Die Euro-Währungshüter steuern trotz eines drohenden Wirtschaftsabschwungs auf weitere Zinserhöhungen zu. „Weitere Zinserhöhungen sind erforderlich, um die Inflationsrate zurück auf zwei Prozent zu bringen“, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel bei einem Symposium der Notenbank in Frankfurt. Auf die Höhe weiterer Erhöhungen wollte sich Nagel nicht festlegen: „Ich weiß nur, dass große Zinsschritte notwendig sind.“
Der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Luis de Guindos, sagte dem Nachrichtenportal „Politico“ in einem Interview: „Wir werden die Zinsen weiterhin auf ein Niveau anheben, das sicherstellt, dass die Inflation wieder mit unserer Definition von Preisstabilität in Einklang kommt.“ De Guindos betonte: „Wenn wir die Wachstumsaussichten verbessern wollen, ist es sehr wichtig, die Inflation zu bekämpfen.“
Inflationsrate in Deutschland bei 10,4 Prozent
Die EZB strebt für den Euroraum mittelfristig Preisstabilität bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent an. Vor allem der Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise heizt die Teuerung seit Monaten an. Im Euroraum lagen die Verbraucherpreise im Oktober um 10,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. In Deutschland stieg die Teuerungsrate im Oktober auf 10,4 Prozent.
Je länger die Inflation hoch bleibe, umso schwieriger werde es für die Geldpolitik, Preisstabilität wiederherzustellen, warnte Nagel. Damit stiege das Risiko, dass sich die Inflation mittelfristig auf hohem Niveau verfestige. „Daher werde ich mich weiter dafür einsetzen, dass wir als EZB-Rat keinesfalls zu früh nachlassen, dass wir die geldpolitische Normalisierung weiter hartnäckig vorantreiben – auch wenn unsere Maßnahmen die Wirtschaftsentwicklung dämpfen“, betonte Nagel, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitentscheidet.
„Inflation ist ein hartnäckiges Phänomen. Wenn das so ist, dann müssen wir in der Geldpolitik eben noch ein bisschen hartnäckiger sein“, sagte der Bundesbank-Präsident. Ansonsten drohten deutlich höhere gesamtwirtschaftliche Kosten.
Inflationsrate dürfte hoch bleiben
Sowohl Nagel als auch de Guindos rechnen damit, dass die Teuerung noch länger erhöht bleiben wird. „Auch im kommenden Jahr dürfte die Inflationsrate in Deutschland hoch bleiben. Ich halte es für wahrscheinlich, dass im Jahresdurchschnitt 2023 eine sieben vor dem Komma stehen wird“, prognostizierte Nagel.
EZB-Vize de Guindos erwartet, dass die Inflation im Euroraum in der ersten Hälfte des nächsten Jahres zurückgehen wird, „aber im Durchschnitt werden die Gesamt- und die Kerninflation sehr hoch bleiben“, sagte de Guindos.
Herausforderung für die Banken
Für Banken ist die Gemengelage aus einer in die Rezession rutschenden Wirtschaft und rasant steigenden Zinsen eine Herausforderung. „Die Finanzstabilität hat sich in den vergangenen sechs Monaten aufgrund der Wirtschaftsaussichten mit geringerem Wachstum und hoher Inflation sowie der Verschärfung der finanziellen Bedingungen erheblich verschlechtert“, fasste de Guindos zusammen. Banken seien heute allerdings auch viel widerstandsfähiger als noch vor zehn Jahren.
Ähnlich sieht es der für Bankenaufsicht zuständige Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling: „Dank komfortabler Kapitalpolster stehen die deutschen Banken insgesamt durchaus stabil da.“ Kreditausfälle seien bisher die Ausnahme, die Quote notleidender Kredite in den Bilanzen deutscher Banken sei weiterhin gering.
„Das aber lässt sich nicht einfach in die Zukunft fortschreiben“, mahnte Wuermeling. Risiken hätten zugenommen. „Dennoch gehe ich Stand heute davon aus, dass wir im kommenden Jahr keine Kreditklemme oder gar eine allgemeine Bankenkrise sehen werden“, bekräftigte Wuermeling.
Der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, mahnte die Geldhäuser im Euroraum, Risiken der Zinswende nicht zu unterschätzen. Der Ausstieg aus der Negativzinspolitik und die Normalisierung des Zinsumfelds seien zwar unbestreitbar „eine gute Nachricht für die Rentabilität der Banken“, sagte Enria bei dem Bundesbank-Symposium. Banken müssten jedoch „der Messung, Überwachung und dem aktiven Management des Zinsrisikos die gebührende Aufmerksamkeit widmen“. (dpa)