Als vor drei Jahren der indische Premier Narendra Modi an die Macht kam, waren die Erwartungen der Investoren hoch. Auch wenn die Reformen langsamer als erwartet kamen, die grundsätzliche Richtung Indiens stimmt. Gastkommentar von Will Ballard, Aviva Investors
Anfang Februar 2017 wurden die ersten Stimmzettel in sechs indischen Bundesstaaten ausgezählt, darunter Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat des Landes. Der mehrstufige Wahlprozess bei den regionalen Parlamentswahlen wird als eine Volksabstimmung über die Regierung Modi und über eine politische Vorgehensweise im Besonderen angesehen: Demonetarisierung.
Der 8. November 2016 wird als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. In Indien jedoch konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf ein anderes Schockereignis: Modis Ankündigung, dass alle 500 und 1000-Rupien-Banknoten – etwa 86 Prozent des sich in Indien im Umlauf befindlichen Bargeldes – eingestampft werden.
In den folgenden Wochen standen tausende Menschen stundenlang in Schlangen, um ihre Geldscheine vor dem 30. Dezember bei Banken einzuzahlen. Geldautomaten mussten neu eingestellt werden, um die Ersatzgeldscheine aufnehmen zu können, die kleiner sind als die alten.
Laut der indischen Notenbank (RBI) entfielen vor dem Erlass 13 Prozent des BIP auf das zirkulierende Bargeld, was darauf hindeutet, dass der abrupte Rückzug der Banknoten – und das darauffolgende Chaos – Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit nehmen würde. Der Umfang dieser Auswirkungen ist auch jetzt noch nicht ganz klar, aber die Ratingagentur Fitch hat ihre Prognose für das BIP-Wachstum Indiens für das Geschäftsjahr bis März 2017 von 7,4 Prozent auf 6,9 Prozent gesenkt.
Konsumorientierte Unternehmen, die in bar handeln, dürften kurzfristig einen starken Rückschlag erlitten haben, zusammen mit dem Immobiliensektor. Viele Immobiliengeschäfte in Indien basieren nach wie auf Bargeld und Anteile an börsennotierten Entwicklern sind am Tag nach der Ankündigung deutlich zurückgegangen, einige um bis zu 20 Prozent. Laut des Immobilienberaters Knight Frank India sind die Umsätze im vierten Quartal 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44 Prozent gefallen.
Schattenwirtschaft
Modi und seine regierende Bharatiya Janata Partei (BJP) behaupten mit der Geldentwertung gegen Indiens Schattenwirtschaft vorzugehen, einem unversteuerten Geldpaket, das üble Aktivitäten im ganzen Land Vorschub leiste. Einkommenssteuerbeamte wurden während des Geldentwertungsprozesses über Bargeldeinzahlungen im Wert von mehr als 250.000 Rupien informiert.
Modi hat sich bemüht, die Bargeldreform als einen Schlag gegen das organisierte Verbrechen im Namen der Unterdrückten darzustellen. „Ich kenne die Kräfte gegen mich“, sagte er in einer Rede kurz nach der Reformankündigung. „Es kann sein, dass sie mich nicht leben lassen. Sie könnten mich ruinieren, weil sich ihre Beute aus 70 Jahren in Gefahr befindet.“
In Wahrheit gibt es wenige Beweise dafür, dass die Demonetarisierung bisher etwas im Kampf gegen Steuerhinterziehung und andere Formen der Korruption ausgerichtet hat. Es ist wahrscheinlich, dass das meiste Bargeld der Schattenwirtschaft längst ihren Weg in Immobilien oder andere Vermögenswerte gefunden hat. Am härtesten von der neuen Regelung betroffen waren arme Menschen aus ländlichen Gebieten ohne Bankkonto. Diese Menschen verlassen sich auf ihre Bargeldersparnisse, um zu überleben.
Dennoch sollte Modi genug politisches Kapital in dieser Wählerschaft haben, um diesen hektischen Abwertungsprozess zu überstehen. Und er könnte in seiner Behauptung richtig liegen, dass sich dieser Schritt langfristig für Indien auszahlen wird. Um zu verstehen warum das so ist, ist es wichtig, Modis umfangreiches Wirtschaftsprogramm zu betrachten. Während seine Reformen zuweilen stückweise und unüberlegt erscheinen mögen, lässt sich bei genauerem Hinsehen eine kohärente Strategie erkennen.