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Interview mit Guido Bader: „Eine Rentenreform kommt erst, wenn wir mitten in der Wand stecken“

Es gab eine spannende Umfrage von Canada Life: Rund drei Viertel der Befragten glauben nicht, dass die Politik zu einer echten Rentenreform fähig ist. Ein regelrechtes Armutszeugnis für die Politik – wie sehen Sie das?

Bader: Leider teile ich diese Befürchtung. Eine Rentenreform kommt erst, wenn wir nicht nur vor der Wand stehen, sondern mitten in der Wand stecken – um es plastisch auszudrücken. So war es damals bei Riester und Gerhard Schröder: Erst als die finanzielle Lage unhaltbar wurde, kam mit der Agenda 2010 eine echte Reform. Der Leidensdruck wäre eigentlich schon in den 80er Jahren unter Helmut Kohl groß genug gewesen. Doch erst wenn die Rente deutlich unter 48 Prozent fällt, die Beiträge über 20 Prozent steigen, die Industrie ächzt und sich die Rezession verstetigt, wird der Reformdruck unerträglich – und dann werden die Einschnitte umso härter. Die Menschen werden so um wertvolle Jahre betrogen, in denen sie hätten vorsorgen können – sei es privat, betrieblich oder durch ETF-Sparpläne. Doch stattdessen hält sich das Dogma „Die Rente ist sicher“. Nein, ist sie nicht. Die Demografie lässt sich nicht leugnen.

Sie sind Mathematiker und Aktuar, kennen die Zahlen. Bis wann muss die Politik spätestens handeln?

Bader: Rein rechnerisch ist die Sache klar: 1964 war der geburtenstärkste Jahrgang. Diese Menschen sind jetzt 60 Jahre alt – in fünf Jahren kommt der volle Druck auf das Rentensystem. Eine Legislaturperiode hält es noch aus, aber die übernächste Bundesregierung wird es hart treffen, wenn jetzt nichts passiert. Leider befürchte ich, dass die Canada-Life-Umfrageteilnehmer recht haben: Die Politik konzentriert sich derzeit auf Wirtschaft, Sicherheit und Migration – doch eine Legislaturperiode später wird es richtig bitter.

Lassen Sie uns noch mal zu Riester zurückkommen. Planen Sie dort ein Comeback?

Bader: Wir überlegen, zur Jahresmitte wieder Riester einzuführen. Ich halte Riester grundsätzlich für kein schlechtes Produkt – besonders für junge Familien und Alleinerziehende, die von einer attraktiven staatlichen Förderung profitieren. Entscheidend ist ein fair gestaltetes Produkt, das nicht kostenüberladen ist. Das Hauptproblem: Zu hohe Garantien, zu komplexe Förderung, keine Dynamisierung. Mit gezielten Anpassungen könnte Riester wieder attraktiv sein – die Zielgruppe dafür ist definitiv da.

Meine Frau hat eine Riester-Rente 2002 abgeschlossen. Und die zu erwartende Rente ist nicht gering.

Bader: Da geht was. Die Frage ist, wie viel der Staat dazu gibt. Warum muss man das Produkt totreden? Warum kann man das nicht ordentlich reformieren? Nochmals: Wenn die Politik Riester mit einer Reform wieder aufwertet, wird die Bevölkerung dem Produkt auch wieder positiv gegenüberstehen. Die Vertriebe, gerade die großen Strukturen, die auch eher den Zugang zu jüngeren Menschen haben, wollen Riester wieder.

Themenwechsel: Wie positioniert sich die Stuttgarter Leben im Wettbewerb insbesondere vor dem Hintergrund des gestiegenen Garantiezinses?

Bader: Die klassische Lebensversicherung steht für uns nicht im Fokus. Was ich aktuell im Markt beobachte: Die Tagesgeldzinsen sinken wieder, und plötzlich springen die Einmalbeitragsversicherer verstärkt auf dieses Geschäft auf. Hier gibt es eine klare Marktbewegung. Ich gehe davon aus, dass der Markt insgesamt ein Wachstum im gebuchten Beitrag verzeichnet hat, weil mit der Zinssenkung im letzten Quartal die Einmalbeiträge wieder angezogen haben. Gleichzeitig dürften die laufenden Beiträge eher seitwärts verlaufen oder leicht rückläufig sein. Unsere Ausrichtung bleibt klar: Wir setzen auf fondsgebundene und hybride Produkte mit abgesenkten Garantien von 50 bis 80 Prozent – und das halten wir für den richtigen Weg. Wer einen langen Ansparprozess hat, sollte chancenorientiert investieren. Einmalbeiträge sind bisher nicht unser Fokus. Natürlich würde ich mir etwas mehr wünschen; aber wir treten nicht gegen Banken an, sondern konzentrieren uns auf Altersvorsorge – nicht auf Bank-Substitutionsgeschäft.

Wie reagieren die Kunden auf die abgesenkten Garantien?

Bader: Meine Wahrnehmung ist, dass die meisten Kunden verstanden haben, dass sie heute stärker auf Chancen setzen müssen. Gleichzeitig sehen viele, dass sie dafür nicht vollständig auf Garantien verzichten müssen. Mit einer 80-Prozent-Garantie bleibt die Fondsquote hoch, während später, Richtung Rentenbeginn, die Garantie wieder angehoben werden kann. Jetzt auf hohe Garantien zurückzuschwenken, würde nur neue Verunsicherung schaffen – das wäre das falsche Signal.

Die bAV ist ein wichtiger Markt für Sie. Gleichzeitig wächst die bKV deutlich stärker. Oft wird sie als Einstieg für die bAV genutzt. War das ein Treiber für die Fusion mit der SDK?

Bader: Nein, das war nicht der Auslöser. Der mögliche Zusammenschluss wurde aus der strategischen Überlegung heraus initiiert, zwei starke Unternehmen in einer Wachstumsphase zusammenzuführen, bevor demografische Herausforderungen entstehen. Zusammenschlüsse machen nur Sinn, wenn zwei Starke sich zusammentun. Natürlich bietet sie großes Potenzial: Wir verstehen uns als Wachstums-Case, nicht als Kostenspar-Case. Die betriebliche Vorsorge ist ein wichtiger Baustein, und unser Ziel ist es, eine ganzheitliche Lösung aus einer Hand anzubieten – von der bAV über die bKV bis hin zur betrieblichen Pflege, Gruppenunfall- und Altersvorsorge. Das ist ein echter Mehrwert für Unternehmen und Personalabteilungen.

bAV bedeutet komplexe Produkte und Strategien. Wo liegen die größten Herausforderungen bei Beratung und Implementierung?

Bader: In der aktuellen wirtschaftlichen Lage gibt es viele Störfälle – etwa Firmenaustritte, Jobwechsel und eine extrem heterogene bAV-Landschaft mit fünf Durchführungswegen plus der reinen Beitragszusage. Hier wäre gesetzgeberische Unterstützung wichtig, insbesondere um sicherzustellen, dass Beschäftigte ihre bAV einfach mitnehmen können. Andernfalls entstehen ständige Neuberatungen, Beitragsfreistellungen oder Abfindungen, was das System ineffizient macht. Eine Vereinfachung der Übertragbarkeit wäre ein echter Fortschritt. Unabhängig davon werden Wechsel und Störfälle immer Teil der bAV bleiben – vielleicht sogar noch zunehmen. Deshalb setzen wir auf Digitalisierung: Arbeitgeber sollten ihre Prozesse einfach und automatisiert über Kundenportale abwickeln können, ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Wir investieren hier viel, aber solche Systeme brauchen Zeit, bis sie vollumfänglich funktionieren.

Wenn man auf die fünf Durchführungswege schaut: Welcher ist bei Ihnen am relevantesten, also der eigentliche Margentreiber? Und welcher verdient mehr Aufmerksamkeit im Markt?

Bader: Wir bieten ohnehin nur drei Durchführungswege an: Direktversicherung, Rückdeckung über die Unterstützungskasse und Rückdeckung von Direktzusagen. Letzteres ist bei uns ein Nischenthema, während die Unterstützungskasse für Besserverdiener ein klarer Geschäftstreiber ist. Aber mit weit über 80 Prozent Marktanteil ist die Direktversicherung unser mit Abstand wichtigster Weg. Sie ist auch am einfachsten übertragbar, wenn ein Arbeitnehmer den Job wechselt – und damit unkompliziert für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hier könnte der Gesetzgeber noch nachbessern, um die Portabilität weiter zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre die Frage: Warum die Direktversicherung nicht nach oben öffnen? Dann könnte man sich in vielen Fällen die Unterstützungskasse sparen.

Gerade in kleineren Unternehmen hat die Direktversicherung oft nicht die Durchdringung, die sie bräuchte.

Bader: In kleinen Unternehmen gibt es oft eine Angst vor Verwaltungsaufwand – von der Einrichtung bis zur laufenden Betreuung. Häufig gibt es auch keine Beratung, sodass viele Unternehmen in eine Abwehrhaltung gehen. Dabei hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine bAV, und der Arbeitgeber muss sogar einen Zuschuss leisten. Wenn es gelingt, die bAV einfacher und transparenter zu gestalten, könnten deutlich mehr Mitarbeiter in kleinen Unternehmen einsteigen. Ziel muss eine Durchdringung von weit über 50 Prozent sein – aktuell bewegen wir uns nur zwischen 50 und 60 Prozent, und in manchen kleineren Betrieben sieht es noch viel düsterer aus. Komplexität und Unsicherheit sind die größten Hürden.

Ist die mangelnde Informationspolitik in kleinen Firmen ein Hindernis?

Bader: Absolut – und hier kommen wir zum Vertrieb. Die Frage, die wir in der politischen Diskussion immer wieder führen müssen: Braucht es Provisionen und Vermittler? Ich sage ganz klar: Ja. Die Aufklärung und Beratung muss jemand leisten – sonst bleibt die bAV in kleinen Unternehmen auf der Strecke.

Seite 3: “ Es braucht den Schubs des Beraters“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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