. Ähnliche Situationen gibt es in vielen anderen Sektoren. Und es geht weiter mit den Zöllen, die Donald Trump bereits verhängt oder angedroht hat gegen Kanada, Mexiko, China und die EU. Zölle sind Steuern, die die Inländer zahlen. Dadurch wird alles teurer, und die Inflation wird steigen. Für viele Amerikaner wird das noch ein böses Erwachen geben.


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Das ist ja auch ein Widerspruch in sich. Einerseits will Trump die Zinsen im Blick und im Zaum behalten, auf der anderen Seite bringt er nur Maßnahmen auf den Weg, die die Inflation antreiben.
Dr. Leber: Das Problem ist, er kann keine Wunder bewirken, aber er tut so. Für alles, was er anordnet, gibt es einen Preis. Auf der anderen Seite finde ich es grundsätzlich positiv, dass er Elon Musk zum Bürokratieabbau einsetzt. Die Bürokratien sowohl in den USA als auch in Europa haben sich verselbstständigt. Viele Behörden sind zu sehr auf sich selbst bezogen, eine Kommunikation untereinander ist oft nicht möglich.

Übersetzen wir diese Gemengelage einmal auf die Investitionsseite. Wie positionieren Sie sich aktuell in den USA?
Dr. Leber: In unseren Portfolios ist sehr viel IT und Healthcare enthalten. Im IT-Bereich haben wir zum Beispiel Alphabet, Amazon, Microsoft, Nvidia und Palantir. Denn diese Firmen werden mit oder ohne Trump profitieren. Mit Trump können sie auf Regierungsaufträge hoffen, und ohne Trump haben sie immer noch einen Riesenbinnenmarkt, ihr Fachwissen im Bereich KI und eine große Kundenbasis.

Palantir wird als Nachfolger von NVIDIA gehandelt.
Dr. Leber: Ja, aber Palantir besetzt ein anderes Geschäftsfeld. Das Unternehmen ist eher mit SAP zu vergleichen. Wahrscheinlich wird jede Firma Palantir brauchen können, weil sie standardisierte Lösungen anbietet, die KI in die Unternehmen bringt.

Die KGVs sind ja relativ teuer im Moment, haben fast das 2000er-Niveau erreicht.
Dr. Leber: Wir haben ein Modell, mit dem ich für jede Firma auf der Welt die Internal Rate of Return berechnen kann. Bei meinen besten Firmen in Europa liegt dieser Wert bei 9 Prozent, bei den besten in den USA vielleicht bei 6 Prozent. Das gleiche Bild ergibt sich bei den Free Cashflow Yields. Da sind die Europäer drei Prozentpunkte attraktiver, haben zwar weniger Wachstum, aber sind einfach interessanter bewertet.

Sehen Sie irgendwo Crash-Potenzial?
Dr. Leber: Ja, zum einen mit der Trump-Regierung, das hatte ich gerade erwähnt. Interessant ist im Moment das Thema DeepSeek. Es macht deutlich, dass KI auch billiger entwickelt werden kann, als die Amerikaner es gemacht haben. Das neue Modell „DeepSeek-R1“ kostete acht Millionen, während die amerikanischen Modelle durchaus auch mal Milliarden kosten können. Dieser Hype um mehr und mehr „KI-PS“ wird dann hinfällig. Dann werden diese Wachstumsraten am Ende nicht ganz so groß sein, wie man heute erwartet. Trotzdem denke ich, dass sie kommen und die Amerikaner vorne bleiben werden, aber vielleicht nicht mit den Rieseninvestitionsvolumina. Die Schuldenproblematik ist für mich ein weiteres großes Thema. Wir erleben mittlerweile jedes Jahr, dass eine Nation mit ihren Staatsschulden von den Märkten vor sich hergetrieben wird. Vor einiger Zeit Großbritannien, auch Frankreich ein bisschen und warum nicht jetzt die USA, also ein Käuferstreik bei amerikanischen Staatsanleihen? Die Amerikaner brauchen wegen ihres Handelsbilanzdefizits einfach eine externe Kapitalzufuhr. Wenn dieses Kapital nicht mehr kommt, wird es schwierig für die Amerikaner.

Gibt es außer einigen vollmundigen Aussagen von Trump im Bereich KI, Impulse, die nachhaltige Wirkungen, entfalten könnten?
Dr. Leber: Steuersenkungen sind immer eine feine Sache. Sie funktionieren aber nur, wenn ich auch die Bürokratie abbaue und dadurch die Kosten minimiere. Strategien, die nachhaltig und konsistent sind, sehe ich dagegen nicht.

Blicken wir einmal auf China. Peking versucht mit diversen Maßnahmen, die konjunkturelle Schwäche zu überwinden und das Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen. Klappt das?
Dr. Leber: Ich denke, ja. Wir hatten letztes Jahr immerhin schon einen Börsensprung um 30 Prozent. Es geht jetzt darum, den chinesischen Privatanlegern und den ausländischen Investoren wieder Zuversicht zu geben. Sobald der Immobilienmarkt stabilisiert ist, kommt auch die Zuversicht wieder, dass sich das Investieren wieder lohnt. Das wird auch dem Aktienmarkt guttun. Die Frage ist nur, wie lange es noch dauern wird. Die Regierung erlaubt, die Eigenkapitalanforderung etwas zu lockern, die Zinsen zu senken und überschüssige Wohnungen vom Markt zu kaufen und als Sozialwohnungen bereitzustellen. Das Programm braucht einfach ein paar Jahre, bis es greift. Wir sehen gleichzeitig, dass die Chinesen weniger importieren, etwas ärmer werden und sagen: „Warum soll ich nicht ein einheimisches Produkt nehmen? Ich brauche das teure ausländische nicht.“ Auch hier haben wir eine Verschiebung, und ausländische Investoren sind de facto im Moment nicht da. Viele haben einfach ihre China-Aktivitäten eingestellt, weil sie sagen: „Ich traue dem Land nicht.“ Die chinesische Regierung ist nicht dumm. Meiner Ansicht nach werden sie den Kapitalmarkt wieder etwas liberalisieren und es den Ausländern leichter machen, dort zu investieren. Und die Exportstärke Chinas wird bleiben. Bestes Beispiel ist der Automobilsektor, wo sie uns auf der Kostenseite einfach vorführen.

Wirkt sich das auch auf die Aktienperformance aus?
Dr. Leber: Das hat es bereits im letzten Jahr. Und ich bin weiterhin optimistisch für chinesische Aktien. Deshalb reise ich demnächst wieder nach Shanghai und Hongkong, um mit dem letzten Jahr zu vergleichen und zu sehen, ob und wie sich das Land verändert hat.

Wie ist Ihre Meinung zu Indien?
Dr. Leber: Ich war ein paar Jahre nicht da, Indien soll „heiß“ sein und unglaubliche Energien freisetzen. Wir hatten einmal einen indischen Fonds, für den sich die Anleger nicht interessiert haben. Deshalb haben wir ihn wieder eingestellt, aber wir haben noch eine Zulassung, mit unserem Asien-Pazifik-Fonds in Indien investieren zu dürfen. Allerdings sagt unser Kollege vor Ort, die Firmen seien viel zu teuer und viele Leute korrupt, und er möchte bei vielen Firmen nicht investieren, obwohl sie hierzulande einen guten Namen haben. Aber das Land ist faszinierend und voller Energie.

Kommen wir noch einmal zum Thema Künstliche Intelligenz: Welche Rolle spielt KI derzeit im Asset Management?
Dr. Leber: Eine ganz geringe. Wir unterstützen regelmäßig KI-Konferenzen, auf denen wir große Ankündigungen sehen, aber nur geringe Erfolge und unterschiedlichste Interpretationen, was KI eigentlich ist. Wenn jemand den Researchbericht mit KI durchgeht: Ist das jetzt KI im Fondsmanagement oder nicht? Es ist dann ein Unterstützungswerkzeug, und das nutze ich natürlich auch jeden Tag reichlich. Der schwierige Part ist, aus KI wirklich Anlageentscheidungen herauszuziehen. Es gibt nur wenige Gesellschaften mit voll integrierten Modellen, die Informationen so aufbereiten, dass sie unmittelbar zu einer KI-Aktienentscheidung führen. Das heißt, die Maschine übernimmt den Denkprozess. Das Handelsblatt fragt die KI regelmäßig: Welche zehn Aktien sollte ich kaufen? Häufig sind ganz gute dabei. Aber es sind die Aktien, die im Internet viel zitiert werden. Im Grunde wird hier die Intelligenz der Massen genutzt, aber es sind keine echten KI-Entscheidungen. Ich denke, es ist noch ein weiter Weg. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass eine Anwendung von KI im Finanzmarkt schwierig ist. Zum einen, weil die Datenmenge nicht so besonders groß ist – wir haben nur ein paar Millionen Daten und nicht Billionen –, und weil die Regeln sich dauernd ändern. Beim Schachspielen kann ich auf das Schachbrett optimieren. Das ist seit über 1.000 Jahren gleich. An den Aktienmärkten ändern sich die Regeln, Stimmungen, Themen, regulatorischen Vorgaben laufend. Das heißt, das Modell muss im Grunde immer in einer neuen Welt lernen und hat wenig Vergangenheit, aus der es Schlussfolgerungen ziehen kann.

Zu wenig Daten und zu viele Veränderungen – ist das die Schwierigkeit bei der Nutzung von KI im Fondsmanagement?
Dr. Leber: Im Grunde ja. Wenn ich das Modell auf meinem Datenset von ein paar Tausend Aktien über 20 Jahre trainiert habe, dann sind die Daten informationstechnisch verbraucht. Die Zukunft ist wieder anders. Ist die KI anpassungsfähig für eine neue Welt, in der ein Donald Trump durchdreht oder eben auch nicht, wo der Euroraum zusammenhält oder nicht? Und eine KI muss generalisieren können. Sie muss allgemeine Regeln lernen aus dem, was sie beobachtet. Und dann kommt sie wieder zu den fundamentalen Kriterien des Value Investing zurück und sagt: Eine gute Aktie mit hohen Gewinnen und einem tollen Marktanteil, ist eine Aktie, die man haben sollte. Dann ist die KI fast wieder am Menschen, der in einer ähnlichen Situation eine ähnliche Aktie ausgesucht hätte. Die KI erlernt sozusagen die ewigen Wahrheiten des Investierens.

Welche KI-Fonds haben Sie im Moment?
Dr. Leber: Wir haben den ACATIS AI Global Equities und den ACATIS AI US Equities, die mit unserem hauseigenen Modell befeuert werden. Und wir nehmen die Kombination von Vorschlägen der Maschine und des Menschen im ACATIS Global Value Total Return, unserem im Grunde besten Fonds. Zudem haben wir ein Zertifikat mit Goldman Sachs aufgelegt, das auf dem neuen Bayesian Flow Model, einem Model of Everything, basiert. Das Zertifikat füllen wir gerade auf. Mit 20 Aktien sind wir gestartet, jetzt sind wir bei 40, wollen aber bis auf 50 oder 60 hoch und dann periodisch rein- und rausrotieren.
Widmen wir uns noch einmal einem ganz anderen Thema. Die seit langem diskutierte finanzielle Bildung wird angesichts der Rentenproble- matik immer wichtiger. Was würden Sie jungen Menschen raten, die jetzt in den Vermögensbildungsprozess einsteigen?
Dr. Leber: Ich mache mal einen kleinen Schlenker, weil mir das Thema unendlich wichtig ist. Wir haben die Idee eines Altersvorsorgedepots – wir werden sehen, ob die neue Bundesregierung das Konzept weiterverfolgt – auf einer eigenen Website beschrieben. Es ist so dargestellt, wie man es optimal gestalten könnte. Das beinhaltet auch die Einbeziehung der Kinder, damit sie ganz früh den Kontakt zur Finanzwelt bekommen. In Deutschland sind wir nur deswegen unterentwickelt, weil wir zum einen den Banken und Versicherungen das Leben am Kapitalmarkt schwermachen. Und weil die Lehrer – denen selbst das Know-how fehlt – nicht wissen, was sie den Kindern beibringen sollen. Ich stelle mir mal vor, ein 10-jähriger Junge bekommt von der Patentante ein Geldgeschenk. Schon im Kindesalter wäre es wichtig zu wissen: „Warum geht der Aktienmarkt hoch und runter? Soll ich lieber Einzelaktien kaufen oder Fonds?“ Meine Empfehlung wäre, dieses Altersvorsorgedepot zu nutzen und frühzeitig damit zu beginnen. ETFs sind auch gut, gute Fonds, aber auch Einzelaktien, die er kennt. Es könnte sein, dass der Vater oder die Mutter bei einer Firma arbeitet, die er kennt. Es kann sein, dass er ein Videospiel hat und herausbekommt: Wer bietet das eigentlich an? Es geht darum, sich mit Dingen zu beschäftigen, die ihm persönlich nahe sind und dort ein Miniinvestment zu machen, dann viel Zeitung zu lesen und zu beobachten, was er über die Firmen lernt. Ich glaube, dieses Lernen am eigenen Investment ist eine Voraussetzung, um später erfolgreich zu werden.

Letzte Frage mit Blick auf die Fondsbranche in Deutschland. Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel?
Dr. Leber: Ich weiß nicht, ob es ein Paradigmenwechsel ist. Es ist einfach eine stetige Entwicklung in die Richtung, denn so plötzlich kam der ETF-Hype nicht. Während meines Studiums in den USA wurde das Thema „Effiziente Märkte“ stark diskutiert. Schon damals gab es diese Vergleiche: Aktive Manager versus ETFs. Da hieß es einfach, ETFs sind im Regelfall näher dran am Index, und weil der aktive Manager rundherum pendelt, ist der Index-Tracker die überlegene Anlage. Deshalb denke ich, das ist einfach nur eine Trendentwicklung über 50 Jahre. Aber was passiert mit dem großen erfolglosen Teil des Investmentmarktes? Verschwindet er komplett, oder verschwindet er nicht? Meine These seit Jahren ist, das Mittelmaß an Fondsmanagern muss verschwinden. Die braucht es nicht. Aber es wird immer eine Boutiquenwelt geben, die in einer Nische gut leben kann. Es braucht Platz für die Kreativität, für die Arbeit an einem guten Produkt. Die ist dann auch teurer. Ich glaube, Boutiquen oder Satelliten können neben diesen hauptindexnahen Produkten sehr gut bestehen, wenn sie wissen, was sie tun. Das war der eine Zukunftszweig. Der andere Zukunftszweig reicht in die Künstliche Intelligenz hinein, bei der wir einfach unterschätzen, was sie alles kann. Die KI wird einen dominanten Teil der Asset-Management-Branche ausmachen müssen, weil sie wesentlich besser ist, Informationen zu verarbeiten, zu interpretieren, aus der Vergangenheit zu lernen.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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