Die Honorarberatung führt in Deutschland noch immer ein Nischendasein, weniger als ein Promille aller selbstständigen Finanzberater sind Honorar–Finanzanlagenberater. Woran liegt das?
Rauch: Nach aktueller Gesetzlage ist die Bezeichnung “Honorarberater” nicht geschützt. Jede/r Finanzanlagenvermittler/-in und Versicherungsmakler/-in darf auf Honorarbasis tätig werden. Eine Erlaubnis nach Paragraf 34h oder 34d Absatz 2 Gewerbeordnung (GewO) ist dafür nicht erforderlich. Die Zahlen im Vermittlerregister geben daher nur sehr eingeschränkt den Status quo wieder. Rechnet man die auf Honorarbasis tätigen Finanzanlagenvermittler/-innen und Versicherungsmakler/-innen dazu, kann man von etwa 2.000 Honorarberater/-innen in Deutschland ausgehen. Schuld daran ist eine mangelhafte gesetzliche Verankerung der Honorarberatung. Im Bereich der Honorar-Finanzanlageberatung gibt es faktisch – abgesehen von der Möglichkeit des Marketingeffekts – keinen Grund, von Paragraf 34f GewO in den Paragrafen 34h GewO zu wechseln. Meistens sind es nur “neue” Berater/-innen, die bei ihrer Erstregistrierung den Status Paragraf 34d Absatz 2 und/oder Paragraf 34h wählen. Nur wenige “Alt-Berater/-innen” wechseln ihre bisherige Registrierung von Paragraf 34d Absatz 1/34f in den Paragrafen 34d Absatz 2 oder 34h. Hinzu kommen die im Versicherungsbereich nach Paragraf 34d Absatz 2 GewO eingeführten Regelungen wie beispielsweise der Paragraf 48c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Diese Regelung verhindert die weitere Etablierung von Honorartarifen und erschwert zusätzlich den Zugang zu Produktlösungen für Versicherungsberater/-innen. Denn gerade wegen diesen Regelungen weigern sich die meisten Versicherungsgesellschaften, mit Versicherungsberater/-innen zusammenzuarbeiten bzw. Geschäft anzunehmen. Kurioserweise hat das sogar dazu geführt, dass manche Gesellschaften auch im Bereich von Honorartarifen nicht mehr mit Versicherungsberater/-innen zusammenarbeiten möchten, andererseits sich aber mit Verweis auf Paragraf 48c VAG gegen die verpflichtende Einführung von Honorartarifen aussprechen. Anders als in der Investmentsparte gilt nämlich bei Versicherungsprodukten, dass Provisionen durch Berater/-innen nicht direkt an den Versicherungsnehmer erstattet werden dürfen bzw. von Versicherungsberater/-innen erst gar nicht angenommen werden dürfen. Die Regelung schreibt vor, dass Provisionen durch das Versicherungsunternehmen an Versicherungsnehmer/-innen durch Gutschrift auf das Prämienkonto erfolgen muss und das sogar nur zu 80 Prozent im Zeitraum von fünf Jahren. Das Gesetz ist ein Humbug. Wer sich als Versicherungsberater/-in registrieren lässt, hat damit einige vom Gesetzgeber verursachte Nachteile. Noch verheerender ist es für Statuswechsler von 34d Absatz 1 zu 34d Absatz 2, wenn bereits Bestände vorhanden sind und über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Diese Berater/-innen müssen trotz der eindeutig vorhandenen gesetzlichen Regelungen bei einem Statuswechsel um die bisherigen Einnahmen aus dem Bestand fürchten. Dieser Prozess zur Umstellung kann sehr langwierig sein. Die Stärkung der Honorarberatung sieht anders aus.
Versicherungsvermittlerinnen und -vermittler erfahren teils eine steigende Nachfrage nach Honorarberatung, nehmen aber noch zu wenig entsprechende Angebote wahr. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter über 150 Versicherungsmaklern, die die Lebensversicherung Liechtenstein Life im letzten Jahr durchgeführt hat. Nehmen Sie das auch wahr, mangelt es an entsprechenden Angeboten?
Rauch: Wir sind bei nicht repräsentativen Umfragen eher vorsichtig. Erst recht, wenn Begriffe wie Honorarvermittlung und Honorarberatung zusammengewürfelt werden. Insbesondere die reine Vermittlung von Nettotarifen unterscheidet sich nur in Usancen von der Vermittlung auf Provisionsbasis. Auch einige Produkthersteller verbinden – und das aus ihrer Sicht völlig nachvollziehbar – die Vermittlung von Honorartarifen häufig fälschlicherweise mit Honorarberatung. Darum geht es aber bei der Honorarberatung gerade nicht. In puncto Nachfrage können wir bei uns beobachten, dass sich die eingehenden Verbraucheranfragen bei der Suche nach Berater/-innen in den letzten drei Jahren auf rund 10.000 pro Jahr verdoppelt haben. Diese Anfragen sind allerdings nicht etwa der Wunsch nach einer Vermittlung von Policen oder Depots, sondern Beratungsthemen wie zum Beispiel Finanz- und Ruhestandsplanungen, Zweitmeinungen zu Versicherungen und Fonds sowie Anlageberatungen. Was das Angebot an Produktlösungen betrifft, so ist das nur eine theoretische Frage. Zum einem können Honorar-Anlageberater/-innen und Versicherungsberater faktisch auf den gesamten Markt empfehlen und zum anderen ist das auch nur dann der Fall, wenn in Produktkategorien und Vermittlung gedacht wird – wenn also die Vergütung, egal ob Provision oder Honorar, abhängig von einer Beitragssumme oder Depotgröße berechnet werden. Das wesentliche Merkmal der Honorarberatung ist die ergebnisoffene Beratung, ohne dass bereits zu Beginn feststehende Ziel ein Produkt zu verkaufen. Generell ist das angebotene provisionsfreie Produktuniversum in allen Sparten breit aufgestellt. Um noch etwaig bestehenden Lücken zu schließen, fordern wir seit jeher eine gesetzliche Verpflichtung für Produkthersteller, jedes Produkt auch als provisionsfreien Honorartarif zur Verfügung stellen zu müssen.
Wieviel Mitschuld tragen die Honorarberater selbst an ihrem Nischendasein?
Rauch: Bei dieser Frage muss ich etwas schmunzeln. Die Honorarberater/-innen haben in den letzten Jahren gegen eine allmächtige Finanzlobby ankämpfen müssen. Unter diesen Aspekt können wir stolz auf das bisher erreichte sein. Allerdings ist das bei Weitem noch nicht ausreichend und unsere Anstrengungen dürfen nicht nachlassen. Wenn man den Honorarberater/-innen eine Mitschuld geben kann, dann möglicherweise an einer fehlenden schlagkräftigen Bündelung der Kräfte aller Honorarberater/-innen.
Was muss sich ändern?
Rauch: Wir müssen weiter informieren, aufklären und beim Gesetzgeber am Ball bleiben. Es gibt eine ganze Menge an Punkten, die wir seit vielen Jahren von der Politik einfordern. Die wichtigsten Punkte in Stichpunkten lauten:
- Verbot von Doppelzulassungen (Versicherungsmakler und Honorar-Finanzanlagenberater/-in und umgekehrt)
- Bezeichnungspflicht für Vermittler/-innen und Bezeichnungsschutz für Honorarberater/-innnen
- Einführung einer Vergütungsordnung/Honorarordnung analog Vergütungsordnung für Steuerberater/-innen
- Honorar-Annahmeverbot außerhalb der Registrierungen als Honorar-Finanzanlageberater/-innen bzw. Versicherungsberater/-innen
- Korrektur des VAG 48c (Auskehrung von Provisionen analog Investmentsparte bzw. Kontrahierungszwang oder alternativ verpflichtende Einfühung von Honorartarifen
- Qualifikationsstandards für Honorarberater/-innen
- Gegebenenfalls Einführung einer “Honorarberater-Kammer” analog Steuerberatern
Im Koalitionsvertrag ist die Rede von der Honorarordnung für Architekten und von ärztlichen Honoraren – die Honorarberatung in der Finanzdienstleistung wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Dabei hatten die Grünen in Wahlkampf angekündigt, die Finanzberatung „vom Kopf auf die Füße zu stellen“, hin zu einer unabhängigen Honorarberatung. Sind Sie vom Koalitionsvertrag enttäuscht?
Rauch: Ich begleite die Etablierung der Honorarberatung mit dem Ziel der Schaffung des Berufsbilds bereits seit Gründung des Verbund Deutscher Honorarberater im Jahr 2000 – im Besonderen seit 2008 mit der durch die damalige Ministerin Ilse Aigner gestarteten Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen. Es hat sechs Jahre Zeit gebraucht, um dann 2014 erstmals die Honorarberatung für die Anlageberatung gesetzlich zu verankern. Danach vergingen noch einmal weitere drei Jahre für die Umsetzung europäischer Vorgaben in nationales Recht für die Versicherungsberatung. Die Stärkung der Honorarberatung steht mittlerweile seit über 15 Jahren in den Programmen der Parteien. Bei allem Respekt: Mehr als warme Luft hat die Politik bislang nicht zu Stande gebracht. Zum Vergleich: In skandinavischen Ländern wurde innerhalb von wenigen Monaten auf ein Nettoprämiensystem umgestellt. Es steht zu befürchten, dass den vollmundigen Ankündigungen einiger Vertreter auch in dieser Legislaturperiode wenig Taten folgen werden. Apropos Gebührenordnung: Finanzanlagenvermittler und Versicherungsmakler bzw. Versicherungsvertreter werden für den Verkauf von Finanz- und Versicherungsprodukten vergütet. Die Vergütungen sind im Großen und Ganzen ziemlich identisch. Unter diesen gibt es auch immer mehr sogenannte Honorarvermittler. Die Bemessungsgrundlage für die Vergütung bildet wie im Provisionssystem das Anlage-Volumen oder die insgesamt zu bezahlenden Prämien für Versicherungen. Der Anreiz, hohe Volumen bzw. Beitragssummen (auch gegen Vermittlungshonorar) zu vermitteln, ist dementsprechend hoch und löst den oft zitierten Interessenskonflikt nicht auf. Ein Honorar, welches vom Anlagevolumen oder der Beitragssumme bzw. des betreuten Vermögens abhängig ist, ist nur alter Wein in neuen Schläuchen. Leider gibt es keine allgemein verbindlichen Regeln in der Finanzberatung. In allen honorarbasierten Berufen (Steuerberater, Architekten, Notare, Ärzte, Rechtsanwälte), mit denen sich viele Berater/-innen auch gerne vergleichen, ist das Standard. Eine Gebührenordnung für Honorar-(Finanz-)Anlageberater/-innen und Versicherungsberater/-innen ist längst überfällig. Die Gebührenordnung für Steuerberater wäre dafür eine geeignete Grundlage.
Anfang Januar wurde die Branche mit der Ankündigung der BaFin konfrontiert, die Provisionen für Lebensversicherungen künftig noch genauer unter die Lupe nehmen zu wollen. Halten Sie das für richtig?
Rauch: Klares Ja! Zusätzlich sollten Verbraucher/-innen transparenter informiert werden. Verbraucher/-innen kennen bei Honorarberater/-innen die Kosten der Beratung auf den Cent genau und das bereits vor der Beratung. Sie sehen diese zudem ohne Verklausulierungen auf der Honorarrechnung. Will ein Verbraucher die Kosten der provisionsbasierten Vergütung detailliert erfahren, braucht er mindestens einen Taschenrechner und muss diese Informationen aus endlosen Erklärungen und Bedingungen herausfinden. Transparenz sieht anders aus. Insofern muss die Branche verpflichtet werden, die Kosten der Vermittlung von Finanzprodukten deutlich sichtbar zu machen. Dazu sollte vor einem möglichen Abschluss die Höhe der enthaltenen Provisionen beispielsweise direkt neben der Unterschrift unter einem Antrag zu finden sein. Das erlaubt es dem Verbraucher, eine Einschätzung über die Angemessenheit zwischen Aufwand und Kosten vorzunehmen.
Der Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute (BVK) empfiehlt, stärker qualitative Elemente bei der Vertriebsvergütung zu berücksichtigen, wie die Kundenzufriedenheit und die Weiterempfehlungsquote von Vermittlern. Ist das ein sinnvoller Ansatz?
Rauch: Der Ansatz ist sicher sehr ehrenhaft. In der Praxis stelle ich mir das eher schwierig vor. Unser Ziel ist es, Provisionen ganz zu ersetzen und damit einhergehende Interessenskonflikte auszuschalten. Das gilt auch für die Honorarvermittlung, die letztlich nur ein Surrogat für Provisionen darstellt.
Eine KPMG-Studie kam Ende letzten Jahres zu dem Ergebnis, dass Provisionsberatung „allen Teilen der Bevölkerung einen professionellen Vermögensaufbau und die Teilhabe am Kapitalmarkt“ sichere. „Ein Wechsel ausschließlich zur Honorarberatung (…) würde hingegen breite Bevölkerungskreise gravierend benachteiligen.“ Dieses Argument hört man häufig, aber stimmt es auch?
Rauch: In dieser Studie wurde die geringe Bereitschaft zur Zahlung von Honoraren und die möglichen Auswirkungen für Geringverdiener oder Kleinanleger beleuchtet. Solche Studien gibt es mittlerweile zahlreich. In der Realität besitzen sie für die tägliche Praxis keine Relevanz. Andere Studienergebnisse sagen außerdem etwas komplett anderes aus. Wir orientieren uns an den Erfahrungen aus über 22 Jahren täglicher Praxis. Aus eigenem Wissen und in den Gesprächen mit unseren angeschlossenen Honorarberater/-innen finden sie nur ganz wenige Beispiele, bei denen die Bereitschaft zur Zahlung eines Honorars nicht vorhanden ist. Sobald Verbraucher jedoch einen Überblick über die Kosten der provisionsbasierten Finanzberatung erhalten, werden die Beratungshonorare greifbar und besitzen eine hohe Akzeptanz. Beispielhaft sind hier unsere Erfahrungen mit Verbraucheranfragen, die wir an unsere Berater/-innen weiterleiten. Die Erfolgsquote liegt bei 93 Prozent. Die wenigsten Kunden und Kundinnen kennen die tatsächlichen Vermittlungsprovisionen. Grund sind die intransparenten Informationen. Fakt ist: Kostenlose Beratung gibt es nicht. Die für den Verbraucher vermeintlich kostenlose Provisionsberatung kostet den Abschluss. Unabhängige Beratung kostet Honorar.
Wie sind die Honorarberater durch die Coronakrise gekommen – auch im Vergleich zu Provisionsberatern – und wie blicken Sie auf die kommenden Monate?
Rauch: Die Coronakrise hat bei unserem Berater/-innen keinen Einfluss gehabt. Eher im Gegenteil: Wir konnten beobachten, dass die Honorareinnahmen sowie die betreuten Mandate deutlich angestiegen sind. Gerade im puncto Digitalisierung der Geschäftsmodelle hat Corona einen ordentlichen Schub gegeben. Wir können das daran erkennen, dass mittlerweile fast jedes zweite Beratungsgespräch digital erfolgt.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.