Für 2024 sagen die Analysten eine Jahresteuerung von 2,8 Prozent voraus. Auf eine mittlere Frist wird sich die Preissteigerung der 2-Prozent-Marke, von oben kommend, nur annähern und diese nicht unterschreiten.
Wohl so deutlich wie selten zuvor ist die Weltwirtschaft im Wandel begriffen. Als ein Indikator von vielen sei auf die hohen Inflationsraten verwiesen. „Die Inflation mag zwar ihren zyklischen Hochpunkt hinter sich haben. Der begonnene Strukturwandel wird aber viel Geld kosten. Zeigen wird sich dies nicht zuletzt in einer nachhaltig höheren Inflation als in der Vor-Corona-Zeit“, urteilt Chefvolkswirt Moritz Kraemer. Deutschland trifft dies ganz besonders. Die Industrie- und Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft, die jahrzehntelang für Wohlstand sorgte, erlebt einen beschleunigten Strukturwandel.
Die Analysten untersuchen in der aktuellen Studie den Ursache- Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Strukturwandel und der Inflation anhand von fünf Megatrends: dem graduellen demographischen Niedergang, dem Trend zur Deglobalisierung, auf die Inflation dem Umbau der Wirtschaft in Richtung „grün“, der umfassenden Digitalisierung nahezu aller Wirtschafts- und Lebensbereiche sowie der steigenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Diese Faktoren wirken sich stark unterschiedlich und in Teilen widersprüchlich auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmen und der Verbraucher sowie damit auf die Preisniveauentwicklung aus.
Digitalisierung dämpft Deflation – Deutschland hinkt hinterher
Von der Digitalisierung versprechen sich viele Menschen einen schnelleren technischen Fortschritt und damit mehr Wettbewerb auf den Güter- und Arbeitsmärkten. Speziell auch die Digitalisierung des Welthandels trägt zu niedrigeren Inflationsraten weltweit bei, obwohl die direkten und indirekten Effekte nur schwer empirisch zu bemessen sind. In diesem Zusammenhang stellen die Ökonomen der LBBW fest, dass in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, die Preisflexibilität zuletzt nicht angestiegen ist. „Digitalisierung geht theoretisch mit sinkenden Preisen einher, speziell in Phasen schwachen Wachstums. Wir in Deutschland sind hierfür nicht modern genug. Wichtige Produktivitätssteigerungen gelingen uns nur mit Verzögerung“, kritisiert der Chefvolkswirt.
Fachkräftemangel erzeugt Preisdruck
Rund 1,25 Millionen Menschen wurden in Deutschland zwischen der Mitte der Fünfziger und dem Ende der Sechziger Jahre jedes Jahr geboren: Die Baby Boomer. Nun geht diese Generation peu à peu in den Ruhestand. Die entstehenden Lücken bleiben oftmals unbesetzt. Die Ökonomen rechnen fest damit, dass die Knappheit qualifizierter Mitarbeiter am Arbeitsmarkt weiter zunehmen wird. In der Folge werden die Löhne in den kommenden Jahren steigen und für Preisdruck nach oben sorgen.
Jahrzehntelang profitierte Deutschland überdurchschnittlich von der Globalisierung. Die Corona-Pandemie und steigende Spannungen mit Russland und China haben die Verletzlichkeit dieses Erfolgsmodells gezeigt. Teuer zu stehen käme die deutsche Wirtschaft im wortwörtlichen Sinn das Re-Shoring der Produktion ins Inland. Die LBBW-Experten erwarten, dass dem Near-Shoring in die europäischen Nachbarländer eine deutlich größere Bedeutung zukommen wird. Weil auch in Mittel- und Osteuropa keine Billiglohnländer mehr sind, wird die Inflation vorerst weiter angetrieben, bevor langfristig auch kostensenkende Effekte denkbar sind.
Warum leere öffentliche Kassen auch von Vorteil sind
Nach dem Ende der Corona-Pandemie beträgt der Schuldenstand in vielen Industrieländern weit mehr als 100Prozent der Wirtschaftsleistung. Bereits seit der Jahrtausendwende hat sich die Situation der öffentlichen Finanzen international dramatisch verschlechtert. „Die Wahrscheinlichkeit ist erheblich, dass uns hohe Haushaltsdefizite auf absehbare Zeit erhalten bleiben“, sagen die Analysten voraus.
Zur Begründung verweisen sie auf alternde Gesellschaften, die wachsende öffentliche Ausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege nötig machten. Hinzu kämen steigende Investitionen für Verteidigung, Infrastruktur, Energiewende, Digitalisierung oder Bildung. Während diese Ausgaben für sich genommen zu höheren Zinsen führten, sorgten sie zugleich für eine sinkende Nachfrage der privaten Haushalte – und mit einem gegenteiligen Effekt. Für Kraemer kommt es darauf an, wofür der Staat seine Kredit- aufnahme nutzt: „Werden die Defizite eher durch konsumtive Ausgaben wie Gehälter getrieben, wird sich ein vergleichsweise starker Inflationsdruck entwickeln. Wird die Öffentliche Hand ihr Geld hingegen investiv verwenden, also für Infrastruktur oder Bildung, wird sich die Produktivität mittelfristig erhöhen und es sind sogar deflationäre Tendenzen vorstellbar.“
„Derzeit scheint das inflationäre Potential wackeliger Staatsfinanzen in der Eurozone überschaubar“, urteilt er mit Blick auf die Geldpolitik der Notenbanken. Diese werden ihre Autonomie weiterhin nutzen, um die Inflation wieder auf die Zielmarke von 2 Prozent zu drücken.
Inflationswirkung mit markantem Zeitprofil
Beim Blick auf die Heizkostenrechnung erschloss sich im vergangenen Winter auch dem Letzten, warum der Abschied von fossilen Brennstoffen deutliche Spuren in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hinterlässt. Die Dekarbonisierung führt im Wesentlichen über die Elektrifizierung und somit über hohe Investitionen in eine krisensichere Stromversorgung. „Die preistreibenden Wirkungen der Energiewende sind nicht von der Hand zu weisen. Doch sind dies überwiegend zeitlich begrenzte Effekte“, sagt Kraemer voraus. Nach einem vollständigen Aufbau der neuen Infrastruktur inkl. privater Anlagen könnte eine zunehmende Digitalisierung der Energienetze dafür sorgen, dass Strom bei Überkapazitäten günstig abgegeben wird. Auf die lange
16. August 2023
Frist wird der Umbau der Wirtschaft in Richtung „grün“ preisdämpfend wirken, mag er auch kurzfristig die Preise treiben.