Nach Angaben der Deutschen Aktuarvereinigung gibt es rund 17 Millionen BU-Verträge. Das Analysehaus Franke & Bornberg (F&B) hat da andere Zahlen ermittelt und kommt nur auf 5,4 Millionen selbstständige Invaliditätsversicherungen. 11,4 Millionen Verträge sind Zusatzversicherungen, bei über 45 Millionen Berufstätigen. Warum läuft es beim Thema Arbeitskraftabsicherung nicht rund?
Horn: In Deutschland herrscht seit langem eine Unterversorgung bei der Absicherung von existenziellen Risiken wie zum Beispiel Invalidität. Wir merken in den Kundengesprächen, dass gerade bei der Berufsunfähigkeitsversicherung noch immer viele Vorurteile vorherrschen, die die Menschen davon abhalten, diese wichtige Absicherung für sich zu nutzen. Wir sehen zum Beispiel, dass die Gefahr, durch eine psychische Erkrankung berufsunfähig zu werden, sehr häufig unterschätzt wird. Dabei sind psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen, chronische Erschöpfungs- oder Müdigkeitssyndrome, mittlerweile der häufigste Grund für eine Berufsunfähigkeit in Deutschland – und können wirklich jeden treffen, egal ob er oder sie im Büro oder auf dem Bau arbeitet. Aus meiner Sicht ist es daher extrem wichtig, die Aufklärungsarbeit, die wir aber auch die Branche insgesamt bereits leisten, weiter zu intensivieren und die Menschen von dem Nutzen und der Notwendigkeit für sie persönlich zu überzeugen.
Hemmen hohe Energiekosten, wirtschaftliche Unsicherheit und die immer noch hohe Inflationsrate die Bereitschaft, die Arbeitskraft finanziell abzusichern?
Horn: Es ist sicher so, dass die Menschen in der derzeitigen Situation verstärkt auf ihre Ausgaben schauen. Das zeigen auch Daten unseres Ergo Risiko Reports. Dies darf aber nicht dazu führen, dass am falschen Ende gespart wird – und zwar an der eigenen Existenz. Denn kurzfristige Einspareffekte, sei es durch Kündigung oder Wechsel zu einem vermeintlich günstigeren, aber finanziell weniger soliden Anbieter, würden den langfristigen Nutzen einer Arbeitskraftabsicherung für die Versicherten bei weitem nicht ausgleichen. Staatliche Leistungen, wie die Erwerbsminderungsrente, können die finanzielle Lücke nicht füllen, die durch einen Verlust des Arbeitseinkommens entsteht.
Mein Eindruck ist, dass immer mehr Gesellschaften sich auf Schüler und Studenten als neue Zielgruppe fokussieren. Welche Rolle spielt die Zielgruppe für Sie?
Horn: Schüler, Studenten aber auch Auszubildende sind ohne Frage eine wichtige Zielgruppe. Wir bieten mit der Ergo BU Schüler und der Ergo BU Start gleich zwei Tarife für Heranwachsende ab zehn Jahren an. Denn wenn junge Menschen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr studieren oder ihre Ausbildung zu Ende führen können, sind sie von staatlichen Leistungen meist ausgenommen. Der Anspruch auf eine Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, etwa der bereits erwähnten Erwerbsminderungsrente, entsteht in der Regel erst nach fünf Versichertenjahren. So müssen oftmals Angehörige die finanzielle Last tragen, wenn zum Beispiel für die Betreuung und Pflege des eigenen Kindes die eigene Arbeitszeit reduziert werden muss. Eine private BU-Versicherung schafft für diesen Fall finanzielle Entlastung und Sicherheit für Angehörige und Versicherte.
Wo liegen die Herausforderungen in der Ansprache und Beratung?
Horn: Wer jung und fit ist, kann sich kaum vorstellen, dass das eines Tages vielleicht nicht mehr so ist. Wer später beispielsweise einen Schreibtisch-Job haben wird, ist davon überzeugt, vor Berufsunfällen und -krankheiten weitestgehend gefeit zu sein. Warum sich also daher dagegen absichern? Die Herausforderung für uns liegt also darin, überhaupt ein Problembewusstsein bei jungen Leuten zu schaffen, um dann die Vorteile der BU-Versicherung für sie aufzuzeigen. Immerhin profitieren junge Leute dabei besonders. Da sie in der Regel weniger Vorerkrankungen haben, sind Zuschläge oder Leistungsausschlüsse selten. Dadurch bleiben die Beiträge für sie langfristig niedrig. Der Versicherungsschutz begleitet sie dann auch im weiteren Verlauf ihrer beruflichen Karriere. Hinzu kommen Einsteiger-Tarife, die speziell für die meist begrenzten finanziellen Möglichkeiten von Schülern, Studenten und Azubis entwickelt wurden. So bietet Ergo etwa eine Einsteiger-Variante an, bei der der Berufseinsteiger bis zum achten Versicherungsjahr von besonders günstigen Beiträgen profitiert.
Die BU-Versicherung gehört zu den wenigen Produkten, die der Kunde oder die Kundin Jahrzehnte im Bestand hat. Welche Bausteine haben Sie in ihre Tarife integriert, damit sie den beruflichen und privaten Steps folgen können?
Horn: Das Leben hält viele Überraschungen bereit. Um flexibel auf sie reagieren zu können und den Versicherungsschutz entsprechend anzupassen, bieten wir unseren Kunden verschiedene Anpassungsmöglichkeiten wie zum Beispiel eine Nachversicherungsgarantie. Dadurch können sie die Berufsunfähigkeitsrente während der Vertragslaufzeit bei bestimmten Ereignissen, wie etwa dem Abschluss einer Berufsausbildung, des Studiums oder einer Weiterqualifikation, sowie bei Heirat oder Geburt eines Kindes ohne erneute Gesundheitsprüfung erhöhen. Wir empfehlen unseren Kunden darüber hinaus auch den Einschluss einer Beitragsdynamik als Inflationsschutz. Dabei steigt der Beitrag jährlich um den vorab vereinbarten Prozentsatz. Die Berufsunfähigkeitsrente erhöht sich entsprechend. Um flexibel zu bleiben, kann der Kunde jedes Jahr entscheiden ob er die Dynamik auch annehmen möchte. Gerade für Kunden die ins Berufsleben starten, bieten wir mit unserem „Karriere Plus“-Paket außerdem attraktive und sinnvolle Zusatzleistungen, die es ermöglichen, die vereinbarte Rente bei Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums zu verdoppeln und an den Lebensstandard anzupassen.
„Der BU-Schutz hat ein Top-Niveau erreicht. Nach mehr als 28 Jahren Qualitätswettbewerb ist die BU austrainiert“, sagt F&B-Geschäftsführer Michael Franke. Was sind die entscheidenden Kriterien, die auf einem derart hohen Niveau den Ausschlag geben?
Horn: Ein wichtiges Kriterium ist die Finanzstärke eines Anbieters. Nur finanziell solide aufgestellte Unternehmen können ihren Kunden eine langfristige Beitragsstabilität bieten. Dies sollten Kunden bei der Entscheidung, für welche Police sie sich letztendlich entscheiden, auf jeden Fall mitdenken. Daneben bieten die am Markt bestehenden Tarife aus meiner Sicht aber durchaus ausreichende Unterscheidungsmöglichkeiten. Kunden sollten darauf achten, dass der Tarif neben den bereits angesprochenen Erhöhungsmöglichkeiten auch Lösungsansätze bietet, wenn im Geldbeutel einmal Ebbe herrscht. Als gute Anpassungsmöglichkeit sehe ich auch eine Option zum späteren Umtausch in eine Basisrente mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung an. Auch wenn die Qualität über den ganzen Markt bereits ein sehr hohes Niveau erreicht hat, gibt es auch noch den ein oder anderen Leuchtturm am Markt, der sich besonders hervortut. So verzichtet die Deutsche Anwalt- und Notar-Versicherung für alle rechts-, steuer- unternehmensberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufen, sowie für Wirtschaftswissenschaftler, auf die Prüfungsmöglichkeit einer abstrakten und einer konkreten Verweisung sowohl in der Erst- als auch in der Nachprüfung.
Der Markt der Grundfähigkeitsversicherung als preiswertere Alternative zur BU entwickelt sich rasant. Doch das Produkt hat eine große Schwäche: sie sichert nicht die Arbeitskraft ab, sondern Fähigkeiten. Ist die Grundfähigkeitsversicherung dennoch eine gute Alternative?
Horn: Es hängt letztendlich davon ab, was der Kunde absichern möchte. Die Grundfähigkeitsversicherung ist eine bewusst niedrigschwellige Möglichkeit der Absicherung. Sie bietet einen klar definierten Schutz, der in vorab bestimmten Fällen greift. Gleichzeitig ist die Versicherung in der Regel auch recht günstig. Generell möchte ich aber von dieser entweder/oder-Betrachtung wegkommen und vielmehr die Chancen einer Kombination beider Absicherungsmöglichkeiten betonen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der BU? Wo liegen hier die Herausforderungen?
Horn: Der schnelle Weg zum Versicherungsschutz ist mitentscheidend. Kunden wollen heute keine endlosen Antragsstrecken mehr ausfüllen und auch nicht wochenlang auf die Prüfung ihrer Anträge warten. Daher bietet Ergo zum Beispiel am Point of Sale mit unserem sogenannten Expertensystem eine hoch digitalisierte Lösung, um direkt mit dem Kunden vor Ort schon innerhalb weniger Augenblicke möglichst das Ergebnis der Gesundheitsprüfung zu erhalten. Dies spart oftmals einen weiteren Termin und damit Zeit und auch Geld für alle Beteiligten.
Viele Menschen hierzulande sind auf „Geldsparen“ getriggert. Macht das bei einer BU-Absicherung Sinn?
Horn: Die größte Herausforderung aus meiner Sicht ist das Aufräumen mit immer noch weit verbreiteten Vorurteilen – zum Beispiel in Bezug auf falsch verstandene „Sparangebote“. Versicherte sollten sich einen finanzstarken und verlässlichen Anbieter für ihre Vorsorge suchen, damit sie langfristig von stabilen Beiträgen profitieren und nicht das anfangs gesparte Geld doppelt und dreifach durch höhere Beiträge wieder verlieren. Noch schlimmer wäre es in diesem Zusammenhang natürlich, wenn im Leistungsfall der Versicherer seinen Kunden nicht adäquat helfen könnte. Wir als Branche müssen unsere Aufklärungsarbeit in Bezug auf die BU-Versicherung weiter intensivieren und die Kunden vom Nutzen dieser wichtigen Absicherung für sie persönlich überzeugen. Eine Berufsunfähigkeit kann wirklich jeden treffen, dieses Bewusstsein fehlt leider noch immer in weiten Teilen der Gesellschaft. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.
Das Interview führte Cash. Redakteur Jörg Droste