Wie bei ihrer Zinspolitik spielt die Fed auch bei der Geldmengenpolitik auf Zeitgewinn. Frau Yellen hat zwar kürzlich die Entblähung der durch Anleihekäufe fett gewordenen Bilanz der US-Notenbank skizziert. So könnten schon ab der Fed-Sitzung im September auslaufende Anleihen im Besitz der Notenbank nicht wieder vollständig neuangelegt werden. Und im weiteren Verlauf spricht Yellen sogar von Netto-Liquiditätsabzügen.
Was auf den ersten Blick wie Schluss mit geldpolitisch-lustig klingt, ist auf den zweiten Blick weit weniger dramatisch. Denn zur Frage, wie lange dieser kalte Entzug dauert und welche Größenordnung er annimmt, schweigt sich die ebenso weißhaarige wie weise „Politikerin“ Yellen aus. Bloß nicht festlegen! Sie hält sich alle Fluchttüren offen. Und ihr permanentes Herumreiten auf der sinkenden Inflation – die im Februar ihren Gipfel erreicht hat – nutzt sie dabei geschickt als willkommenen Türstopper.
Aktien- und Rentenmärkte glauben nicht an Valiumverknappung
Insgesamt hat die Fed zwei Ziele erreicht. Politisch suggeriert sie eine restriktive, stabile Geldpolitik. Doch den Anlagemärkten tut sie nicht weh. Sie verteilt weiter Valium, wenn auch unter der Ladentheke. Genauso politisch korrekt wie die Fed wird sich auch die EZB bei ihrer vorgetäuschten Entzugstherapie verhalten. Im Zweifel für den Angeklagten, oder besser gesagt für den Finanzmarkt-Patienten: Die Ära des Valiums ist nicht vorbei.
Das liegt übrigens an der anhaltenden Preisschwäche bei Rohstoffen und dem Prozess der Digitalisierung, der in den Industriestaaten zu unterschätzten Deflationssorgen führt. Die Aktien- und Rentenmärkte glauben selbst nicht an zukünftige Valiumknappheit: Sie zeigen dem kalten Entzug die kalte Schulter.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
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