Der Dollar hat zum Euro seinen jahrelangen Aufwärtstrend fortgesetzt und zum ersten Mal seit 20 Jahren die Parität wieder unterschritten. Bisher haben Politik und EZB dieser Entwicklung wenig Beachtung geschenkt, denn eine schwächere Währung war ein willkommener Rückenwind für die Exportwirtschaft und das Wachstum. „Doch der Inflationsschock zeigt nun die Kehrseite dieser Entwicklung. Höhere Importpreise verstärken den Preisauftrieb und sind eine zusätzliche Belastung für Privathaushalte und lokale Unternehmen“, sagt Tilmann Galler.
Zinserhöhungen der Fed bieten keine ausreichende Erklärung
Aus fundamentaler Sicht ist der US-Dollar inzwischen eine der teuersten Währungen der Welt. Inflationsbereinigt notiert der handelsgewichtete Dollar nur noch 8 Prozent unter dem Allzeithoch von Februar 1985. „Auf solch ein starkes Bewertungssignal folgte in der Vergangenheit in den darauffolgenden Jahren immer ein Wendepunkt“, stellt Ökonom Galler fest. Doch sei dies aktuell längst nicht ausgemacht.
Die Erklärung für die US-Dollarstärke liegt nach Einschätzung von Tilmann Galler nicht allein bei den steigenden US-Zinssätzen. Denn insgesamt hätten sich die Zinsdifferentiale gegenüber den anderen Währungen aufgrund der globalen Natur des aktuellen Straffungszyklus der Zentralbanken nicht wesentlich zugunsten des US-Dollars bewegt. „Aufgrund der starken Zunahme der Währungsvolatilität erscheint der für den US-Dollar verfügbare Zinsaufschlag, der sogenannte Carry, im Verhältnis zum Risiko nicht besonders attraktiv“, sagt Galler.
Als relevanten Faktor hinter der Stärke des US-Dollars sieht Galler dessen steigende „Safe-Haven-Prämie“. „In einem Umfeld hoher Inflation, eines großen geopolitischen Schocks für die Energiemärkte und steigender Rezessionsgefahren suchen Investoren Schutz im sicheren Hafen der Weltreservewährung“, sagt der Kapitalmarktexperte.
Drei Aspekte für die Dollar-Stärke relevant
Drei Aspekte gilt es nach Meinung von Tilmann Galler mit Blick auf den Dollar-Höhenflug zu berücksichtigen. Erstens seien Anleihen bei hoher Inflation erfahrungsgemäß eine weniger effektive Absicherung des Portfolios als in Zeiten niedriger Inflation. „Anders verhält sich der US-Dollar, der in der Vergangenheit sowohl bei hoher als auch bei niedriger Inflation negativ mit den Aktienmärkten korreliert war. Das Umfeld hoher Inflation drängt deshalb Investoren in den US-Dollar und erhöht die Safe-Haven-Prämie“, erklärt Galler.
Zweitens habe die russische Invasion in der Ukraine erhebliche Auswirkungen auf die Preise einer Reihe von Rohstoffen, insbesondere der Energie. Da sowohl Europa als auch Asien auf Importe von Energierohstoffen angewiesen sind, während Nordamerika weitgehend autark ist, habe es eine große Verschiebung der Terms of Trade zugunsten des US-Dollars gegeben. „In den letzten Monaten haben wir die Auswirkungen auf die Handelsbilanzen Europas und Japans gesehen – aufgrund der verzögerten Weitergabe von Preiserhöhungen sind weitere Rückgänge zu erwarten. Diese Veränderungen der Handelsströme wirken sich direkt auf Angebot und Nachfrage nach Währungen aus, wovon der US-Dollar als Hauptwährung für den Handel mit Rohstoffen profitiert“, führt Tilmann Galler aus.
Schließlich hätten sich die globalen Wachstumsaussichten angesichts der verschärften Finanzierungsbedingungen und steigender Energiepreise verschlechtert. Dass Rezessionsängste die Stimmung gegenüber einer breiten Palette von Risikoanlagen belasten, lasse die Safe-Haven-Prämie im US-Dollar weiter steigen.
„Für langfristig orientierte Investoren bieten die extremen Bewertungen wieder eine Gelegenheit für mehr Engagement im Euro. Doch gibt es vorerst keine Anzeichen dafür, dass die hohen politischen und konjunkturellen Risiken weniger werden, weshalb US-Dollar-Anlagen eine attraktive Möglichkeit bleiben, Risiken im Portfolio zu reduzieren“, fasst Ökonom Galler zusammen.