Die Karriereaussichten sind in vielen Branchen derzeit düster. Auf der einen Seite drohen Rezession, internationale Krisen und Handelshemmnisse ganze Lebensplanungen zu zerstören, auf der anderen Seite revolutionieren Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotik die Arbeitswelt. Viele fürchten um ihren Job, andere suchen gerade jetzt nach neuen Perspektiven. Nicht Wenigen dürfte jetzt der Gedanke kommen, sich selbständig zu machen, etwas Eigenes aufzubauen. Insbesondere diejenigen, die mit dem berühmten goldenen Handschlag verabschiedet werden, noch viele Lebensjahre vor sich haben und die entsprechend qualifiziert sind, werden in einer Unternehmensgründung den nächsten großen Schritt sehen.
Krisenzeiten sind immer Gründerzeiten. Geht der reguläre Arbeitsmarkt bergab, steigen die Zahlen bei Gewerbeanmeldungen und von Start-ups. Entsprechende Fördermittel, Beratungsangebote und Anlaufstellen gibt es zuhauf. Doch das Eldorado Selbständigkeit birgt auch immense Risiken: Anlaufkosten, Markt- und Reputationsaufbau, Kundengewinnung, Fachkräfte finden – denn die fehlen in vielen Branchen trotz der oben genannten Umwälzungen – Prozesse etablieren, investieren, disruptive Märkte. Sein „eigenes Ding“ machen ist anspruchsvoll, gerade in diesen Zeiten.
Viele Gründer unterschätzen den persönlichen Aufwand einer Unternehmensgründung. Zugleich überschätzen sie den möglichen Ertrag. Wer aus einer Festanstellung kommt, dürfte bei all der Bürokratie, notwendigen Genehmigungen und vor allem dem notwendigen individuellen Einsatz die Augen verdrehen. Nicht selten geht das Anfangskapital zur Neige bevor die ersten nennenswerten Umsätze fließen. 80 Prozent aller Neugründungen in Deutschland scheitern innerhalb der ersten drei Jahre. Der Großteil davon gibt bereits in den ersten zwölf Monaten auf. Es fehlen Netzwerke, Kunden, Kapital oder formelle Voraussetzungen. Ursachen eines möglichen Scheiterns gibt es zuhauf.
Nachfolger gesucht
Dies allerdings sollte potenzielle Gründer nicht entmutigen. Es hat Vorteile, Unternehmer zu sein. Etwas aufzubauen, zu gestalten, zu prägen, Neues zu wagen und Märkte zu erobern hat seinen Reiz. Aber: All dies lässt sich auch anderes gestalten. Wer ein Unternehmen übernimmt, statt eines zu gründen, hat viele Herausforderungen bereits gemeistert. Hunderttausende Unternehmen suchen aktuell einen Nachfolger. Unternehmen aller Branchen, aller Betriebsgrößen und in allen Regionen freuen sich, wenn es eine Fortführungsoption gibt mit einem Neu-Unternehmer, der mit frischem Elan zu Werke geht.
Wer ein Unternehmen im Rahmen einer Nachfolge erwirbt, kann viele Risiken minimieren oder ganz vermeiden. Verfahren und Prozesse, Mitarbeiter und Kunden, Reputation und ein Business-Modell sind meist schon vorhanden und entsprechend erprobt. Sein „eigenes Ding“ kann der Nachfolger trotzdem machen, denn der technologische Nachholbedarf ist auch bei bestehenden Unternehmen meist immens. Viele Alt-Unternehmer haben nicht mehr jeden Trend mitgemacht. So kann sich der Neu-Unternehmer mit seinen Ideen entsprechend einbringen und das Unternehmen prägen. Im Idealfall steht der der Alt-Inhaber auch noch als Mentor oder Berater zur Seite, stellt seinem Nachfolger die wichtigsten Kunden vor und sorgt dafür, dass die Mitarbeiter im Betrieb bleiben. Er teilt sein Wissen, seine Netzwerke und seine Ideen, ohne zu bevormunden.
Gewachsene Ökosysteme
Unternehmen sind immer auch gewachsene Ökosysteme mit komplexen Beziehungsstrukturen. Diese als Gründer nicht erst mit viel Mühe und Kapiteleinsatz aufbauen zu müssen, ist ein Riesenvorteil. Aber einfach im Rahmen einer Nachfolge ein Beziehungsgeflecht übernehmen, das funktioniert auch nicht. Es braucht ein Miteinander des alten und des neuen Unternehmers, um das Gutlaufende und Bestehende zu erhalten und bewahren. Der Nachfolger ist dann berufen, all das zu modifizieren und zu modernisieren, was das Unternehmen zu seinem Unternehmen macht. Hier ist genug zu tun. Doch die Risiken sind eben weitaus geringer als bei einer Neugründung.
Wer ein Unternehmen kauft und fortführt, leistet zudem einen großen gesellschaftlichen Beitrag. Jedes Unternehmen, das keinen Nachfolger findet, ist unwiederbringlich verloren, mitsamt seiner Innovationskraft und seinen Standortfaktoren. Zum Ökosystem eines Unternehmens gehört mehr als ein Chef, diverse Mitarbeiter, Maschinen und Anlagen, Kunden und Abläufe. Es sind auch gesellschaftliche, soziale und politische Faktoren, die eine Rolle spielen: die Einbindung in die Standortgemeinde, Mitgliedschaften in Vereinen, Sponsorings, soziales Engagement. Nicht selten entsteht genau aus diesen Faktoren und Netzwerken das notwendige Geschäft. Und so ist das Kaufen eines Unternehmens immer auch eine Investition in eine Region und in Menschen, die nicht selten den Neu-Unternehmer viel leichter zu akzeptieren und zu fördern bereit sind, als wenn jemand etwas Neues startet, was noch niemand kennt.
Start-ups haben es auch deswegen schwer, weil Neues kritischer betrachtet wird als bereits Bestehendes. Der Spagat besteht darin, zu entscheiden, was tatsächlich veraltet ist und der Zukunft geopfert werden muss, und was wertvolle und zu guter Letzt sinn- und gewinnbringende Tradition ist.
Für jeden das Richtige
Wer tatsächlich und im engeren Wortsinn selbständig sein möchte, der sollte in der Tat gründen. Ein personenbezogenes Business, das primär auf dem eigenen Know-how, der eigenen Erfahrung und den eigenen, bereits bestehenden Kontakten basiert, braucht nicht mehr als eine Gewerbeanmeldung.
Wer jedoch den Wunsch hat, Unternehmer zu sein, was auch bedeutet, Verantwortung für andere Menschen, für einen Markt, für Ergebnisse, eine Branche oder eine Region zu übernehmen, der sollte eine Nachfolge ernsthaft in Betracht ziehen. Wo Produkte, Geschäftsmodelle und vor allem Kunden schon vorhanden sind und wo sowohl ein prozessuales als auch ein Cash-Flow-basiertes Fundament besteht, lässt sich leichter und mit weniger Risiko innovieren. Das Aufbauen komplett neuer Strukturen ist deutlich schwerer als bestehende nach eigenem Gusto umzugestalten.
Bessere Zugänge zu Kapital
Auch Finanzierungen sind für Nachfolger leichter zu bekommen. Was besteht, hat eine Vergangenheit. Und sowohl Banken als auch private Kapitalgeber leiten Prognosen – nicht selten zum Leidwesen von Unternehmern – nun einmal aus der Vergangenheit ab. Benchmarks und Bilanzen statt Business-Pläne lautet dann die Devise.
Ob Selbständiger, Start-up-Unternehmer oder Nachfolger, die Zeiten fordern einem Einiges ab. Die Herausforderungen sind gewaltig. Und dennoch: Es gibt jede Menge Chancen, die eigene Karrierewege zu verändern. Wer neuen Technologien offen gegenübersteht und Lust hat, eigene Wege zu beschreiten, hat gerade derzeit alle Möglichkeiten. Die Disruption begünstigt Menschen, die etwas gewinnen wollen und die die Veränderung nicht fürchten. Es ist die Zeit der Unternehmertugenden.
Thorsten Luber ist Diplom-Kaufmann sowie Gründer und Inhaber von Luber Consulting, einer spezialisierten Strategieberatung für den Mittelstand in der DACH-Region. Weitere Informationen unter https://luber-consulting.com.