EXKLUSIV

Interview mit Guido Bader: „Eine Rentenreform kommt erst, wenn wir mitten in der Wand stecken“

Thema Aufklärung: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrer bAV?

Bader: Wir waren mit unserer GrüneRente ein Pionier in Sachen Nachhaltigkeit. In der betrieblichen Altersvorsorge liegt ihr Anteil immer noch bei rund 50 Prozent, was zeigt, dass das Thema eine große Rolle spielt. Allerdings haben wir 2024 erstmals bemerkt, dass der Anteil der GrüneRente nicht weiter gewachsen ist – er ist sogar leicht gesunken. Das liegt an der Überregulierung, die zunehmend um sich greift, und an der öffentlichen Diskussion, die Verbraucher zunehmend verunsichert. Die vielen Greenwashing-Debatten und teils hysterischen Diskussionen führen dazu, dass sich die Menschen zurückziehen – genau das Schlimmste, was der Nachhaltigkeit passieren kann. Diese Regulierungsflut und die regelrechte Hexenjagd schrecken Kunden ab. Statt Vertrauen zu schaffen, verwirrt man die Menschen nur noch mehr. Das ist komplett kontraproduktiv.

Was genau meinen Sie mit Hexenjagd?

Bader: Momentan läuft eine riesige öffentliche Diskussion über Greenwashing. Plötzlich gibt es zahllose selbsternannte „Grünheitsjünger“, die für sich beanspruchen, genau zu wissen, was wirklich nachhaltig ist und was nicht – alles andere gilt als böse und schlecht. Das halte ich für verheerend. Die überbordende Regulatorik hat diese Debatte erst ermöglicht. Und worauf reagieren Menschen, wenn sie verunsichert sind? Sie suchen einfache Lösungen. Das sehen wir nicht nur bei der Nachhaltigkeit, sondern in vielen gesellschaftlichen und politischen Themen weltweit. Die Politik muss verstehen: Manche Lösungen müssen einfach sein. Nehmen wir als Beispiel den Klimawandel und die CO₂-Reduktion – wenn wir uns darauf fokussieren, können wir Menschen erreichen. Doch wenn wir das Ganze mit unübersichtlichen ESG-Kriterien, Kennzahlen und Grenzwerten überfrachten, steigt niemand mehr durch. Und dann verliert das Thema an Akzeptanz.

Wer ist der Katalysator für die Entwicklung?

Bader: Ganz klar Brüssel. Ich glaube, die Menschen dort sind hochintelligent und haben die besten Absichten. Aber sie haben einfach nicht verstanden, wie man das Thema verständlich vermittelt. Ihr Vorgehen ist aus meiner Sicht das Schlimmste, was man für Nachhaltigkeit und den Planeten tun kann. Statt pragmatische Lösungen zu schaffen, verlieren sie sich in Regulierungswut und Bürokratie – und das schreckt die Menschen ab.

Und wo liegen die vertrieblichen Hürden beim Thema?

Bader: Die Verpflichtung, Nachhaltigkeitspräferenzen abzufragen, ist ein großes Problem. Das macht alles unnötig kompliziert. Vertrauen wäre der bessere Ansatz: Wenn ein Vermittler dem Kunden sagt, „Die Stuttgarter hat ein nachhaltiges Produkt, zertifiziert von INAF, mit einem Qualitätssiegel – möchtest du damit auch etwas für die Umwelt tun?“, dann ist die Antwort oft „Ja“. Aber wenn man den Kunden dann durch einen Katalog an Detailfragen schleust – Sind Sie gegen Kohle? Für oder gegen Atom? Wie stehen Sie zu bestimmten Branchen? – dann springen viele ab. Der Vermittler denkt: „Diese Zeit bezahlt mir keiner.“ Und der Kunde sagt sich: „So tief habe ich darüber nicht nachgedacht – lassen wir das.“ Das Ergebnis: Nachhaltigkeit wird einfach übersprungen, und am Ende landen alle wieder bei den Standardprodukten. Das ist schade und kontraproduktiv.

Lassen Sie uns mal auf Ihr Unternehmen blicken. Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für die Stuttgarter?

Bader: Wir versuchen, Nachhaltigkeit sowohl als Unternehmen als auch in unseren Produkten zu leben – so gut es sinnvoll und machbar ist. Wir beziehen grünen Strom, auch wenn er etwas teurer ist, stellen unsere Fahrzeugflotte sukzessive auf nachhaltige Antriebe um und sanieren unsere Immobilien energetisch. Außerdem messen wir den CO₂-Ausstoß unserer Kapitalanlagen und haben das Ziel, diesen bis 2045 so weit zu senken, dass der verbleibende Anteil kompensiert werden kann. Unsere Kapitalanlagen unterliegen klaren Ausschlusskriterien. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Die überbordenden regulatorischen Berichtspflichten binden uns derzeit stark. Statt sich voll auf Nachhaltigkeit auszurichten, verbringen wir viel Zeit damit, Vorgaben zu erfüllen und Berichte zu schreiben.

Und wie sieht es beim Produktangebot aus?

Bader: Wir haben mittlerweile für jedes Produkt eine nachhaltige Variante. In der Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung – wo ohnehin eine Sparkomponente enthalten ist – bieten wir ausschließlich nachhaltige Tarife an. Bei allen Sparprodukten – ob Indexpolicen, Klassik oder Hybridlösungen – gibt es eine nachhaltige Variante, in der nur ESG-konforme Fonds wählbar sind. Allerdings könnten wir jetzt endlos darüber diskutieren, ob jeder Artikel-8-Fonds wirklich nachhaltig ist. Wenn man das aber zu Tode analysiert, dann springen die Leute ab. Wichtiger ist, dass Nachhaltigkeit konsequent angeboten wird, ohne zu verkomplizieren.

Thema Digitalisierung: Können Sie einmal ihre digitale Vertriebs- und Kundenstrategie skizzieren?

Bader: Wir befinden uns gerade in einer großen Systemumstellung und wechseln zum Bestandsführungssystem „Life Factory“. Das bedeutet, dass wir alle Prozesse durchdenken und konsequent digitalisieren – vom ersten Kundenkontakt bis zur Bestandsverwaltung. Aber wenn wir von „Ende zu Ende“ denken, dann gilt das für uns oft vom unabhängigen Vermittler zum unabhängigen Vermittler. Endkunden nutzen Portale nur selten, weil sie schlicht zu wenig Kontakt mit ihrer Lebensversicherung haben. Für uns ist es daher wichtiger, dass Vermittler effizient in den Extranetzen arbeiten können und Geschäftsvorfälle vollständig digital abwickeln. Auch in der bAV versuchen wir, Personalabteilungen digital einzubinden. Aber den Endkunden allein digital abzuholen, ist schwierig.

Persönliche Beratung bleibt also zentral?

Bader: Absolut. Wir sind ein reiner Maklerversicherer und setzen ausschließlich auf unabhängige Vermittler. Der persönliche Kontakt bleibt essenziell – heute und auch in Zukunft. Große Vertriebspartner nutzen bereits digitale Beratungsunterstützung, aber ich bin überzeugt, dass es weiterhin den direkten Austausch mit einem Berater braucht. Die Altersvorsorge ist eine langfristige und weitreichende Entscheidung – dafür suchen Menschen persönliche Sicherheit. Viele beschäftigen sich nicht freiwillig mit Altersvorsorge. Es braucht den Schubs des Beraters – den kann KI nicht ersetzen.

Ein gutes Stichwort: Braucht es mittlerweile einen stärkeren Schubs: Heißt, muss man argumentativ deutlich mehr in die Waagschale werfen, um die Leute von der Altersvorsorge zu überzeugen?

Bader: Wenn ich unsere Partner sehe und unser Neugeschäft, dann glaube ich es nicht. Ich nehme wahr, dass die Menschen mittlerweile wissen, dass sie etwas tun müssen. Zwar suggeriert die Politik mit Haltelinien und Versprechungen, dass die gesetzliche Rente stabil bleibt, aber die Menschen glauben das nicht mehr. Das Problem ist eher, dass sich viele fragen: „Was soll ich tun?“ Ein ETF-Sparplan? Eine Immobilie? Die ist teuer geworden. Hier braucht es Beratung und Orientierung. Wichtig ist, dass man nicht nur eine Lebensversicherung abschließt, sondern breiter aufgestellt ist. Der Berater hilft, den ersten Schritt zu machen – und den braucht es.

Sie haben als Versicherer sehr früh für die Digitale Rentenübersicht geworben. Andere Versicherer sehen den Nährwert sehr skeptisch.

Bader: Wir unterstützen unsere Vermittler aktiv dabei, die digitale Rentenübersicht zu nutzen. Für Endkunden ist das aktuell noch kein Selbstläufer – viele haben davon noch nie gehört. Dazu kommt die technische Hürde: Man braucht einen elektronischen Personalausweis und muss sich verifizieren – das ist nicht gerade intuitiv. Ich nutze sie selbst gelegentlich, und es ist nicht einfach. Für Vermittler ist sie jedoch ein tolles Werkzeug, weil sie damit einen schnellen Überblick über die vorhandene Altersvorsorge des Kunden bekommen – sofern dieser die Daten teilt. Besonders in der bAV sind jedoch längst nicht alle Verträge erfasst. Deshalb schulen wir unsere Vermittler, die digitale Rentenübersicht aktiv in der Beratung einzusetzen, anstatt darauf zu warten, dass Kunden von selbst auf sie stoßen.

Viele Kunden bekommen ihren Rentenbescheid, aber der Hinweis auf die digitale Rentenübersicht ist kaum sichtbar. Ist das ein Versäumnis?

Bader: Definitiv. Es gab mehrere Umfragen – ich weiß gar nicht mehr, von wem – die zeigten, dass kaum jemand die digitale Rentenübersicht kennt. Das Problem ist: Man macht einen riesigen Wirbel um das Thema – aber vergisst die Kommunikation. Ein winziger QR-Code im Rentenbescheid reicht nicht aus. Das ist leider klassische Politik: Man setzt etwas technisch um, wundert sich dann aber, warum es nicht genutzt wird. Es fehlt einfach die breite Aufklärung.

Blicken wir nach vorne: Die Prognosen für 2025 sind schwach. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen erwarten Sie – und welche strategischen Schwerpunkte setzt die Stuttgarter?

Bader: Die wirtschaftliche Lage bleibt angespannt. Deutschland steckt weiterhin in einer schwierigen Phase. Trotzdem sehen wir weiterhin ein starkes Neugeschäft – denn die Menschen wissen, dass sie vorsorgen müssen. Unser Ziel ist es, Bestandswachstum zu generieren und den möglichen Zusammenschluss mit der SDK erfolgreich umzusetzen. Aber das gelingt nur, wenn wir unsere Vermittler mit guten Ideen und fairen Produkten unterstützen. Der Markt ist da – aber es braucht Aufklärung und vertriebliche Unterstützung. Wir werden auch 2025 weiter Insolvenzen sehen und mit erhöhtem Storno umgehen müssen, aber ich rechne damit, dass sich das etwas stabilisiert. Es ist viel Arbeit, aber die wird sich lohnen.

Und welche Trends zeichnen sich in Ihrem Produktportfolio ab?

Bader: Wir bleiben klar bei hybriden und fondsgebundenen Produkten. Riester wird 2025 ein Schwerpunktthema – und möglicherweise prüfen wir auch ein innovatives Einmalbeitragsprodukt. Aber zu viele Produktanpassungen sind nicht sinnvoll. Ich kritisiere oft die Politik dafür, dass sie die Menschen durch ständige Änderungen verunsichert. Das Gleiche gilt für uns als Versicherer: Wenn wir ständig „noch bessere“ Produkte präsentieren, dann verunsichern wir unsere Vermittler. Lebensversicherung ist ein langfristiges Geschäft. Kontinuität ist wichtig – natürlich müssen wir Produkte weiterentwickeln, aber unser Fokus bleibt auf Stabilität und Verlässlichkeit.

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