Jannes Vahl: „Hinter der Klimakrise lauert die Biodiversitätskrise“

Foto: Florian Sonntag
Jannes Vahl vor einem Wandgemälde des rumänischen Künstlers Saddo in der Zentrale von Nepada Wildlife in Hamburg

Cash. sprach mit Jannes Vahl, 2. Vorsitzender der Artenschutzorganisation Nepada Wildlife, über die Projekte der Organisation, den Verlust der Biodiversität und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.

Herr Vahl, wie kam es zur Gründung von Nepada Wildlife und wofür setzen Sie sich ein?

Vahl: Wir sind ein Artenschutzverein mit Sitz in Hamburg, der international agiert, weil wir uns auf die Regionen entlang des Äquators konzentrieren. Wir sensibilisieren für den Verlust von Biodiversität, also das komplexe Feld aus Artenvielfalt und dem Zusammenwirken von Flora und Fauna. Gegründet wurde Nepada im Jahr 2017 von Hannah Emde und mir. Dazu kam es, weil Hannah nach ihrem Abschluss als Tierärztin mehr machen wollte als nur ihren individuellen Job. Gemeinsam haben wir etwas geformt, das mehr Einfluss hat. Die Arbeit des Vereins beruht auf drei Säulen: Artenschutzprojekte am Tier und im Ökosystem, Artenschutzbildung etwa für Schulklassen und Artenschutzkommunikation, zum Beispiel über unsere Social-Media-Kanäle, Hannahs Bestseller „Abenteuer Artenschutz“ und ihre ARD-Serie „Hannah goes wild“. Außerdem sammeln wir Spenden, mit denen wir konkrete Projekte finanzieren. Wir arbeiten immer mit lokalen NGOs zusammen, weil wir nicht aus einer zentraleuropäischen Sicht heraus anderen Ländern sagen wollen, was sie falsch machen.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Vahl: Hannah hat zuletzt drei Projekte in Namibia finanziell für uns abgeschlossen – für Nashörner, Elefanten und Geparden. Im Moment ist sie für die Berggorillas in Ruanda. Vor genau 55 Minuten hat sie gemeinsam mit den lokalen Guides welche gefunden. Sehr viel größer ist aber unser Gibbon-Projekt auf Borneo, das sich auf den östlichen Borneo-Gibbon bezieht. Wir planen dort mit unseren örtlichen Partnern die erste Auffang- und Auswilderungsstation.

Wie und wo haben Sie das Artensterben ganz konkret wahrgenommen?

Vahl: Die von Menschen gemachte landwirtschaftliche Schneise, also der Übergang vom Regenwald zu einer Monokultur-Plantage, ist sicherlich mein eindrücklichstes Erlebnis. Man nimmt es mit allen Sinnen wahr, wenn man aus einem intakten Regenwald auf eine Brachfläche tritt. Sofort verändern sich die Vegetation und die Farbe der Erde. Man kommt aus einer unfassbaren Geräuschkulisse – Grillen, Zirpen, Vögel, Brüllaffen – und hört innerhalb weniger Schritte plötzlich nichts mehr. Und es stinkt. Diese Schnittstelle tut weh. Das ist ein unfassbar trauriger Moment. Dazwischen verläuft fatalerweise oft noch ein Siel, wo das regenbogenfarbige Abwasser der Plantage durchsickert und unkontrolliert in den nächsten Fluss läuft. Die Plantagen haben einen beige-rötlichen Boden, der komplett erodiert. Dort gibt es nur noch ein paar Ratten und vielleicht eine Schlange oder einen Greifvogel, die sich für die Ratten interessieren.

Der Klimawandel ist mittlerweile in aller Munde, das Bewusstsein für den Verlust der Biodiversität ist aber noch vergleichsweise gering. Woran liegt das und wie kann man das ändern?

Vahl: Ich glaube, dass viele Menschen nicht sehen, dass hinter der Coronakrise die Klimakrise lauert und dahinter die Biodiversitätskrise. Es ist die Aufgabe von Wissenschaft und Medien, Übersetzungsarbeit zu leisten und auf die Dringlichkeit hinzuweisen, denn hier in der Mitte Europas setzt man sich häufig nur dann mit anderen Kontinenten auseinander, wenn es um Urlaub geht. Es schmelzen Polkappen, Regenwälder stehen in Brand: Manches davon hat zwar Auswirkungen darauf, ob das eigene Lieblingsobst teurer wird, aber das wirtschaftliche System auf diesem Planeten ist so intakt, dass man nur ganz selten wirklich etwas davon mitbekommt. Corona hat im Grunde eine perfide Möglichkeit geboten, diese Zusammenhänge mal zu thematisieren.

Von 1992 bis 2014 wurden rund 40 Prozent des weltweiten Naturkapitals vernichtet, während sich das Finanzkapital verdoppelt hat. Was läuft da falsch?

Vahl: Es gibt noch immer sehr viele Unternehmen, die einen Riesenbammel davor haben, alles umbauen zu müssen, weil sie nicht nachhaltig agieren. Anleger und Investoren gucken aber mittlerweile ganz genau darauf, wie zukunftsträchtig ihre Investments noch sind. Nachhaltigkeit wird jetzt ganz automatisch ein Trend – nicht nur, weil es sanktioniert wird, sondern weil es richtig ist, so zu handeln. Wenn ein Vorstand oder eine Geschäftsführerin ein Kind hat, das bei „Fridays for Future“ mitmacht oder wenn die Familie auf Fleischalternativen umstellt, wird das irgendwann auch ins Gewissen sickern.

Jannes Vahl im Gespräch (Foto: Florian Sonntag)

Auf der Biodiversitätskonferenz in Montreal wurde im Dezember eine globale Vereinbarung für den Schutz, die nachhaltige Nutzung und die Wiederherstellung der Natur getroffen. Kann das Abkommen das Artensterben aufhalten?

Vahl: Die Arten werden zwischen den Konferenzen geschützt und nicht auf den Konferenzen. Es geht immer darum, ob die Vereinbarungen auch eingehalten werden. Wenn sich Leute auf etwas einigen, ist es manchmal nur ein Lippenbekenntnis, manchmal werden sogar völkerrechtliche Verträge gebrochen. In Montreal sind gute Dinge passiert, wir sehen diesen Kongress durchaus positiv. Entscheidend ist aber, dass sich sämtliche Verantwortliche daran halten. Mit Blick auf Brasilien haben wir jetzt nach dem Präsidentenwechsel ein deutlich besseres Gefühl als noch vor ein paar Monaten. Der neue Präsident Lula hat nun aber erstmal wahnsinnig viel damit zu tun, ein völlig gespaltenes Land wieder in den Griff zu bekommen. Wenn es um das Wohlergehen und die Portemonnaies der Menschen geht, steht der Artenschutz meist sehr weit hinten an. Deshalb braucht es das Engagement von Menschen, NGOs und Wirtschaft.

Wurde das Problem von der Wirtschaft schon hinreichend erkannt?

Vahl: Nein, wurde es nicht. Viele Unternehmen sind gerade viel zu sehr damit beschäftigt, Sanktionen abzuarbeiten und sich auf höhere CO2-Kosten einzustellen, als dass sie sich konkret mit Artenschutzmaßnahmen beschäftigen. Das muss viel gezielter und schneller in Angriff genommen werden. Unternehmen, die in ihrem Rohstoffkreislauf mit globalen Ökosystemen zu tun haben, sollten sich darauf konzentrieren, ihren Rohstoff sauber, fair und nachhaltig nach Deutschland zu bekommen.

Welche Erwartungen haben Sie grundsätzlich in Sachen Nachhaltigkeit an Unternehmen?

Vahl: Meine Erwartung ist, dass Unternehmen versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es ist ja immer die Frage, wie man sein eigenes Wachstum definiert, wie man investiert und skaliert. Unternehmen sollten sicherstellen, dass ihr Wachstum umweltgerecht ist. Die Geschäftsführung eines großen Stahlunternehmens hat dafür natürlich ganz andere Hebel zur Verfügung als drei Leute, die ein Start-up gründen. Damit geht dann aber auch eine größere Verantwortung einher.

Auch die Finanzbranche ist gerade dabei, sich ein grüneres Antlitz zu geben. Wirkt das glaubhaft auf Sie?

Vahl: Die Finanzbranche ist im Umbruch und das finde ich durchaus spannend. Banken sollten nicht in Dinge investieren, die dem Planeten schaden. Ich erwarte, dass sie ihre Portfolios sauber halten – und dass sie das verdammt nochmal in Zukunft tun, falls sie es bisher noch nicht getan haben.

Begegnen sich Unternehmen und Aktivistinnen und Aktivisten noch zu konfrontativ, statt gemeinsam die Aufgaben anzugehen, die vor uns liegen? Oder ist das wesensimmanent?

Vahl: Ich wünsche mir immer, dass es Kommunikation zwischen beiden Seiten gibt und dass man gemeinsam Lösungen findet, statt gegeneinander zu arbeiten. Wenn ein Unternehmen nicht sauber ist, muss man es irgendwie dahin bringen, sauber zu werden. Das geht aber nicht mit Gewalt. Ich verstehe aber durchaus auch die Radikalisierung von Klimaprotesten, wobei ich das Festkleben auf Straßen nicht als großen Staatsakt sehe, das sind ja keine Putschversuche. Man sollte sich nicht mit künstlich reproduzierten Feindbildern aufhalten, denn die wichtigen Themen bleiben dabei auf der Strecke. Es geht um etwas Größeres, und das geht dabei immer verloren. Im Übrigen glaube ich nicht, dass Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder die „Letzte Generation“ vorhaben, unsere Gesellschaft zu stürzen oder den Planeten in Brand zu setzen. Das machen andere.

Das Gespräch führte Kim Brodtmann, Cash.

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