Digitalisierung allerorten: Auch in der Kfz-Versicherung werde „die Schlacht um den Kunden nicht mehr beim Vermittler unter der Dorflinde entschieden“, meint Dr. Dirk Schmidt-Gallas, Partner und Versicherungsexperte der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners, im Interview mit Cash. Den Versicherern rät er zu mehr Mut in der Produktgestaltung.
Cash.: Die Kfz-Versicherer verfolgen den Aufstieg der Online-Vergleichsportale mit Argwohn. Zugleich geraten auch die Portale trotz hoher Provisionseinnahmen unter Druck, da hohe Werbeausgaben auf die Profitabilität drücken. Wie bewerten Sie die Situation?
Schmidt-Gallas: Die vielbeklagten Profitabilitätslücken der Versicherer sind ein hausgemachtes Problem. Ihre Ursache liegt im Pricing, zu stark standardisierten Produkten und veralteten Verkaufsprozessen. Der Online-Trend verstärkt dieses Problem zwar, wird aber zu Unrecht immer wieder als Sündenbock herangezogen.
Zum Thema Werbung: Der amerikanische Direktversicherer Geico ist mit einem jährlichen Werbeetat von 1,2 Milliarden US-Dollar allein für 25 Prozent der gesamten Werbeausgaben aller amerikanischen Versicherer verantwortlich und liegt bei den Werbeausgaben über alle Branchen hinweg insgesamt auf Nummer Sieben aller amerikanischen Unternehmen. Und auch hierzulande wird die Schlacht um den Kunden nicht mehr beim Vermittler unter der Dorflinde entschieden.
Ein neuer Leitfaden der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA soll „Transparenz, Einfachheit und Fairness“ bei Online-Vergleichen von Versicherungsprodukten fördern. Was halten Sie davon?
In anderen Worten bedeutet das, die Vergleichbarkeit zwischen den Produkten soll weiter erhöht werden. Das ist aus Sicht der Verbraucher zwar zu begrüßen, für die Versicherer ist es in der momentanen Situation eine Bedrohung, längerfristig betrachtet wiederum eine Chance. Die Produkte sind heute austauschbar, daher wird eine zunehmende Transparenz den Preisdruck noch verstärken.
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Eine Chance liegt aber darin, auch im Vergleich mehr Wert auf den Mehrwert der Produkte zu legen und mit dem Äpfel-Birnen-Vergleich aufzuhören. Es wird dann darauf ankommen, dass Versicherer ihre Produkte neu erfinden, aus Kundensicht attraktive und differenzierende Zusatzleistungen einbauen und flexible Strukturen entwickeln, nach dem Motto; „Der Preis ist dir zu hoch, dann entscheide selbst, auf welchen Produktbaustein du verzichten kannst!“.
Makler kritisieren, dass Kriterien wie Schadensbearbeitung, Vertragsbetreuung oder die finanzielle Situation des Versicherers bei Online-Vergleichsportalen gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt würden. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Die Not der Makler ist durchaus nachvollziehbar, aber auch hier sind wir wieder bei unserem hausgemachten Problem: Die Versicherer schnüren ihre Produkte mit dem, was sie anbieten können – und orientieren sich im schlimmsten Fall noch bei der Konkurrenz ohne sich dabei aber die Fragen zu stellen, ob tatsächlich jede einzelne Produktleistung den Wert aus Kundensicht erhöht und somit Zahlungsbereitschaft generiert.
Es werden also Leistungen eingepreist, die den Kunden zumindest im Moment der Kaufentscheidung gar nicht interessieren. Das kann im stationären Vertrieb teilweise aufgefangen werden, im Onlinegeschäft zwingt es die Versicherer jedoch zu Preisnachlässen.
Klüger wäre es, das Produkt mit Leistungen anzureichern, die für den Kunden wertvoll sind und alles zu streichen was Kosten, aber eben nicht den wahrgenommenen Wert erhöht. Für Leistungen, die originär mit dem Produkt verbunden und deshalb unverzichtbar sind, wie zum Beispiel die Schadensbearbeitung, muss die Basis für eine Wertargumentation gelegt werden. Was spricht dagegen in der Schadensbearbeitung Gold- und Standard-Kunden zu unterscheiden? Damit wäre auch den Maklern in ihrer Verkaufsargumentation geholfen.
Interview: Lorenz Klein
Foto: Simon-Kucher & Partners