Wenn die EZB am Donnerstag tagt, trifft sie auch ihre Kritiker. Gastbeitrag von Karsten Junius, Safra Sarasin AG
Manche davon argumentieren, dass Privathaushalte in Reaktion auf die Negativzinsen noch mehr sparen würden und so die Konjunktur belasten. Wir finden keine Evidenz für diesen Effekt. Stattdessen haben unerwartet hohe Reallohnsteigerungen dazu geführt, dass die Ersparnisse in Euroland angestiegen sind.
Theoretisch denkbar ist vieles. Und so auch, dass private Haushalte mehr sparen, wenn sie dafür weniger Zinsen bekommen. Normalerweise sollte das jedoch anders sein. Daher senken Zentralbanken ihre Leitzinsen, wenn sie möchten, dass weniger gespart und dafür mehr konsumiert und investiert wird.
Kritiker der Niedrigzinspolitik der EZB argumentieren aber, dass dies nun anders sei. Haushalte müssten nun mehr sparen als zuvor, um sich in der Zukunft ein gewisses Wohlstandsniveau zu erhalten, da aufgrund der niedrigen Zinsen der Vermögenszuwachs nicht mehr so stark ist wie angenommen. Als Beleg für diese Argumentation führen sie an, dass die Sparquoten in den vergangenen zwei Jahren wieder angestiegen sind – also seit Einführung negativer Einlagenzinsen durch die EZB. So beträgt der Anstieg der Sparquote in Deutschland rund einen Prozentpunkt.
Betrachtet man längere Zeiträume und verschiedene Länder lässt sich die höhere Ersparnisbildung aber auch ganz anders erklären. Sparquoten steigen normalerweise mit den Arbeitslosenquoten an – also in einem ökonomisch unsicheren Umfeld. Verständlicherweise wollen Haushalte keine großen Ausgaben tätigen, wenn sie sich über die Stabilität ihres Arbeitsplatzes nicht sicher sein können oder gar ihren Job verloren haben.
Eine höhere Sparquote ergibt sich hingegen auch, wenn die Realeinkommen stark ansteigen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die höheren Realeinkommen darauf zurückzuführen sind, dass die Inflation niedriger als erwartet ist. Haushalte realisieren dann manchmal erst mit einer gewissen Verzögerung, dass sie sich eigentlich mehr leisten können als angenommen. Für eine Zeit erhöht sich so die Sparquote. Genau dieser Effekt hat sich in den vergangenen zwei Jahren gezeigt. Der Einbruch der Rohstoffpreise war eine positive Überraschung, mit der Haushalte nicht rechnen konnten.
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Die Gesamtinflation lag bei rund null Prozent und damit ungefähr einen Prozent tiefer als die Kerninflation bei der die Entwicklung von Energie und Lebensmittelpreisen herausgerechnet wird. Entsprechend höher war die Sparquote. Dies ist kein Grund zur Besorgnis – im Gegenteil. Es zeigt, dass die privaten Haushalte in einer guten Lage sind und ihren Verbrauch erhöhen können. Zu hoffen bleibt nun, dass sie mit der zu erwartenden Verzögerung ihre Ausgaben auch tatsächlich erhöhen. Der Konjunktur würde es gut tun. Zu reagieren braucht die EZB auf die höheren Sparquoten nicht – und schon gar nicht mit einer Zinserhöhung.
Karsten Junius ist Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, Schweiz
Foto: Bank J. Safra Sarasin