Laut Ihrer Studie liefert ChatGPT „sehr vernünftige Ergebnisse“ in der Finanzberatung ab. Müssen Finanzberater um ihre Jobs bangen, weil die KI sie schon bald überflüssig machen könnte?
Hornuf: Empirische Untersuchungen aus anderen Bereichen, etwa der Medizin, deuten bisher darauf hin, dass KI für bestehende Mitarbeiter eher ein Partner als ein Konkurrent ist. Auch Finanzberater können von der Zusammenarbeit mit einer KI profitieren, etwa wenn Bereiche mit geringerer Wertschöpfung von der KI und Bereiche mit höherer Wertschöpfung vom Finanzberater übernommen werden. Beispielsweise kann die KI die Präferenzen der Kunden abfragen, während der Finanzberater möglicherweise in Zusammenarbeit mit einer anderen KI ein Portfolio zusammenstellt und anschließend Anleger berät.
In der Branche der Finanzvertriebe und Maklerpools herrscht die Meinung vor, KI könne die persönliche Finanzberatung nicht ersetzen, zum Beispiel weil ihr Empathiefähigkeit fehle. Durch einen sinnvollen Einsatz der KI könnten sich Finanzberaterinnen und Finanzberater aber auf das konzentrieren, was ihre Kernkompetenz ist, nämlich die Finanzberatung. Die KI als nützlicher Assistent – ist das eine realistische Einschätzung?
Hornuf: Ich würde dieser Einschätzung grundsätzlich zustimmen. Allerdings kann beispielsweise GPT-4 per se noch keine Investition tätigen. Der Aufbau und die Verwaltung eines Portfolios stellt für viele Anleger jedoch eine Herausforderung dar. Entweder ist noch mehr Automatisierung erforderlich oder der Finanzberater muss diese Aktivitäten auch weiterhin unterstützen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass der KI grundsätzlich die Fähigkeit zur Empathie fehlt. Anders als ein menschlicher Finanzberater wird die KI nicht müde, zum zehnten Mal zu erklären, warum „Wetten“ auf einzelne Aktien keine gute Altersvorsorge sind.
Sie vermuten, dass sich Investierende vor einem Roboter weniger als Experten ausgeben als vor einem Finanzberater. Warum und was hat das zur Folge?
Hornuf: Menschen tendieren dazu, mehr Vertrauen in ihre Kompetenz zu haben, je weniger sie tatsächlich über ein Thema wissen. Dieses Phänomen wird auch als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet. Gleichzeitig wissen wir, dass Menschen oft versuchen, ihr Selbstkonzept, beispielsweise als erfolgreicher Investor, aufrechtzuerhalten. Es ist denkbar, dass diese Phänomene vor allem in der Interaktion zwischen Menschen relevant sind. Das heißt, ich kann einem Roboter möglicherweise besser meine Unwissenheit oder Inkompetenz eingestehen, weil er so programmiert werden kann, dass er die Fähigkeiten eines Menschen als Anleger nicht wertet. Das könnte es Anlegern ermöglichen, beim Investieren ein geringeres Risiko einzugehen, da sie sich nicht gegenüber einer anderen Person beweisen müssen oder weitere Fragen stellen können, wenn ihnen etwas unklar ist.
Sie haben bereits Folgestudien zu diesem Thema angekündigt. Was wollen Sie darin untersuchen?
Hornuf: Wir werden zunächst die soeben aufgeworfenen Fragen untersuchen. Beeinflusst die Finanzberatung eines Roboters möglicherweise die Risiko- oder Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger? Gleichzeitig werden wir untersuchen, ob Menschen von einem Roboter tatsächlich Ratschläge zu hochwertigen Dienstleistungen wie der Zusammenstellung eines Portfolios erhalten möchten. Wir führen bereits Gespräche mit Praxispartnern, sind aber offen für weitere Kooperationen.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.