Glauben Sie, dass man darüber bei Thema Pflege mehr Menschen erreichen kann?
Deschka: Da sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Für mich ist die betriebliche Pflegeversicherung etwas, was wir in Deutschland wirklich brauchen. Wir wissen, dass die gesetzliche Pflegeversicherung finanzielle Probleme hat. Allein in diesem Jahr liegt das Defizit bei über zwei Milliarden Euro. Außerdem wissen wir, dass der Beitragssatz von 3,05 Prozent für verheiratete und 3,3 Prozent für kinderlose Paare zur Finanzierung langfristig nicht ausreichen wird. Und wir wissen auch, dass sich der Vertrieb schwer tut mit dem Thema. Ob im Maklervertrieb, Direktvertrieb oder Bankassekuranz: Alle haben Schwierigkeiten, das Thema Pflegeversicherung anzusprechen. Die Menschen beschäftigen sich damit meist erst, wenn es ihnen gesundheitlich nicht mehr so gut geht oder es einen Pflegefall in der Familie gibt.
Ich sehe hier Versicherer, Vertrieb und Politik in der Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, dass die gesetzliche Pflege nicht ausreicht. Ähnlich wie bei der Altersvorsorge braucht es auch hier eine dritte Säule: Wir müssen eine betriebliche Pflegeversicherung im Gesetz schaffen, die steuer- und sozialversicherungsfrei ist und damit eine gewisse Attraktivität für die Arbeitgeber bietet. Damit erreiche ich auch die Jungen, die sich bis heute noch nicht mit diesem so wichtigen Thema beschäftigt haben.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden Jahrzehnten steigen. Die gesetzliche Pflegeversicherung lebt von der Hand in den Mund. Der Vertrieb macht einen Bogen um das Thema. Warum gibt es keine konzertierte Aktion von gesetzlichen und privaten Kassen. Die Erkenntnisse sind ja auf beiden Seiten vorhanden.
Deschka: Das Bewusstsein ist sowohl in der gesetzlichen wie der privaten Pflege vorhanden. Es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Aktuell liegt der Beitragssatz knapp über drei Prozent. Entwickeln sich die Kosten so weiter, liegen wir in rund 20 Jahren bei vier bis fünf Prozent. Wir schauen im PKV-Verband gemeinschaftlich, was unser Beitrag zur Lösung des Problems sein könnte. Und wir sind im Austausch mit der Politik. Darüber hinaus müssen wir das Thema Pflege auch in unseren Vertrieben fördern, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Da haben Sie schon recht, und das tun wir konsequent.
Warum schraubt der Gesetzgeber die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) immer weiter nach oben? Von 52.000 (2013) auf jetzt 64.350 (2021). Haben Sie eine Erklärung, warum 90 Prozent der Bevölkerung keine Wahlfreiheit haben?
Deschka: Für die gesetzliche Krankenversicherung ist das ein eleganter Weg, Finanzierungslücken zu schließen. Im Sozialgesetzbuch steht sehr schön, wie die Anpassung eigentlich vonstattenzugehen hat. Die Beiträge erhöhen sich im Verhältnis der Löhne und Gehälter zu denen des Vorvorjahres. Bis dahin ist so weit alles gut. Und dann folgt der Nachsatz: Das Ganze wird dann auf das Vielfache von 450 aufgerundet. Dieser Nachsatz führt dazu, dass die JAEG überproportional steigt. Die Idee, immer mit den Bezügen zu wachsen – wie in der GKV – wird damit konterkariert. Ich bin mir sicher, dass sich die Arbeitnehmer freuen würden, wenn die Bezüge genauso sprunghaft steigen würden wie die JAEG. Für mich ist das aber faktisch eine zusätzliche Hürde für den Eintritt in die PKV und entlastet die GKV nur kurzfristig.
Die Beitragsanpassungen sorgen immer wieder für Verärgerung, weil die Systematik etwas komplexer ist und viele Kunden die auslösenden Momente auch nicht kennen. Erwarten Sie hier in der kommenden Legislaturperiode eine Lösung?
Deschka: Wir müssen aktuell bei unseren Beitragsanpassungen gewisse Schwellenwerte überschreiten. Dadurch sind wir teilweise jahrelang beitragsstabil. Dann gibt aber wieder Anpassungen, die bei den Kunden keine positive Reaktion auslösen – eben, weil sie dann nach einigen Jahren recht hoch ausfallen. Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn wir die Anpassungen glätten und in kleineren Schritten über Jahre verteilt vornehmen könnten. Es wäre ein großer Wunsch, dass sich die Politik des Themas annimmt. Aber auch wir unternehmen viel, um die Beitragssprünge im Alter abzumildern. So fallen die Beitragszuschläge, die zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr erhoben werden, im Alter weg, um die Beitragssteigerungen abzumildern. Zudem investieren wir als PKV-Branche große Beträge, um die Beitragsanpassung im Alter gering zu halten. Und es gibt Beitragsentlastungskomponenten, die man bereits beim Abschluss hinzufügen kann, um Anpassungen zu reduzieren. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich würde es mir wünschen, dass wir in kleineren Schritten anpassen könnten. Das wäre definitiv verbraucherfreundlicher.
Es gibt rund 30 private Krankenversicherer. Und in der PKV-Tarifwelt über 1.400 unterschiedliche Leistungsaussagen. Mit zunehmend ausdifferenzierter Tarifwelt wird auch die PKV-Beratung immer komplexer. Berater müssen den Überblick behalten und ihren Kunden eine Vielzahl an Möglichkeiten verständlich darstellen. Wie heben Sie sich mit Ihren Produktangeboten hervor?
Deschka: Wir haben bei der DKV sehr viele Tarife. Der große Vorteil ist, dass wir im Zusammenspiel zwischen Ergo Krankenversicherung und DKV jedem Kunden das bieten können, was zu ihm passt. Wir sind ein Vollsortimenter, der auf alle Vertriebswege ausgerichtet ist und hohe Produkte für alle Kundenkontaktpunkte bereithält. Es gelingt uns dabei aber sehr gut, transparent zu sein. Service Value hat in einer Studie die Transparenz und Fairness der Tarife in der PKV untersucht, und wir haben dort den zweiten Platz belegt. Ein Beispiel: Wir haben einen Tarifcheck eingeführt, bei dem die Versicherten mit zwei Klicks sehen, welche Alternativen es gibt. Was sind Mehr- und Minderleistungen? Wie sind die Bedingungen? Wir sind aus meiner Sicht dort richtig gut aufgestellt, um die größtmögliche Transparenz für die Kunden zu schaffen. Unser Credo ist: Die Kunden sollen genau das bekommen, was sie brauchen. Und das möglichst transparent.
Wie setzen Sie das Thema Nachhaltigkeit in der Privaten Krankenversicherung um? Die Kapitalanlage ist ein Thema. Aber wie bekommen Sie die Nachhaltigkeit in die Produkte?
Deschka: Ich finde es gar nicht so schwierig. Auch wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema. Die Munich Re, unsere Muttergesellschaft, hat sich ganz klar zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens bekannt. Als Gruppe wollen wir hierzu einen Beitrag leisten. Auch darum sind wir der Net-Zero Asset Owner Alliance beigetreten. Das sind die 40 größten institutionellen Investoren der Welt, die das Ziel verfolgen, bis 2050 mit Kapitalanlagen klimaneutral sein. Das wirkt sich auf Ergo und damit auch auf die DKV aus. Unser Nachhaltigkeitsprogramm hat drei Faktoren. Zuerst unsere Anlagestrategie. Der zweite ist das Thema, wie wir als Unternehmen selbst CO-2-Emissonen vermeiden. Und dann haben wir die nachhaltigen Produkte. Dazu gehört ebenso die Kapitalanlage, aber auch Themen wie Beschwerdequoten, die Förderung der Vorsorge und auch die Sicherstellung der langfristigen Finanzierbarkeit. Letztlich geht es darum, wie wir es schaffen, die Beiträge langfristig so zu gestalten, dass sie für Kunden auch finanzierbar sind. Denn Kündigungen sind nie nachhaltig. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Auch das Thema Pflegeabsicherung gehört für mich zur Nachhaltigkeit.
Abschließende Frage: Wo sehen Sie die großen Herausforderun-
gen bei den privaten Krankenversicherern in den kommenden Jahren?
Deschka: Ein wichtiges Thema wird der steigende Pflegebedarf sein. Das zweite Thema wird sein, wie sich die medizinische Inflation entwickelt und welche Auswirkungen das auf die gesetzliche und die private Krankenversicherung hat. Die größte Herausforderung wird für uns alle aber die zunehmende Digitalisierung sein. Nur wer hier mithalten und mitgestalten kann, wird am Ende profitieren und im Markt bestehen können. Wir Versicherer sind hier nicht die größten Treiber. Vielmehr sind es unsere Kunden, die ihre Erfahrungen aus anderen Branchen mitbringen und diese auf uns übertragen und das selbe Erlebnis von uns erwarten. Wir müssen uns bei dem Thema ganz vorne positionieren. Wenn man da nicht dabei ist, hat man die Kundenerwartung nicht erfüllt. Mit Blick auf unsere Produkte hoffe ich außerdem, dass die betriebliche Pflegeversicherung ihren Durchbruch schafft. Die Zahnzusatzversicherung ist ohnehin ein Dauerbrenner. Auch das Thema stationäre Zusatzversicherung wird in Zukunft wichtiger werden. Einen klaren Wachstumsmarkt sehe ich in der betrieblichen Krankenversicherung – zwischen 2015 und 2020 konnten wir im Markt bei den versicherten Personen in diesem Bereich um 100 Prozent zulegen. Ich bin mir sicher, dieser Trend setzt sich weiter fort.
Das Interview führte Jörg Droste, Cash.