„Sach macht Krach“, lautet ein Spruch in der Versicherungsbranche. Doch Sach macht nicht nur Krach, Sach lässt auch die Kassen klingeln. Bislang zumindest. Aktuell scheint sich die Stimmung indes zu drehen. Das zeigt eine Umfrage des Ifo-Instituts unter den Versicherungsunternehmen. Insgesamt bewerten diese hierzulande ihre Geschäftslage deutlich schlechter als noch im Vorquartal. „Der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation, anhaltende Lieferkettenengpässe und die starke Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung trüben die Stimmung stark ein“, bewertet Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Geschäftserwartungen der Versicherer.
„Insgesamt zeichnet der Sektor derzeit ein eher pessimistisches Bild von Geschäftslage und Aussichten“, so Asmussen. Was aufhorchen lässt: Die Unternehmen bewerten die Lage für die kommenden sechs Monate deutlich pessimistischer als zu Beginn der Corona-Pandemie, Anfang 2020. Von mieser Stimmung mag man noch nicht reden, aber verhalten trifft es allemal. Das gilt insbesondere in der Schaden- und Unfallversicherung. Nach Aussage des GDV rutschte der Geschäftsklimaindex für die Komposit-Versicherer tief in den negativen Bereich. Nicht einmal ein Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sich ihre Rahmenbedingungen verbessert hätten. Hingegen erwartet mittlerweile 27 Prozent der befragten Sachversicherer, dass sich die Rahmenbedingungen in den kommenden Monaten verschlechtern werden. In allen Bereichen erwarten die Unternehmen mehrheitlich Tarifanpassungen.
Dass es für die Versicherten teurer wird, ist allerdings nicht nur dem Ukraine-Krieg, hohen Inflationsraten und anhaltenden Lieferengpässen geschuldet. 2021 war aus Sicht der Wohngebäude-, Hausrat- und Kfz-Versicherer ein katastrophales Jahr. Nach Berechnungen der Munich Re, dem weltgrößten Rückversicherer, entstanden allein durch das Sturmtief „Bernd“, das Mitte Juli über den Norden von Rheinland-Pfalz und den Süden von Nordrhein-Westfalen zog, Schäden von über 33 Milliarden Euro an Infrastruktur, also Bahnlinien, Brücken und Straßen. Nach Angaben von Dr. Wolfgang Weiler, Präsident des GDV, waren davon etwas über acht Milliarden Euro versichert. Bilanziell schlagen sich die hohen Schäden deutlich in den Büchern nieder. Erstmals seit dem Jahr 2013 schrieben die Unternehmen aus dem Bereich der Schaden- und Unfallversicherung unter dem Strich rote Zahlen. Obwohl die Beitragseinnahmen in der Sparte um 2,2 Prozent auf 66,6 Milliarden Euro zunahmen, kletterte die Schaden-Kosten-Quote von 90,7 auf 102, Prozent. Für die Sachversicherungssparte erwartet GDV-Präsident Weiler mit 129 Prozent sogar die höchste Schaden-Kosten-Quote seit der ersten statistischen Auswertung Anfang der 1970er Jahre.
„2021 war in der Tat ein einschneidendes Jahr, denn sowohl die Schwere als auch die Vielzahl an großen Schäden gab es so noch nie“, bestätigt Michael Neuhalfen, Leiter Vertrieb bei der Alte Leipziger Allgemeine, im Rahmen des Cash. Extra Private Sachversicherungen-Expertengesprächs. Nach Angaben von Uwe Schumacher, Vorstandsvorsitzender der MLP-Tochter Domcura, war „Bernd“ das größte Schadenereignis in der Firmenhistorie des Assekuradeurs. „Wir hatten im Elementarbereich insgesamt rund 3.500 Schäden, die wir reguliert haben, beziehungsweise teilweise nach wie vor noch regulieren. Insofern war das Jahr 2021 geradezu eine Zäsur im Bereich der Wohngebäudeversicherung.“
Gleichwohl ist die Absicherung von Wohngebäuden gegen Elementarschäden bislang nicht verpflichtend. Zwar macht der GDV in den Monaten nach dem Unwetter einen Nachfrageschub bei der Absicherung gegen Naturgefahren aus. Der ist inzwischen wieder abgeflaut. 50 Prozent der Wohngebäude sind nach wie vor nicht gegen Elementarschäden versichert. Laut Adam Riese CSO Marco Schmidt-Spaniol waren viele Elementarschäden im Ahrtal nicht versichert. „Der Bedarf ist also da, wurde aber offensichtlich nicht erkannt“, sagt er. An der Einführung einer Versicherungspflicht zweifelt er allerdings. „Schließlich gibt es nach wie vor den Kollektivgedanken und es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine Pflicht zur Versicherung auf die Prämien und den Markt hätte.“ „Zielführender ist für mich, dass sich der Versicherungsnehmer im Klaren darüber sein muss, welchen Risiken er ausgesetzt ist und wie wichtig eine Absicherung gegen Elementargefahren ist. Der Vermittler ist hier in der Pflicht, die Kunden entsprechend zu beraten“, ergänzt Domcura-Vorstandsvorsitzender Schumacher.
Nach Angaben des GDV wurden mittlerweile drei Viertel der Schäden, die das Sturmtief „Bernd“ im Sommer 2021 angerichtet hatte, reguliert. Gleichwohl hält der Bonner Rechtsanwalt Markus Gerd Krämer, der rund 80 Mandanten aus dem Ahrtal vertritt, einigen Versicherungsunternehmen vor, sich nicht vorbildlich zu verhalten. Einige seien zu unflexibel bei der Schadenregulierung, andere versuchten – offenbar aufgrund der hohen Schadenbelastung – Auszahlungen zu verschleppen oder Kunden so lange mürbe zu machen, bis sie zu Kompromissen bereit sind.
Der Vorwurf wiegt schwer. „Aus meiner Sicht sind es die Prozessketten, die ineinandergreifen müssen, was sie derzeit noch nicht immer tun. Hier wird nicht verzögert; das Gegenteil ist der Fall. Wir sind schnell und das Feedback aus der Vermittlerschaft ist durchweg positiv und zeugt von einer sehr hohen Zufriedenheit mit der Regulierung“, sagt Schmidt-Spaniol von Adam Riese. Auch Domcura-Vorstandschef Schumacher wehrt sich gegen die Vorhaltungen. „Wir haben ungefähr 70 Prozent unserer Schäden final geregelt.“ Das 30 Prozent offen seien, liege nicht am Unternehmen. „Teilweise ist es nicht leicht, den Gutachter zu vierten Mal an den Schadensort zu bekommen, um regulieren zu bekommen. Teilweise gibt es auch keine Handwerker“, erläutert Schumacher.
„Es gibt keine Verzögerungstaktik. Im Gegenteil, ich glaube, alle wären froh, wenn es schneller gehen würde. Aber woran hängt es denn? Reguliert werden kann dann, wenn eine Rechnung vorliegt. Die Rechnung kommt vom Handwerker, vom Sachverständigen. Wenn der aber keine Rechnung stellt, verzögert es sich. Das ist für viele Kunden schwer zu verstehen, aber es ist tatsächlich so, wir würden gerne schneller sein“, erklärt Neuhalfen.
Und ganz erschreckend greift nun auch das Thema Inflation in den Prozess ein. Handwerker, die nach dem Unwetter im Herbst vergangenen Jahres Angebote unterbreitet hatten, ziehen diese nun zurück, weil Baustoffe derart teuer geworden sind, dass die Kalkulation für die Offerten schlicht nicht mehr passt. „In früheren Jahren lagen die Schadeninflationsquoten typischerweise zwischen einem halben Prozent und vielleicht dreieinhalb oder auch mal vier Prozent. Eine Beitragsanpassung in dieser Größenordnung würde aber bei weitem nicht ausreichen, weil beispielsweise Holz – ein wichtiger Rohstoff in der Wohngebäudeversicherungssparte – um 50 Prozent, teilweise sogar um mehr als 150 Prozent teurer geworden ist. Wir regulieren also jetzt jeden Monat Schäden, für die wir fast zehn Prozentpunkte mehr allein durch die Inflation bezahlen. Die haben wir – genau wie die anderen Unternehmen – in unseren Prämien gar nicht einkalkuliert. Diese zehn Punkte finanzieren wir sozusagen vor, was bedeutet, dass für uns jeder Schaden eigentlich ein Verlustgeschäft ist“, so Schumacher. Man müsse jetzt antizipieren, wie die Inflation in 2023 weiterläuft. Bleibe sie bei zehn Prozent, würden selbst 15 Prozent Beitragserhöhung nicht ausreichen. Bestätigt wird die Einschätzung durch ALH-Mann Neuhalfen. „Wir werden es nicht kompensieren können. Es wird Spuren in Bilanzen geben, beim einen mehr, beim anderen weniger. Aber damit wir eben weiterhin dauerhaft die Leistungsfähigkeit der Verträge, der Produkte sicherstellen können, ist es unverzichtbar, die Prämien nach oben anzupassen.“