ifo-Präsident Fuest: EZB kommt zu spät

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Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts: „Die Regierungen der Euro-Länder müssen nun aufpassen. Zusätzliche Staatsschulden sind angesichts der schon durch Corona stark erhöhten Schuldenstände sowie der aktuellen Angebotsverknappung und Zinssteigerungen gefährlich.“

Die Zinsenscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat ifo-Präsident Clemens Fuest bewertet als „einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt. Es war nicht akzeptabel, dass die EZB bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihenkäufen festgehalten hat. Die Preissteigerungen betreffen nicht nur Energie und Lebensmittel, sie gewinnen an Breite“, sagte er am Donnerstag in München auf der ifo-Jahresversammlung. 

Das habe auch Folgen für die Fiskalpolitik. „Die Regierungen der Euro-Länder müssen nun aufpassen. Zusätzliche Staatsschulden sind angesichts der schon durch Corona stark erhöhten Schuldenstände sowie der aktuellen Angebotsverknappung und Zinssteigerungen gefährlich.“ Es sei wichtig, neue Aufgaben wie die Unterstützung der Ukraine oder steigende Rüstungsausgaben stärker durch Ausgabenumschichtungen zu finanzieren. „Die Europäische Kommission sollte dies stärker von den Mitgliedstaaten einfordern.“

Fuest lehnte gleichzeitig eine weitere Lockerung und Flexibilisierung der derzeit ausgesetzten Schuldenregeln ab. „Das wäre ein Signal, in der Fiskalpolitik noch weniger auf Nachhaltigkeit zu achten als bisher.“ Erforderlich sei eher eine veränderte Handhabung der Regeln. „Die EU-Koordination sollte sich stärker auf Ausgabenpriorisierungen und damit auf eine verbesserte Qualität der öffentlichen Finanzen konzentrieren.“ 

Allzu viel sollte man von den Schuldenregeln und der Überwachung der Fiskalpolitik allerdings nicht erwarten. Der Prozess sei so komplex geworden sei, dass die breite Öffentlichkeit ihn nicht mehr verstehe und folglich kaum öffentlicher Druck bestehe, die Regeln einzuhalten. Und die nationalen Regierungen hielten sich kaum an die Empfehlungen der EU. Letztlich liege die Entscheidungsgewalt über wirtschaftspolitische Reformen und Staatsverschuldung bei den nationalen Parlamenten. Dort sei die die demokratische Legitimation angesiedelt. Die Erfahrung zeige, dass nationale Regierungen und Parlamente sich im Konfliktfall über europäische Verschuldungsgrenzen und wirtschaftspolitische Empfehlungen hinwegsetzten. Dieses Problem sei durch Regeländerungen kaum lösbar. Trotz dieser Schwächen seien die Regeln nützlich, weil sie für eine gewisse Reflektion und Koordination unter den Mitgliedstaaten sorgten. 

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