Hepster-Gründer: „Versicherer unterschätzen, was gerade am Markt passiert“

Foto: Martin Schneegans
Die Hepster-Co-Founder Hanna Bachmann und Alexander Hornung

Sie galten als die jungen Wilden, die den etablierten Versicherern das Fürchten lehren wollten. Diese Disruption ist bislang ausgeblieben. Dennoch sind die Hepster-CO-Founder Hanna Bachmann und Alex Hornung überzeugt, dass sich die Vorzeichen in der Branche deutlich verändern. Weil eine neue Kundengeneration in den Startblöcken steht. Ein Gespräch über digitale Baustellen in der Assekuranz, Insurtech 2.0, das Potenzial von Embedded Insurance sowie die Zukunft der Beratung.

Die Pandemie wird stets als Katalysator für die Digitalisierung benannt. Wo steht die Branche aus Sicht der Digitalexpertin, Frau Bachmann?

Bachmann: Das Thema hat mehrere Seiten, denn die Pandemie hat noch ein paar andere Dinge mit uns und der Wirtschaft getan. Aber als Katalysator für die Digitalisierung kann man sie unserer Meinung nach definitiv benennen. Zum einen natürlich, wie die Unternehmen arbeiten: Also interne Prozesse, interne Strukturen. Das Homeoffice funktioniert auch, wenn ich in einem großen alten Konzern sitze. Aber es hat natürlich auch sehr viel Einfluss auf das Kundenverhalten und die Kundenbedürfnisse gehabt. Ich glaube, dass das Thema digitale Dienstleistungen einer der Triggerpunkte bleibt. Und da geht es nicht nur darum, dass ich auf Amazon shoppe oder Netflix sehe. Sondern es geht auch um Banking oder um das Thema Versicherungen.

Wo sehen Sie die digitalen Baustellen bei den Versicherern, Herr Hornung?

Hornung: Ich sehe zwei ganz wesentliche Baustellen. Das eine sind fehlende Kapazitäten, um digitale Versicherungsprodukte zu integrieren, wenn sie diese denn haben. Gerade das Thema „Embedded“ ist ganz wichtig. Aber am Ende fehlen die Kapazitäten, um diese Produkte beim Partner, am Touchpoint, so zu integrieren, dass der Kunde sie kauft. Zudem haben sie auch zu wenig Erfahrung im Bereich Vertrieb, weil Versicherer das klassischerweise an Makler oder Vermittler auslagern. Das zweite Thema, und das ist die viel größere Baustelle, sind die internen Prozesse. Der Datentransfer oder die Schadenbearbeitung. Gerade bei der automatisierten Schadenbearbeitung gibt es große Baustellen. Deswegen sind wir, Hepster, und die anderen Player so wichtig, weil wir die Bindeglieder schaffen. Wir schaffen die digitalen Produkte, wir haben die digitalen Prozesse. Eben das, was die Risikoträger aktuell nicht haben, um echte digitale Versicherungsprodukte zu erschaffen, zu managen, zu verwalten und beim Kunden zu integrieren.

Sie hatten das Thema Schadenbearbeitung erwähnt. Warum hapert es beim Thema Digitalisierung immer noch?

Hornung: Die großen Gesellschaften haben eine riesige Legacy. Das heißt, ich kann nur einen Schaden automatisiert bearbeiten, wenn meine Maschine, mein Coresystem, diese Daten aus diesen Produkten auch lesen kann. Und nur dann kann die Maschine auch einen Schaden bearbeiten und entscheiden, ob für ein versichertes Risiko im Schadensfall die Leistungen gezahlt werden. Das funktioniert nur, wenn ich die Produkte von vornherein auch so im Core-System angelegt habe. Und das haben die Versicherer natürlich nicht, weil die Bestände ja Jahrzehnte alt sind. Deswegen die Teilschritte. Die Fotoerkennung ist der erste kleine Schritt. Digitale Schadenmeldeprozesse der nächste. Am Ende müssen diese Daten aber zusammengefügt und maschinell lesbar gemacht werden. Und das ist eine Mammutaufgabe. Da haben es Unternehmen wie unseres natürlich viel leichter.

Ulrich Papke von Blau Direkt sprach gegenüber unserem Magazin davon, dass jeder in Branche zwar sage, dass er etwas mit Digitalisierung mache. Wenn man allerdings nachfrage, würde das potemkinsche Dorf in sich zusammenfallen. Haben viele Unternehmen die Vielschichtigkeit dieses Prozesses nicht durchdrungen?

Hornung: Die Frage ist doch, was ich machen muss? Also muss ich mir die Customer Journey in der Gesamtheit ansehen. Das geht vom Risiko, das versichert werden soll, bis hin zum realen Schadenersatz. Ich rede nicht von Geld, sondern von echtem Realersatz. Niemand beschäftigt sich gern mit der Versicherung. Und ich kenne niemanden, der gerne einen Schaden behandelt, weil es komplex ist. Diese Prozesse müssen von Anfang bis Ende betrachtet werden. Das machen die Versicherer auch. Aber das sind viele komplexe prozessuale Themen. Gerade für tradierte Versicherer mit Spartentrennung. Die Lebensversicherung läuft anders als eine Krankenversicherung und die wieder anders als die Sachsparte. Deswegen wird immer nur in Teilschritten digitalisiert. Und meistens am Frontend, wo der Kunde es erlebt. Aber viel wichtiger ist, dass das Backend digitalisiert ist, damit Prozesse sauber und schnell ablaufen. Weil es genau das ist, was der Kunde will: Online abschließen. Und das ist der Nachteil für die Gesellschaften. In Echtzeit bedeutet für den Kunden eben auch: Wenn ich den Schaden habe, erwarte ich die Regulierung in Echtzeit.

Bachmann: Den großen Konzernen ging es jahrzehntelang extrem gut und es geht ihnen immer noch extrem gut. Das heißt, der Schmerz, um wirklich fundamental etwas zu ändern war vermutlich bisher noch nicht groß genug. Mittlerweile wird der Druck aus dem Markt, in Deutschland, in Europa, global immer größer; weil die Lösungen, die geschaffen werden. Und da spreche ich jetzt nicht nur von KI oder von „Embedded Insurance“. Die Trends werden insgesamt immer holistischer, ausgefeilter und einfacher für den Kunden. Wenn wir von Versicherungs-IT sprechen, tauchen immer wieder Begriffe wie Legacy oder monolithisch auf. Das ist eine riesengroße Aufgabe für ein Unternehmen, das Tausende von Mitarbeitern und Hunderttausende von Kunden hat, solch ein System umzustellen. Und erfordert enorme Investitionen. Ich habe ein Stück weit auch Verständnis, weil die Unternehmen immer noch Umsätze und Kunden haben. Aber das wird sich ändern.

Sie sprachen eben die Begriffe monolithisch und Legacy an. Wo liegen hier die Probleme für die Versicherer?

Bachmann: Hepster ist sieben Jahre alt und wir haben unser System so aufgebaut, dass es aus Millionen verschiedenen Bausteinen besteht. Das können Prozesse in der Customer Journey sein, das können Module im Versicherungsprodukt sein oder API-Schnittstellen. Wir können all diese verschiedene Module unterschiedlich ansteuern und auch einzeln weiterentwickeln. Die IT eines Großkonzerns, und da geht es ja nicht nur um Versicherungen, besteht aus einem System. Und aus diesem System muss ich Fragmente herauslösen und nach und nach überarbeiten. Milliarden Kundendaten kann ich nicht auf einen Schlag ändern, weil eben alles miteinander zusammenhängt.

Wenn Sie über die Zukunft der Insurtechs sprechen, erwarten Sie, dass diese mit maßgeschneiderten Versicherungen Milliardenumsätze generieren werden, obwohl niemand auch nur den Namen des Unternehmens kennt. Sie sprechen in dem Zusammenhang von unsichtbaren Versicherern und von Insurtech 2.0. Was verstehen Sie darunter?

Bachmann: Das Insurtech 1.0 hatte seine Hochphase 2017/2018. Damals ging es um zwei Dinge. Punkt 1: Überhaupt eine digitale Wertschöpfungskette für Versicherungsprodukte anbieten zu können, also alles digital aufzusetzen. Zudem ging es bei Insuretech 1.0 vorrangig um das Endkundengeschäft. Vor fünf, sechs Jahren haben alle in der Branche über situative Versicherungsprodukte gesprochen. Das war der Holy Grail. Und ist es auch heute noch. Insurtech 2.0 ist die Weiterentwicklung, und zwar hin zu dem, wofür am Ende dieser neue Begriff „Embedded Insurance“ steht: Dass wir – und das meint der Begriff „unsichtbare Versicherer“ – als Anbieter für Versicherungslösungen zurücktreten. Es geht im Grunde gar nicht um Markenfragen, sondern darum, dass der Kunde ein Versicherungsprodukt gar nicht mehr proaktiv konsumiert. Zumindest sehe ich das für den P&C-Bereich.

Und das bedeutet im Detail?

Bachmann: Der Kunde geht davon aus, dass in das, was immer er konsumiert – ob eine Reise, ein Auto, das er mietet, ein Fahrrad, das er least oder einen Laptop – eine Versicherung integriert ist. Und die unterscheidet sich von den Tarifen wie wir sie kennen. Hinsichtlich des Umfangs und der Prämien. Es ist eine Police, die ist genau das versichert, was benötigt wird. Der Zeitraum ist dabei stets flexibel. Entweder läuft die Versicherung automatisch aus, oder ich kann sie irgendwann, kurzfristig kündigen. Das meinen wir mit Insurtech 2.0. Das ich als Unternehmen dem Endkunden ein Versicherungsprodukt verkaufe, war 1.0. 2.0 heißt: Ich muss schauen, wo der Kunde kauft. Und dort muss ich als Versicherer dann auch schon sein.

Viele Versicherer verstehen sich aber immer noch als Marke, die sie im Markt und beim Kunden platzieren. Wenn ich Sie richtig verstehe, zählt das nicht mehr. Zumindest im Sachbereich.

Bachmann: Testfrage: Wüssten Sie, wer hinter dem Apple Care steckt?

Nein, das wüsste ich jetzt nicht.

Bachmann: Und das ist der Punkt. Weil es dem Kunden am Ende gleichgültig ist. Er sucht das Produkt und die Experience bei der Marke, nämlich bei Apple. Ich kaufe ein iPhone. Und wenn Apple mir hierzu eine Versicherung anbietet, dann gehe ich automatisch davon aus: Apple steht für Qualität. Und so wird auch das Versicherungsprodukt sein. Dem Kunden ist es vollkommen gleichgültig, welcher Versicherer, welche Marke dahintersteht oder ob Apple es selbst entwickelt. Hauptsache, es funktioniert.

Und wie kann ich sicher sein, dass der Hersteller wirklich die beste Absicherung anbietet?

Hornung: Weil die Versicherung 100 Prozent auf das Konsumgut abgestimmt ist. Und das ist die Schwierigkeit, die ein Kunde draußen hat. Wirklich aktiv setzt sich mit Versicherungen niemand auseinander. Er verlässt sich auf einen Makler oder seinen Versicherungsvertreter. Ob das eine gute Wahl war, zeigt sich spätestens im Schadensfall. Der Vorteil von „Embedded“ ist: B2B-Partner achten da sehr genau drauf. Also Apple Care hat einen sehr hohen Qualitätsanspruch. Deswegen sage ich: Ja, es ist das richtige Produkt, weil erstens, genau das, was der Kunde kauft, versichert ist. Und im Zweifel hat er auch bei Apple oder dem B2B-Partner immer noch eine Wahlmöglichkeit. Denn „Embedded“ heißt ja nicht automatisch immer, ich kauf das immer mit, sondern das ist technisch eingebunden. Und im Zweifel habe ich die Möglichkeit, das Versicherungsprodukt abzulehnen.

Bachmann: Und ich würde dem gerne noch eine Dimension hinzufügen, nämlich was passiert denn eigentlich danach? Wer guckt sich denn eigentlich an, ob ich in einem Schadenfall drei Tage oder drei Wochen warten muss? Und wie wird reguliert? Bekomme ich einfach Geld? Und das ist genau der Punkt. Wenn ein Kunde bei Apple das Produkt gekauft hat, dann kann er sich sicher sein, dass er in einem sehr adäquaten Zeitraum ein neues Gerät hat, falls etwas mit seinem alten Gerät ist. Und das ist ja die Form von Leistung, die der Kunde am Ende möchte.

Warum Embedded Insurance die Versicherungsbranche umkrempelt

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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