Für die EZB-Sitzung am Donnerstag erwarten wir, dass die Währungshüter von ihrer sehr hawkishen Meinung abrücken, um angesichts der sich eintrübenden Konjunktur zu einer aufgeschlossenen Haltung überzugehen. Dabei sind wir zwar noch nicht so weit wie in den USA, wo viele Experten bereits einen Höchststand bei den Zinssätzen erwarten. Dennoch ist auch im Euroraum die Debatte offen: EZB-Ratsmitglied Klaas Knot, der normalerweise ein Vertreter des hawkishen Lagers ist, plädierte erst kürzlich für eine ergebnisoffene Diskussion. Dennoch ist zu beachten, dass es auch bei der EZB-Sitzung im September noch nicht so weit sein muss. Immerhin basiert die Entscheidung auf den August-Daten. Im Jahresvergleich wird deren Kernrate voraussichtlich noch über 5 Prozent liegen.
Zinserhöhung um 25 Prozent bleibt wahrscheinlich!
Hinzu kommt, dass die EZB auf ihrer letzten Sitzung im Juli höhere Inflationsprognosen als erwartet bekannt gegeben hatte. Damit haben die Währungshüter die Messlatte für einen Stopp der Zinserhöhungen höher gelegt. Der jüngste Wert der Kerninflation ohne Lebensmittel und Energie war für die EZB immer noch deutlich zu hoch und der Abwärtstrend nicht eindeutig genug: Tatsächlich dürften sich die Zentralbanker bei ihrer Entscheidung auf die Binneninflation konzentrieren. Die Dienstleistungskomponente, die hier einfließt, zeigt nun erstmals eine Unterbrechung des Aufwärtstrends. Eine Erhöhung um 25 Basispunkte bleibt für die Sitzung am Donnerstag daher am wahrscheinlichsten.
Auf der anderen Seite zeichnet sich wirtschaftliche eine Rezession für die Eurozone ab dem vierten Quartal 2023 ab, insbesondere aufgrund der schwachen Industrie. Vorläufig stützt die Widerstandsfähigkeit des Dienstleistungssektors die Wirtschaft – insbesondere die Beschäftigung hält sich bisher immer noch auf ihrem Höchststand. Die Frage für die Septembersitzung lautet jedoch, inwiefern sich die Frühindikatoren, die eine Verschlechterung des Dienstleistungssektor prognostizieren, tatsächlich realisieren – also, ob es tatsächlich zu einer gesamtwirtschaftlichen Rezession kommt. Dies wäre ein Grund für die EZB, ihren Leitzins nicht weiter zu erhöhen.
Zinssenkungen erst bei Kerninflation unter 3 Prozent
Zinssenkungen dürften dennoch in weiter Ferne bleiben. Der Markt erwartet, dass der EZB-Leitzins frühestens Mitte 2024 zu sinken beginnt. Die Zentralbanker dürften ihre Leitzinsagenda weiterhin hauptsächlich von der Entwicklung der Kerninflationsrate abhängig machen. Eine Kernrate von unter 3 Prozent scheint für die EZB die Voraussetzung für Zinssenkungen zu sein. Ein weiterer wichtiger Leitindikator dürfte die Arbeitslosenquote sein: Ein höherer Wert bedeutet eine geringere Nachfrage der Haushalte und niedrigere Verbraucherpreise.
Wir gehen davon aus, dass die Rezession in der Industrie aufgrund der Unsicherheiten bei der Energieversorgung und des Rückgangs der Exporte (22 Prozent des Euro-BIP) nachlassen wird. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu den USA, deren Exporte nur 8 Prozent ausmachen. Darüber hinaus meldeten die Banken heute eine erneute Verschärfung der Kreditstandards sowohl für Unternehmen als auch für Immobilienkäufe. Beides dürfte die wirtschaftlichen Aktivitäten belastet. Wir rechnen daher bis zum Jahresende mit einem Anstieg der Beschäftigungsquote um etwa 0,5 Prozent. Das zumindest würde die Marktaussichten widerspiegeln.
Autor Patrick Barbe ist Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman.