Kapitalmärkte: Perspektiven für den weiteren Jahresverlauf

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Moritz Bauer, Union Investment

Das Jahr 2022 hat mit zahlreichen Turbulenzen begonnen, die seit Ende Februar durch den Angriff Russlands auf die Ukraine noch verstärkt werden. Trotzdem bestehen mittelfristig weiterhin Chancen an den Kapitalmärkten.

Eigentlich waren die Aussichten für die Kapitalmärkte für 2022 positiv, aber das Bild ist nun durch den Ukraine-Konflikt belastet. Neben den furchtbaren menschlichen Tragödien müssen wir uns auch mit den Folgen der rasant gestiegenen Rohstoffkosten beschäftigen. Das Wirtschaftswachstum in Europa sollte hierdurch gedrosselt werden und die Inflation zunächst weiter steigen. Der Preisanstieg im Euroraum dürfte im Jahresdurchschnitt sogar bei mehr als sechs Prozent liegen. Bei aller Sorge gehen wir aber davon aus, dass der Konflikt nicht über die Ukraine hinaus eskaliert und sich die Energiepreise sowie Inflationsraten im Laufe des Jahres wieder normalisieren. Dies sollte dann auch einhergehen mit der erwarteten Entspannung in den globalen Lieferketten und einer weiteren wirtschaftlichen Belebung aufgrund der verbesserten Pandemie-Lage. Auch die hohe Ertragskraft vieler Unternehmen spricht für eine wirtschaftliche Erholung. Das dürfte im Jahresverlauf einige Anlagechancen mit sich bringen.

Die Geldpolitik bleibt bisher auf Kurs

Der Ukraine-Konflikt und die aktuellen Turbulenzen an den Kapitalmärkten werden die Zinswende 2022 nicht verhindern, eventuell nur etwas verlangsamen. Aufgrund der anhaltenden Teuerung haben wichtige Zentralbanken eine raschere geldpolitische Normalisierung, sprich Zinserhöhungen und ein Ende der Anleiheankäufe, angekündigt. Dies gilt für die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), aber auch für die Europäische Zentralbank (EZB). Doch durch die Eskalation des Ukraine-Konflikts und die damit einhergehende Gefahr für das Wachstum ist der Tonfall der Notenbanker, insbesondere hier in Europa, schon etwas vorsichtiger geworden.

Die US-Wirtschaft hingegen hat deutlich weniger wirtschaftliche Verflechtungen mit der Ukraine und Russland. Daher hat die US-Notenbank Fed erwartungsgemäß den Leitzins am 16. März erstmals seit Jahren um 25 Basispunkte angehoben. Wir rechnen für 2022 in den USA nun mit insgesamt sechs Zinsanhebungen. Für das Jahr 2023 erwarten wir dann noch zwei weitere Zinsschritte, sodass das Zielband der US-Leitzinsen Ende 2023 bei 2,0 bis 2,25 Prozent liegen wird. Zudem wird die Fed spätestens ab Juni dieses Jahres ihre Bilanzsumme schrittweise verringern. Im Euroraum rechnen wir mit einem Ende der Anleiheankäufe durch die EZB im September. Damit wäre der Weg frei für die erste Leitzinsanhebung seit elfeinhalb Jahren, die wir für Dezember erwarten. Im Folgejahr dürften drei weitere Zinsschritte folgen.

Rentenanlagen per Saldo untergewichtet

Die anstehenden Zinserhöhungen sind sicherlich eine Belastung für die Rentenmärkte, aber hierbei muss man auch in Betracht ziehen, wie viel davon bereits erwartet und eingepreist ist. Wir sind aktuell auf der Rentenseite insgesamt vorsichtiger eingestellt, während etwas Kasse vorgehalten wird. Dabei sind die einzelnen Rentensegmente unterschiedlich gewichtet. Bei Unternehmensanleihen mit Investment Grade-Rating und Euro-Peripherieanleihen ist eine Untergewichtung ratsam. Hingegen sehen wir nach den starken Kursrückgängen wieder Chancen bei Euro-Staatsanleihen der Kernländer sowie bei Hochzinsanleihen.

Der Renditeanstieg bei sicheren Staatsanleihen hatte sich zum Jahresanfang beschleunigt. Die „sicheren Häfen“ waren zuletzt aber aufgrund des Ukraine-Konflikts wieder stärker gesucht. Die absehbar schnelleren Zinsanhebungen in den USA führten seit dem Spätsommer 2021 zu wesentlich stärker anziehenden Renditen bei kurzlaufenden US-Staatsanleihen als bei Papieren mit längerer Restlaufzeit. Nach dem Abverkauf der vergangenen Monate erscheint uns die US-Zinskurve nun fairer gepreist. Höherverzinsliche Euro-Anleihen leiden hingegen unter den abnehmenden Ankäufen der EZB sowie unter deren möglichen Bilanzabbau. Folglich sind wir gegenüber Euro-Unternehmensanleihen guter Bonität und Euro-Peripheriepapieren vorsichtiger eingestellt. Dies steht unter dem Motto: „Kaufen, was die Zentralbanken kaufen, und nun meiden, was die Zentralbanken nicht mehr kaufen“…

Aktienmärkte weiterhin neutral gewichtet

Gegenüber Aktien sind wir aktuell neutral eingestellt. Die Aktienmärkte entwickelten sich in den letzten Wochen insgesamt schwächer. Zunächst bestand Unsicherheit über steigende Zinsen, dann schob sich der Ukraine-Krieg sowie zuletzt Sorgen wegen Lockdowns in China in den Vordergrund. Doch mittelfristig bleiben Aktien attraktiv. Wir suchen in einigen Segmenten auch wieder nach Einstiegsmöglichkeiten. Die jüngsten Unternehmensberichte konnten erneut überzeugen, sodass wir mit einem durchschnittlichen Gewinnwachstum von mehr als acht Prozent im Jahr 2022 rechnen können. Hinzu kommt die Aussicht auf höhere Investitionsausgaben, etwa in den Bereichen Verteidigung, Dekarbonisierung und Digitalisierung. Hier dürften für viele Unternehmen attraktive Geschäftsfelder entstehen. Auch die Ende 2021 noch sehr hohen Bewertungen liegen teilweise wieder auf attraktiveren Niveaus.

Rohstoffe nach starkem Preisanstieg insgesamt weniger attraktiv

Seit Jahresbeginn sind Aktien und Anleihen im Minus, Rohstoffe konnten sich als einzige große Anlageklasse behaupten. Nach der starken Wertenwicklung stehen wir Rohstoffen nun aber insgesamt vorsichtiger gegenüber. Dies gilt vor allem für die Untersegmente Energie und Edelmetalle. Die Rohstoffmärkte sind fundamental gut unterstützt, da das Angebot knapp und die Nachfrage hoch bleiben. Der Ukraine-Konflikt hat das nochmals verstärkt und die Preise für Öl, Gas und viele andere Rohstoffe weiter in die Höhe getrieben. Hierbei handelt es sich um einen Angebotsschock, der sich aber in der zweiten Hälfte 2022 langsam entspannen sollte, da nicht nur die US-Schieferölproduzenten ihre Kapazitäten ausbauen. Auch könnte die OPEC ihre Fördermengen ausweiten. Zudem wird damit gerechnet, dass der Iran aufgrund eines neuen Atomabkommens wieder in den globalen Ölmarkt eintritt. Hinzu kommt, dass die Energie-Nachfrage aus China aufgrund der dortigen Corona-Lage und Konjunkturschwäche eher zurückgehen könnte. Edelmetalle wie Gold verlieren hingegen angesichts des steigenden Realzinsniveaus gegenüber Anleihen an Attraktivität.

Fazit

Wir sind im aktuellen Marktumfeld bei Aktien neutral, bei Renten und Rohstoffen jedoch insgesamt etwas vorsichtiger aufgestellt. Wir warten auf den Wiedereinstieg und sehen attraktive Anlagechancen im Jahresverlauf, um die erhöhten Kassenbestände wieder investieren zu können.

Autor Moritz Bauer ist Leiter des Investmentstrategie-Teams von Union Investment.

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