So sei der beispielsweise in der Wohngebäudeversicherung wichtige Baupreisindex im vergangenen Jahr um über 14 Prozent gestiegen, der größte Anstieg seit 51 Jahren. „Neben den Effekten durch den Wegfall der befristeten Mehrwertsteuersenkung 2020 spiegeln sich hier vor allem die extrem gestiegenen Material- und Handwerkerkosten wider“, so Dr. Happacher. Stark steigende Preise beobachteten die Aktuarinnen und Aktuare aktuell auch bei Kfz-Ersatzteilen und Reparaturkosten, wodurch der sogenannte „Reparaturkostenindex Kraftfahrt“ stetig höher werde. „Aus diesen Daten lassen sich aber keine generellen Prognosen zu künftigen Prämienentwicklungen ableiten, da Umfang und Geschwindigkeit von Preisanpassungen stark unternehmensindividuell sind“, erläuterte Dr. Happacher.
Aber nicht nur in der Schaden-, sondern auch in der Privaten Krankenversicherung (PKV) sehen sich die Unternehmen mit deutlichen Preissteigerungen konfrontiert. „Bisher war der medizinisch-technische Fortschritt Treiber der Gesundheitskosten, der durch die Inflation nicht per se beschleunigt wird. Nun ist zum Beispiel damit zu rechnen, dass die ohnehin seit Jahren steigenden Medikamentenkosten zusätzlich von steigenden Herstellungskosten getrieben werden“, führte Dr. Happacher weiter aus. „Es bleibt zudem abzuwarten, welche Folgen die Inflationsentwicklung auf die kommenden Tarifabschlüsse und damit die Lohnkosten im Gesundheitswesen hat. Das ist die große Unbekannte in allen derzeitigen Modellen“, sagte Dr. Happacher. Aufgrund des komplexen Prämienanpassungsverfahrens in der PKV werden sich die inflationsbedingten Kostensteigerungen nach DAV-Prognosen flächendeckend frühestens in den PKV-Beitragsanpassungen für 2024 niederschlagen. „Aber dies ist sehr stark von der Kollektivzusammensetzung und der Kostenentwicklung in den jeweiligen Unternehmen abhängig, sodass es hier unterschiedliche Entwicklungen von Versicherer zu Versicherer geben könnte“, erklärte Dr. Happacher.
Anders stelle sich die Situation in der Lebensversicherung dar, die wie jede langfristige Sparform aktuell darunter leide, dass die Nominalverzinsung derzeit langsamer steige als die Inflation. „Leider ist die Realverzinsung bei Bank- und Versicherungsprodukten, die nicht in Aktien oder andere chancenreiche Substanzwerte investieren, im Moment so negativ wie nie zuvor und sie wird mittelfristig auch negativ bleiben“, erwartete Dr. Happacher. Daraus aber den Schluss zu ziehen, weniger oder gar nicht mehr zu sparen, wäre nach seiner Ansicht ein großer Fehler. „Denn die Inflation ändert nichts daran, dass die Menschen künftig mehr statt weniger kapitalgedeckte Altersvorsorge benötigen.“ Um dem Zangengriff aus hoher Inflation und niedrigen Kapitalmarktzinsen zu entkommen, plädierte die DAV für zwei Maßnahmen. „Erstens sollte die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass Versicherer mehr in chancenreiche Anlagen investieren können“, so Dr. Happacher. Dies beginne mit einer Lockerung der strengen Vorgaben für den vollständigen Beitragserhalt bei Riester bzw. in Teilen der betrieblichen Altersversorgung und umfasst auch die Anpassung handels- oder aufsichtsrechtlicher Hürden für Investments in Aktien und Infrastruktur. „Dies betrifft insbesondere auch Investments im Zuge des nachhaltigen Umbaus der Gesellschaft, den sogenannten Green Deal“, führte Dr. Happacher aus und ergänzte: „Zweitens ist jetzt die Europäische Zentralbank gefordert, dem Vorbild der US-amerikanischen FED zu folgen und die Zinsen schrittweise zu erhöhen.“
Zinszusatzreserve sollte ausfinanziert sein
Die Kapitalmärkte würden sich bereits auf das Ende der Ära des ultrabilligen Geldes einstellen, was sich seit einigen Monaten in steigenden Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere zeige. Bereits dieser Zinsanstieg schlage sich zum einen spürbar positiv in den Solvenzquoten der Versicherer nieder. „Wir erwarten für das erste Quartal 2022 noch einmal deutlich bessere Werte als zum Ende 2021“, gab DAV-Past-President Dr. Guido Bader zu Protokoll. Und zum anderen dürfte die seit 2011 zu stellende Zinszusatzreserve inzwischen in vielen Versicherungsunternehmen komplett ausfinanziert sein. „Sollte sich das aktuelle Zinsniveau verstetigen, wird die Zinszusatzreserve im Branchenschnitt Ende 2021 mit knapp 100 Milliarden Euro wohl ihren Höchststand erreicht haben und wird in den kommenden Jahren sogar leicht fallen“, so Dr. Bader weiter.
Dies bedeute vermutlich aber nicht, dass die Kundinnen und Kunden bereits kurzfristig mit steigenden Überschussbeteiligungen rechnen dürften. Denn durch den aktuellen Zinsanstieg werden in den HGB-Bilanzen der Versicherer sogenannte Stille Lasten aufgebaut. Diese würden nach Erwartung der DAV in vielen Häusern zunächst mit den freiwerdenden Mitteln aus der Zinszusatzreserve ausgeglichen werden. „Erst mittel- bis langfristig werden die Auflösung der Zinszusatzreserve sowie die höheren Zinsen bei der Neu- und Wiederanlage der Versichertenbeiträge den Versicherungsnehmenden unseres Erachtens in Form höherer Kapitalerträge zugutekommen“, erwartete Dr. Bader. Zeitpunkt und Ausgestaltung hingen aber erneut sehr stark von Unternehmensspezifika ab, sodass keine generelle Prognose möglich sei.