Interview ZIA-Vize Jochen Schenk: „Mit den ESG-Kriterien verfällt der Bestand“

Jochen Schenk, ZIA, Real I.S.
Foto: Jan Greune
Jochen Schenk: „Offenlegungsverordnung und Taxonomie sind zwei unterschiedliche Regime, die defacto nichts miteinander zu tun haben.“

Cash. sprach mit Jochen Schenk, Vorstandsvorsitzender des Asset Managers Real I.S. AG sowie Vorstandsmitglied und Vizepräsident des Immobilienverbands ZIA, über die Herausforderungen der ESG-Regulierung für die Immobilienwirtschaft und ihre Fonds.


Die ESG-Regulierung, also die Vorschriften zur Berücksichtigung von Belangen der Umwelt (Environment), sozialen Aspekten (Social) und Unternehmensführung (Governance), ist seit März 2021 sukzessive in Kraft getreten. Was ist Ihr Fazit in Bezug auf die Immobilienwirtschaft bis hierher?

Schenk: In Sachen Klimawandel sind wir viele Jahre oder gar  Jahrzehnte zu spät gestartet und es muss dringend gehandelt werden. Das steht außer Frage, und Immobilien tragen wesentlich zum CO2-Ausstoß bei. Grundsätzlich sind die ESG-Vorschriften also ein Schritt in die richtige Richtung, denn sonst würde weiter zu wenig passieren. Bei der Regulierung greifen jedoch verschiedene Dinge nicht ineinander. So ist die Offenlegungsverordnung, die für Transparenz sorgen soll, zeitlich vor der Taxonomieverordnung herausgekommen und damit nicht darauf abgestimmt. Hinzu kommen noch die Finanzmarktrichtlinie MiFID II für die Finanzberatung und ab 2024 die CSDR-Richtlinie für die ESG-Berichterstattung der Unternehmen, die ebenfalls nur teilweise dazu passen. Alle Beteiligten, auch unsere Gesprächspartner in Brüssel und Berlin, sind sich klar darüber, dass es Optimierungsbedarf gibt.

Wo ist das Problem?

Schenk: Fangen wir mit Artikel 8 Offenlegungsverordnung an, also der unteren Kategorie der Nachhaltigkeit. Hier werden bestimmte ökologische Merkmale angesprochen, für die sich ein Produkt stark machen kann. Die Maßstäbe sind jedoch nicht klar definiert und jeder Hersteller kann sie ein wenig anders interpretieren. Die BaFin nutzt ebenfalls den Spielraum, um dem einen oder anderen Weg zu folgen. Das ist in gewisser Weise notwendig, erschwert aber die Vergleichbarkeit. Bei Immobilienfonds wird häufig die Energieeffizienz und der CO2-Ausstoß der Gebäude herangezogen. Das ist aber nicht zwingend, sondern der Hersteller kann auch andere Kriterien in den Vordergrund stellen. Voraussetzung ist zudem jeweils, die restlichen Nachhaltigkeits-Ziele nicht wesentlich zu beeinträchtigen, also zum Beispiel die Biodiversität. Dieses Prinzip des „Do not   significant harm“, kurz DNSH, hat ebenfalls Berechtigung, verkompliziert die Sache aber enorm. Für Außenstehende ist das zudem sicherlich manchmal schwer zu verstehen. 

Und Artikel 9?

Schenk: Bei Artikel 9 geht es um den sogenannten Impact, also eine Investition, die aktiv zu einer Verbesserung der Nachhaltigkeit beiträgt. Die Voraussetzungen dafür sind aber sehr schwammig. Deshalb trauen sich nur wenige Hersteller, einen Artikel 9 Fonds in Bezug auf ökologische Merkmale zu definieren, zumal sich die Standards mit der Zeit ändern können. Niemand will das Risiko eingehen, einen Fonds später wieder downgraden zu müssen, wenn sich die Rahmenbedingungen verschärfen oder die Aufsicht ihre Sichtweise ändert. Für einen Artikel 9 Fonds ist unter Umständen das Kriterium „Social“ besser geeignet. Dort hat das von der Immobilienwirtschaft gegründete ICG Institut for Coporate Governance ein Instrument entwickelt, mit dem anhand eines Scoring-Systems der soziale Impact eines Investments gemessen werden kann. 

Soziale Aspekte sind gut und schön, helfen aber nicht gegen den Klimawandel. Was bewirken die ESG-Vorschriften in puncto CO2-Ausstoß? 

Schenk: Die Regulierung hat Druck ausgelöst, so dass sich kaum ein neues Produkt traut, nicht mindestens Artikel 8 zu sein. Viele Hersteller arbeiten zudem daran, auch die bestehenden Fonds zumindest auf Artikel 8 aufzuwerten. Real I.S. zum Beispiel hat mittlerweile mit einer Ausnahme alle institutionellen Fonds auf Artikel 8 umgestellt. Unser offener Immobilien-Publikumsfonds ist sogar taxonomiekonform.

Bei geschlossenen Publikums-AIFs, die Real I.S. nicht mehr auflegt, gibt es am Markt allerdings weiterhin eine Reihe von Fonds, die weder Artikel 8 noch Artikel 9 erfüllen.

Schenk: Das stimmt und hängt wohl wiederum mit Messbarkeit zusammen, hat vielleicht aber auch mit Bereitschaft oder mit Fähigkeit von Emittenten zu tun, die Anforderungen zu erfüllen, zumal dazu dann auch entsprechendes Reporting gehört.

Welche Rolle spielt die Taxonomie?

Schenk: Die Taxonomie ist höher zu bewerten als Artikel 9. Bei Artikel 9 reicht es aus, sich auf einen Impact-Aspekt zu konzentrieren und ansonsten das DNSH-Prinzip zu beachten, also keines der anderen Ziele wesentlich zu beeinträchtigen. Die Anforderungen der Taxonomie sind sehr viel höher, komplexer und schwieriger zu erreichen. Nachhaltiger geht’s nicht.

Es ist also nicht – wie vielfach angenommen – so, dass die Offenlegungsverordnung die Art der Offenlegung sowie die Grundzüge für Artikel 8 und 9 festlegt und die Taxonomie dann die konkreten Maßstäbe dafür definiert?

Schenk: Nein, das ist nicht der Fall. Offenlegungsverordnung und Taxonomie sind zwei unterschiedliche Regime, die defacto nichts miteinander zu tun haben. 

Wer soll das verstehen? Die Unterscheidung zwischen Taxonomie und Offenlegungsverordnung ist schließlich auch ein zentraler Punkt in der Anlageberatung nach MiFID II, wonach aber wiederum weitere Kriterien zu berücksichtigen sind – Stichwort „Artikel 8 plus“.  

Schenk: Das ist in der Tat so und wird auch Gegenstand von weiteren Gesprächen mit der Generaldirektion Finanzmarkt in Brüssel sein. Es ist unsäglich, wie die Themen nicht zueinander passen. Die MiFID hat uns durch Verschärfungen gegenüber der Offenlegungsverordnung die Artikel-8-plus-Thematik aufgezwungen. Das ist ja keine Erfindung der Finanzwirtschaft.

Wie wirken sich die Vorschriften auf die konkreten Investitionen aus?

Schenk: Das Ganze lenkt ja Kapital, teilweise aber nicht in die richtige Richtung. Bei Immobilien reicht es zum Beispiel in Bezug auf die Ökologie aus, wenn ein Gebäude den Energiestandard EH55 oder besser erfüllt. Das ist im Neubau heute aber ohnehin Standard. Andersherum investieren die meisten großen Investoren deshalb nicht in Gebäude mit einem geringeren Standard, also in den Bestand. Damit fließt viel institutionelles  Kapital in den sowieso schon hoch energieeffizienten Neubau.

Für Artikel 8 oder 9 ist es aber nicht notwendig, dass alle Investitionen die ESG-Kriterien erfüllen.

Schenk: Richtig, bei Immobilienfonds reicht oft eine Quote von 60 Prozent, wobei Real I.S. und auch die meisten anderen Anbieter einen Anteil von mindestens 75 oder 80 Prozent anstreben, um auf der sicheren Seite zu sein. Auch mit dem verbleibenden Kapital kauft aber kaum jemand Objekte mit wesentlichen Einschränkungen bezüglich der Ökologie. Das hat dann wiederum auch mit der CSDR zu tun, also mit der Regulierung zur Unternehmensberichterstattung. Die meisten Investoren haben sich selbst Quoten bezüglich „grüner“ Investments gegeben und kaufen auch aus diesem Grund nur noch Immobilien, die sowieso schon einen hohen Standard haben. 

Was ist mit „Manage-to-Green“, also der ebenfalls ESG-konformen Bestandssanierung?

Schenk: Grundsätzlich ist das möglich und passiert auch, sofern die Immobilie schon einen bestimmten Mindeststandard erfüllt. Es gibt in Deutschland aber einen riesigen Bestand an Gebäuden, der defacto nicht in die Taxonomie zu bringen ist. Das betrifft vor allem die vielen Wohnhäuser mit Energielevel G oder H, also die sogenannten „CO2-Schleudern“. Es ist kaum möglich, ein solches Haus so aufzurüsten, dass es ein hohes Energielevel erreicht. Oder das wäre so teuer, dass Abriss und Neubau wirtschaftlicher ist. Solche Gebäude fasst kaum ein Investor an. Hinzu kommt noch die geplante Europäische Gebäudeeffizienz-Richtlinie, also sozusagen ein Heizungsgesetz auf europäischer Ebene, die sich gerade in Verhandlung befindet. Auch hier fehlt noch die richtige Kapitallenkung. Damit schauen heute alle großen institutionellen Investoren nur auf die ohnehin schon guten Gebäude und lassen den Bestand links liegen, weil sie dafür defacto bestraft werden. Wenn wir das zulassen, verfällt der Bestand, denn dort fehlt jede Menge privates Kapital. 

Was schlägt der ZIA vor?

Schenk: Wir haben vorgeschlagen, dass bei Investitionen in den Bestand ein Gebäude für 20 Jahre als taxonomiekonform erklärt wird, wenn der CO2-Ausstoß um 50 Prozent verringert wird – unabhängig vom dann erreichten Level. Das entspricht nach den heutigen Energieklassen in Deutschland einer Verbesserung zum Beispiel von G nach E oder D, was in vielen Fällen mit einem vertretbaren Investitionsaufwand möglich ist. Dabei muss man wissen, der CO2-Ausstoß der Energieklassen ist nicht linear, sondern progressiv. Das heißt, der Abstand des Energieverbrauchs von einer Klasse zur nächst schlechteren wird immer größer. Die Verbesserung von zum Beispiel G auf E führt also zu einer wesentlich höheren CO2-Einsparung als von D auf B oder gar auf A. Vielmehr bringt letzteres in der Regel kaum noch etwas und ist sehr teuer. Mit unserem Vorschlag bekommen wir Kapital auch in die Sanierung der CO2-Schleudern und erreichen eine entsprechend hohe CO2-Einsparung – und das zu weiter bezahlbaren Mieten, wohnwirtschaftlich, wie gewerblich. 

Das Gespräch führte Stefan Löwer, Cash.


Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Cash.-Ausgabe 12/2023

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