Die neuesten Daten dürften die Sorgen um den Zustand der chinesischen Wirtschaft kaum gemindert haben. Ein offensichtlicher Einbruch bei der Binnennachfrage hatte im Juli wesentlich schwächere Importe zur Folge als erwartet. Im vergangenen Monat rutschte die Wirtschaft sogar in die Deflation, fielen die Verbraucherpreise doch im Vorjahresvergleich um 0,3 %.
Wenn die Behauptungen über eine „Japanisierung“ und eine Verschuldungs-/Deflationsspirale jemals eines Beweises bedurften, dann schien diese Entwicklung ihn zu liefern. Diese steht in deutlichem Kontrast zu den meisten anderen Teilen der Welt, in denen nach unserer Arbeit zum Regimewechsel die strukturelle Inflation und die Zinsen Aufwärtsrisiken unterliegen.
Die Sorgen hinsichtlich einer Verschuldungs-/Deflationsspirale können nicht vollständig ausgeräumt werden. Schließlich ist China eine Volkswirtschaft mit einem Angebotsüberhang, während die Nachfrage geringer ist, als wir nach der Aufhebung der Null-Covid-Politik erwarteten.
Der Boom im Reisesektor führte nicht zu einem allgemeinen Wirtschaftswachstum. Verantwortlich dafür war nicht zuletzt das harte Durchgreifen gegen spekulative Immobilienkäufe in den vergangenen Jahren, wodurch die Wirtschaft von einer wichtigen Nachfragequelle und einem Weg für die Übertragung politischer Maßnahmen abgeschnitten wurde. Die Kreditdaten für den Monat Juli zeigten erneut, dass aufgrund der nach wie vor sehr geringen Kauftätigkeit auf dem Wohnimmobilienmarkt die Kreditnachfrage der Privathaushalte schwach ist. Das erklärt auch zum Teil, weshalb die hohe Liquidität in den vergangenen Monaten bisher nicht in der Realwirtschaft angekommen ist. Zudem ist der enorme Schuldenstand Chinas gut dokumentiert.
Wir werden uns zu gegebener Zeit damit befassen, wie wahrscheinlich es ist, dass China langfristig in eine Deflationsspirale gerät, wie sie in Japan zu beobachten war. Betrachtet man den Fremdkapitalanteil auf dem überversorgten und teuren Immobilienmarkt, so lassen sich eindeutig einige Parallelen feststellen.
Allerdings deutet einiges darauf hin, dass im Juli kein langfristiger Abschwung begonnen hat.
Zunächst einmal lässt sich der Einbruch bei den chinesischen Importen im Juli nicht zweifelsfrei vollständig auf die schwache Binnennachfrage zurückführen. Teilweise lag der Importrückgang an der schwachen Kauftätigkeit bei High-Tech-Vorleistungsgütern wie Halbleitern. Zum Teil könnte dafür das in den vergangenen Wochen verschärfte US-Verbot von Technologieexporten nach China verantwortlich sein. Wie in unserer Arbeit zum Regimewechsel erörtert, ist die Entstehung einer neuen Weltordnung eine Gefahr für die Globalisierung. Allerdings scheint ein Großteil des jüngsten Rückgangs bei den Technologieimporten auf eine konjunkturelle Schwäche im globalen Produktionszyklus zurückzugehen. Diese Entwicklung könnte sich bald umkehren, denn einigen Frühindikatoren zufolge könnte der Einkaufsmanagerindex (EMI) für das globale verarbeitende Gewerbe bis zum vierten Quartal dieses Jahres wieder auf über 50 klettern.
China hat aufgrund der schwächeren globalen Nachfrage weniger Vorleistungsgüter importiert
Derweil trüben auch Preiseffekte das Bild der Importe, insbesondere bei Rohstoffen. Während die chinesischen Rohstoffimporte im Allgemeinen nominal im Vorjahresvergleich zurückgehen, nehmen sie volumenmäßig zu. Die Importvolumen an Eisenerz, Kupfer und Öl stiegen im vergangenen Monat im Vorjahresvergleich um 4,6 %, 8 % bzw. fast 25 %. Die Rohstoffnachfrage aus China wäre größer, wenn der Wohnimmobilienmarkt des Landes stärker wäre. Allerdings deutet dies darauf hin, dass die schwache chinesische Nachfrage nicht der einzige Grund für die niedrigen Rohstoffpreise ist. Außerdem sollte zur Kenntnis genommen werden, dass der Rohstoffpreisindex von Bloomberg (Bcom) ebenfalls nur dem globalen Produktionszyklus folgt.
Rohstoffpreise folgen weiter dem globalen Produktionszyklus
Die Rohstoffpreisentwicklung erklärt teilweise auch, weshalb China in die Deflation geraten ist. Wie der Abbildung unten zu entnehmen ist, fiel die jährliche Gesamtinflation von 0 % im Juni auf -0,3 % im Juli. Ein Großteil dieses Rückgangs war auf Rohstoffe zurückzuführen. Die Wasser-, Strom- und Brennstoffpreise sind insgesamt seit mehreren Monaten rückläufig, da die Energiepreissteigerungen der Vergangenheit mit der Zeit aus der Inflation herausgefallen sind. Dies war in anderen Teilen der Welt ein willkommener Inflationsdämpfer, während der viel tiefere Ausgangspunkt in China zu einer Deflation geführt hat.
Lebensmittel haben China im Juli in die Deflation gezogen
Die große Trendwende wurde im Juli jedoch durch Lebensmittel ausgelöst. Die Teuerung bei den Lebensmitteln geht weltweit zurück und ist ein entscheidender Grund dafür, dass andere Schwellenländer Spielraum haben, die Zinsen wieder zu senken. Diese Trends haben sich in China durch den Einbruch bei den Preisen für Schweinefleisch nach einem Angebotsanstieg noch verschärft. Die Veränderung der Schweinefleischpreise gegenüber dem Vorjahresmonat, gemessen an deren Komponente des Verbraucherpreisindex (VPI), die rund 3 % des Gesamtindex ausmacht, fiel von -7,2 % im Juni auf -26 % im Juli. Das bedeutet, dass alleine Schweinefleisch die Gesamtinflation um rund 0,5 Prozentpunkt verringerte.
Daneben stieg die Kerninflation im Juli auf ein Sechsmonatshoch von 0,8 % im Vorjahresvergleich. Allerdings sank die Kerninflation bei Gütern auf -1,3 % im Vorjahresvergleich – den niedrigsten Wert seit der globalen Finanzkrise. Die negative Kerninflation bei Gütern ging jedoch mit sinkenden Erzeugerpreisen einher, was ebenfalls zu einem großen Teil auf die Entwicklung der globalen Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Wenn die Rohstoffpreise ungefähr auf den aktuellen Niveaus verharren, bleibt die Veränderung des Erzeugerpreisindex (EPI) bis Anfang 2024 negativ.
Die Rohstoffpreise haben auch den EPI nach unten gezogen
Die Kerninflation bei Dienstleistungen, die enger mit der Binnenkonjunktur verknüpft ist, hat im Juli angezogen. Der Grund dafür war, dass Sektoren, wie der Tourismus, die von der Aufhebung der Null-Covid-Politik profitierten, einen gewissen Preisdruck verzeichneten.
Starke Nachfrage nach Covid treibt Inflation im Dienstleistungssektor an
Als Fazit lässt sich Folgendes festhalten: Während die chinesische Wirtschaft zweifellos zu kämpfen hat und vor langfristigen Herausforderungen steht, die auf das Wachstum drücken, hat die aktuelle Deflation offenbar mehr mit der Entspannung bei den in der Vergangenheit gestiegenen globalen Rohstoffpreisen zu tun als mit der schwachen Binnennachfrage. Wenn wir richtig liegen, hält die aktuelle Deflationsphase eher Monate als Jahre an.
Autor David Rees ist Senior Emerging Markets Economist bei Schroders.