Es war Mario Draghis letzte Sitzung und sie verlief erwartungsgemäß unspektakulär. Nach acht Jahren sagt der Italiener der Europäischen Zentralbank „Arrivederci“, die Französin Christine Lagarde rückt im November nach. Ein Beitrag von Dr. Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank.
Man darf gespannt sein, wie Draghis Amtszeit historisch bewertet wird – über die Nachhaltigkeit seines geldpolitischen Erbes kann man sicherlich trefflich streiten. Klar ist auf jeden Fall, dass er den Handlungsspielraum seiner Nachfolgerin maximal eng gestaltet hat.
Eine Zins-Entscheidung wurde in Frankfurt heute nicht getroffen – wichtiger ist jedoch auch, was sich hinter den Kulissen des EZB-Rates abspielt. Dessen Mitglieder hatten zuletzt in nie dagewesener Deutlichkeit gegen die jüngsten Entscheidungen, insbesondere das neue Anleihekaufprogramm, opponiert. Die Kritik am EZB-Chef kommt aus Ländern, die gemeinsam 60 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung und rund 52 Prozent der Bevölkerung hinter sich vereinen.
Trotz ihrer ausgewiesenen Fähigkeit zur Moderation wird auch Christine Lagarde diesen eisigen Wind zu spüren bekommen. Sie liegt mit Draghi geldpolitisch auf einer Wellenlänge und wird sich daher schwer tun, die Wogen zu glätten.
Es sei denn, die Konjunktur kommt ihr zu Hilfe: Möglicherweise könnte sich bereits zum Ende des Jahres eine Belebung abzeichnen. Vorausgesetzt, die Entspannung bei den beiden größten Unsicherheitsfaktoren für die Weltwirtschaft, dem Handelskrieg und dem Brexit, setzt sich fort: Dann wäre auch eine anziehende Investitionsbereitschaft vor dem Hintergrund einer ungebrochen starken Konsumneigung nicht auszuschließen. Flankiert würde diese positive Gemengelage zusätzlich von extrem niedrigen Leitzinsen weltweit und gedrückten Rohstoffpreisen. In einem solchen Umfeld sollte es dann nicht verwundern, wenn die Notenbanker spätestens im nächsten Frühjahr wieder einvernehmlich über Zinserhöhungen sprechen anstatt kontrovers über Anleihekaufprogramme zu diskutieren.
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