Damit haben auch wir nicht gerechnet: Von der guten Stimmung an den Finanzmärkten, die sich zwischen Mitte Februar und Ende April entwickelt hatte, ist nicht mehr viel übrig. Im Gegenteil: Vor allem die europäischen Aktienmärkte präsentieren sich geradezu depressiv. Gastkommentar von Harald Preißler, Bantleon.
Obwohl die Makrodaten aus der Währungsunion bis zuletzt mehrheitlich positiv überraschten – das BIP-Wachstum im 1. Quartal 2016 war sogar stärker als das der USA und Großbritanniens zusammengenommen –, bilden die EUR-Börsen begleitet von Japan das Schlusslicht im bisherigen Performanceranking des Jahres 2016.
Diese verkehrte Welt ist das Ergebnis einer asymmetrischen Reaktion der Investoren: Entweder fallen die US-Konjunkturdaten positiv aus, dann entsteht Leitzinserhöhungsangst, der US-Dollar wertet auf und schickt die weltweiten Aktienmärkte auf Talfahrt, was die EUR-Märkte überproportional belastet. Oder aber die US-Wirtschaftsdaten enttäuschen, dann wertet der US-Dollar ab und der Euro auf, was den EUR-Börsen wiederum überproportionale Verluste (oder unterproportionale Gewinne) beschert.
Konjunkturdaten sind besser als gefühlt
Wie schon zu Jahresbeginn ist die trübe Stimmung an den Finanzmärkten mit den soliden realwirtschaftlichen Perspektiven nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die jüngsten Konjunkturdaten mögen die Erwartungen der Analysten nicht erfüllt haben, schlecht sind sie deswegen noch lange nicht. So ist der chinesische Composite-Index (Industrie und Dienstleister) über der Expansionsschwelle geblieben, während das US-Pendant zum zweiten Mal in Folge zugelegt hat. Hinzu kommt die jüngste Aufwärtstendenz in den vorausschauenden Barometern, die im 2. Quartal anhalten sollte.
Diese Aufwärtstendenz ist auch der Schlüssel für die mittelfristigen Finanzmarktperspektiven: Verbessern sich die Konjunkturaussichten im Einklang mit unserem Basisszenario weiter, dürfte sich der konstruktive Makrotrend schließlich auch in einem kräftigen Anstieg der europäischen Aktienmärkte sowie deutlich tieferen Risikoprämien an den Anleihenmärkten niederschlagen.
Zinsen bei Bundesanleihen könnten noch weiter fallen
Sollten hingegen die Börsenturbulenzen anhalten, dann könnte es nicht erst im Laufe des 2. Halbjahres, sondern schon jetzt zu einer negativen Rückkopplung von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft kommen. In diesem Risikoszenario würde größtes Ungemach drohen. Eine heftige Korrektur der Aktienmärkte wäre in diesem Fall ebenso unvermeidlich wie ein Sturz der Renditen deutscher Bundesanleihen auf oder sogar unter -0,50 Prozent.
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Aus markttechnischer Sicht ist unterdessen hervorzuheben, dass die ersten Aktienindikatoren überverkauftes Terrain erreicht haben. Auffallend ist auch die stark rückläufige Zahl der Aktienbullen, ebenfalls ein börsenpsychologischer Kontraindikator. Beides zusammen bietet gute Voraussetzungen für eine Erholung des Risikoappetits in den kommenden Wochen. Insbesondere wenn die Wirtschaftsdaten unseren Prognosen entsprechend anziehen, könnten die Pessimisten ihre negative Einschätzung schnell überdenken und wieder einsteigen. Harald Preißler ist Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement bei Bantleon, Hannover.
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