„Regierungen kommen und gehen, Italien bleibt“. Mit diesen Worten schloss der scheidende italienische Ministerpräsident Mario Draghi die Dankesrede auf seiner letzten Ministerratssitzung Anfang Oktober. Nach eineinhalb Jahren im Amt räumt Draghi seinen Platz für Giorgia Meloni, die mit den Fratelli d’Italia die Wahl gewann und mit Lega sowie Forza Italia regieren möchte. Vermutlich wollte Draghi mit seinen Schlussworten betonen, dass die Übergabe an die Wahlgewinner ein normaler Vorgang sei. In Italien ist es nach 67 Regierungen in etwas mehr als 70 Jahren schließlich kein seltenes Ereignis, dass eine Regierung wechselt.
Teure Wahlversprechen
Doch dieses Mal ist es ein Wechsel weg von einem bei Investoren sehr geschätzten Wirtschaftsexperten Mario Draghi hin zu einer politisch recht unerfahrenen und möglicherweise ausgabenfreudigen Giorgia Meloni als neuer Ministerpräsidentin. Beispielsweise gehören Steuersenkungen und höhere Renten zu den Wahlversprechen des rechten Bündnisses. Dadurch würden die ohnehin schon hohen italienischen Staatsschulden weiter steigen. Die Schuldenquote liegt jetzt schon bei rund 150 Prozent. Für die Kapitalmärkte heißt das: Perspektivisch nehmen die Unsicherheiten mit Blick auf die drittgrößte Volkswirtschaft im Euroraum zu.
Bis Ende 2022 sind die politischen Risiken aber noch als gering einzustufen. Daher haben die Kapitalmärkte rund um die Wahl am 25. September 2022 auch eher verhalten reagiert. Zwischenzeitlich brachte das Postengezanke rund um die Regierungsbildung zwischen Meloni, Silvio Berlusconi, dem Vorsitzenden von Forza Italia, und Matteo Salvini, Vorstand der Lega Nord, immer wieder Bewegung in die Risikoaufschläge der italienischen Staatsanleihen. Mehr oder weniger offen trugen insbesondere Meloni und Berlusconi ihren Streit aus. Nach einigen Wochen Auseinandersetzung dürfte die Regierung aber Ende Oktober beziehungsweise Anfang November ihre Regierungsgeschäfte aufnehmen können. Dann bleibt allerdings nur noch wenig Zeit für politische Initiativen vor der Weihnachtspause. Außerdem hat sich das Mitte-Rechts-Bündnis im Wahlkampf mit Spitzen gegen Brüssel auffallend zurückgehalten. Diesen Kurs der Selbst-Zügelung wird man zunächst fortsetzen, um die Überweisung der dritten „Next Generation EU“ (NGEU)-Tranche über 19 Milliarden Euro nicht zu gefährden. Diese soll im Rahmen des Wiederaufbauplans der Europäischen Union (EU) im Dezember ausgezahlt werden.
Der Kapitalmarktwind wir 2023 rauer
Aber: Im kommenden Jahr dürften die Unsicherheitsfaktoren zunehmen. Dann stehen verschiedene Termine an, die zur Bewährungsprobe für die neue italienische Wirtschafts- und Europapolitik werden dürften. Spätestens wenn im Frühjahr 2023 die dreijährigen Haushaltspläne bei der Europäischen Kommission eingereicht werden müssen, besteht Konfliktpotenzial zwischen Rom und Brüssel. Ambitionierte fiskalpolitische Pläne in Rom stehen dann dem ab 2024 wieder geltenden Stabilitäts- und Wachstumspakt aus Brüssel gegenüber. Und auch beim Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ lauern Risiken im nächstem Jahr. Das rechte Parteienbündnis fordert, den mit der EU vereinbarten nationalen Aufbauplan neu zu verhandeln und an die neuen Begebenheiten nach Ausbruch des Ukraine-Krieges anzupassen. Die EU-Kommission ist da zwar grundsätzlich flexibel, jedoch ist völlig offen, wie das ausgehen wird. Hinzu kommt, dass die Vorstellungen des Parteienbündnisses hinsichtlich Staatshilfen und Wettbewerbsrecht den EU-Regeln entgegen stehen.
Der Kapitalmarktwind für Italien wird damit rauer. Dies gilt umso mehr, als auch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich verschlechtern. Wir rechnen für 2023 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent. Zudem wird die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) restriktiver, sowohl über steigende Leitzinsen als auch über reduzierte Anleihekäufe.
Die EZB ist nach wie vor auf dem Zinserhöhungspfad unterwegs – schließlich notiert die Inflation nach wie vor auf historischen Höchstständen. Wir erwarten, dass die Notenbank nach dem 75-Basispunkte-Schritt im September sowohl im Oktober als auch im Dezember die Leitzinsen um 75 Basispunkte anheben wird. Ende des Jahres würde der Einlagesatz dann bei 2,25 Prozent liegen. Und auch im ersten Quartal 2023 dürfte es weitergehen, wenn auch in reduzierterem Tempo: Wir rechnen bis Ende März mit weiteren 50 Basispunkten Anhebung. Neben den steigenden Leitzinsen sind aber auch reduzierte Anleihekäufe ein Belastungsfaktor. Die EZB möchte ihre stark gestiegene Bilanzsumme abbauen. Eine Maßnahme wird sein, den Bestand an Staatsanleihen zurückzufahren, womit die EZB demnächst als Nachfrager von Staatsanleihen ausfällt. Somit wird das Netto-Angebot an italienischen Staatsanleihen deutlich zunehmen. Der italienische Staatshaushalt wird von der schwachen Konjunktur belastet, wodurch die Einnahmen zurückgehen. Das hohe Staatsdefizit muss aber finanziert werden.
Schuldentragfähigkeit nicht gefährdet
Allerdings: Die Schuldentragfähigkeit Italiens ist derzeit nicht gefährdet. Die italienischen Finanzminister haben die vergangenen Jahre genutzt und sich sehr günstig und zu langen Laufzeiten refinanziert. Nur ein Achtel der Gesamtschulden muss jährlich am Kapitalmarkt frisch aufgenommen werden. Es dauert eine ganze Weile, bis sich gestiegene Renditen in deutlich höheren Zinszahlungen niederschlagen. Auch die hohe Inflation – wir erwarten für 2023 eine Teuerung von 6,2 Prozent für Italien – wirkt sich positiv auf die reale Schuldenlast des Landes aus.
Meloni erbt von Draghi also ein recht geordnetes Haus. Dennoch wird Italien mit Antritt der neuen Regierung wieder zum politischen Wackelkandidaten. Viele Investoren dürften sich die schlechtere Ausgangslage mit höheren Aufschlägen vergüten lassen. Darüber hinaus sprechen das schwächere Wachstum sowie die straffere Geldpolitik für moderat steigende Risikoaufschläge bei italienischen Staatsanleihen im Jahr 2023.
Wie hoch die Spreads schließlich ausfallen, hängt letztlich am Kurs der neuen Regierung und der Geldpolitik der EZB. Vor allem die Reinvestitionen des PEPP-Programms, mit dem die Notenbank in der Pandemie öffentlichen und privaten Schuldnern unter die Arme gegriffen hatte, spielen hier eine wichtige Rolle. Italien dürfte aber auch vom neuen TPI-Programm der EZB profitieren, das gezielte Anleihekäufe einzelner Peripherieländer ermöglicht. Und schließlich würden auch gemeinsame EU-Schulden zur Bewältigung der Energiekrise, wie sie zuletzt diskutiert wurden, helfen. Daneben ist es von großer Bedeutung, dass die neue Regierung eine Politik betreibt, die auf eine nachhaltige Verbesserung des zu niedrigen Potenzialwachstums zielt. Dazu müssen die Reformen, die gemeinsam mit der EU-Kommission im Rahmen des NGEU-Fonds ausgearbeitet wurden, auch tatsächlich umgesetzt werden. Dies würde bei den Investoren Vertrauen schaffen und zu etwas niedrigeren Risikoaufschlägen führen.
Autor Rüdiger Kerth ist seit Anfang 2002 als Rentenfondsmanager bei Union Investment tätig, wo er den Bereich europäische Staatsanleihen verantwortet. Er managt mehrere Publikums- und Spezialfonds mit Fokus auf internationale Anleihemärkte.