Kfz-Versicherung: Müssen sich Autobesitzer dauerhaft auf massiv gestiegene Preise einstellen?

Thomas Zwack
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Thomas Zwack

EXKLUSIV Deutschlands Autofahrer blicken derzeit entgeistert auf die Prämienerhöhungen für die kommenden Monate. Mit teilweise drastischen Preisschüben kämpfen Anbieter darum, das Geschäft mit dem Automobil wieder profitabel gestalten zu können. Gastbeitrag von Thomas Zwack, Advyce & Company

Damit kommt man auch dem Druck der Bafin nach, die vor Monaten ebendiese Maßnahmen bereits eingefordert hatte. Dabei ist nicht abzustreiten, dass die Lage der Industrie aktuell schwierig ist. Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Phasen, in der die Combined Ratio für das Kfz-Versicherungsgeschäft deutlich über 100 Prozent lag, allerdings stehen wir nun vor einer Vielzahl verschiedener Herausforderungen. Massiv gestiegene Ersatzteilpreise – teilweise durch Lieferkettenprobleme im Zuge des Ukrainekrieges verursacht – setzen genauso zu wie technologische Transformationsentwicklungen. So bereiten Bauteile wie die immer ausgeprägteren Fahrerassistenzsysteme, Sensoren, Kameras und elektronische Steuergeräte aber auch der Batterieantrieb bei Schadensfällen vermehrt Bauchschmerzen und stellen die bestehenden Risikomodelle der Branche vor echte Herausforderungen. Werden sich Autobesitzer daher also dauerhaft auf massiv gestiegene Preise einstellen müssen?


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Auch wenn inflationäre Schocks, Lieferkettenengpässe und massiv gestiegene Ersatzteilpreise in Teilen wohl wieder ausbalanciert werden, so ist bereits jetzt absehbar, dass das einstige Commodity-Produkt Kfz-Versicherung vor massiven Umbrüchen steht, welche Preisstruktur und Geschäftsmodell dauerhaft umkrempeln werden. Die großen Mobilitätstrends „connected, autonomous, shared, und electric“ – kurz CASE – werden die Tarifgestaltung von morgen umpflügen.

Schon heute sehen wir, dass Elektrofahrzeuge spezifische Risiken mit sich bringen, wie die Brandgefahr durch Batterien und höhere Reparaturkosten. Versicherer lernen derzeit, ihre Risikomodelle spezifischer anzupassen und zunehmend spezialisierte Tarife zu entwickeln. Stärkere Disruption deutet sich bereits durch neue Shared-Mobility-Dienste wie etwa Carsharing oder Vehicle-on-Demand-Services an: Hier könnten die traditionellen Kfz-Versicherungsprodukte durch nutzungsbasierte Modelle ersetzt werden, bei denen Prämien nach tatsächlicher Nutzung berechnet werden.

Ein Weg, der auch im Zuge der autonomen und vernetzten Revolution vorgezeichnet scheint. Autonome Fahrzeuge verschieben eines Tages das Unfallrisiko auf Technologie und Hersteller, was die Bedeutung von Produkthaftpflichtversicherungen erhöht. Die Haftungsmodelle müssen entsprechend überarbeitet werden, um die Verantwortung zwischen Fahrer, Hersteller und Softwareanbietern neu zu regeln. Allerdings ist der flächendeckende Einsatz in Deutschland noch nicht klar absehbar. Ganz anders steht es aber bereits um die Vernetzung, Grundlage für verschiedene digitale Services – vom Infotainment bis zum Fahrerassistenten. Die Vision vom Smartphone auf Rädern ist bereits ab dem Mittelklassesegment aufwärts Realität. Eine Entwicklung, die auch das Business Modell rund um Versicherungen beeinflusst und neue Player auf den Plan ruft.

Telematik – Chancen und Risiko

Die größten Potenziale für Anbieter aber auch deren Kunden, eine angemessene und fairere Preisgestaltung zu ermöglichen, liegt zweifelsohne in der individualisierten Nutzung von Fahrzeugdaten. Versicherer könnten, sofern sie Zugriff auf diese Daten erhalten, zusätzliche Dienstleistungen anbieten, die auf den Daten dieser vernetzten Fahrzeuge basieren, wie zum Beispiel präventive Wartungsempfehlungen oder Fahrverhaltensanalysen, die zu einer sichereren Fahrweise beitragen. Natürlich ist die Auswertung von Fahrdaten auch bestmöglich geeignet, den Fahrstil der Versicherungsnehmer zu analysieren und entsprechend mit Incentives – wie etwa – günstigeren Prämien zu goutieren.

Allerdings sind die entsprechenden Ideen nicht gänzlich neu. Bisherige Vorstöße von Anbietern waren in Deutschland bis dato wenig erfolgreich. Generell sind wir hierzulande sehr sensibilisiert, was den Schutz persönlicher Daten betrifft. Die Idee eines stetigen digitalen Beifahrers, welcher Fahrverhalten ständig überwacht und auswertet stößt auf Bedenken. Natürlich besteht unterschwellig bei vielen die Sorge, dass die Daten unbefugt an Dritte weitergegeben werden, was nachteilige Auswirkungen mit sich bringen könnte. Anbieter stehen entsprechend vor der Aufgabe, die Chancen des Angebots besser zu kommunizieren – angefangen von den preislichen Vorteilen, in Zeiten massiver Preissprünge besonders gern gesehen, bis hin zu Vorteilen rund um die Pflege und die Wartung des Fahrzeugs. Es ist ferner davon auszugehen, dass sich mit den Trends auf dem Weg zur Fahrautomatisierung ohnehin eine größere Akzeptanz für die Datennutzung etablieren kann. Transparenz und Fairness sind hierbei jedoch stets die Gebote der Stunde.

Große Chancen, mächtige Rivalen

Essenz neuer Tarifstrukturen werden in jedem Fall mehr denn je Datensätze sein. Tarife, welche sich direkt am Fahrverhalten der Fahrzeughalter orientieren, werden bestehende Lösungen aufbrechen oder gänzlich disruptieren. OEM („Original Equipment Manufacturer“) sind naturgemäß in der Pole Position hinsichtlich der Verfügbarkeit und Auswertungspotentiale der Daten, da Hersteller ohnehin Zugang zu einem Füllhorn von Fahrzeug- wie auch Fahrerdaten besitzen. Player wie der Elektroprimus Tesla nutzen dies bereits, um mit eigenen Angeboten eine Rundum-Lösung für die eigenen Fahrzeuge an den Verbraucher zu bringen. Dies bedeutet zwar nicht zwingend, dass der Hersteller selbst zum Risikoträger wird, so zeichnet etwa die Helvetia die Risken der Tesla Versicherung – InsureMy Tesla – auf. Jedoch birgt der direkte Zugang zum Nutzer große Potentiale für OEM, die ohnehin vermehrt nach neuen Revenue-Streams schauen. Hinzu kommt, dass viele Player längst auch über Software- und Daten-Know-how verfügen und Partnerschaften in die Software- und Halbleiterbranche geschlossen haben. Für die Industrie bedeutet dieser Shift gehörige Umstellungen, die zu neuen Allianzen, Know-how-Transfers und modifizierten Geschäftsmodellen führen werden. Aus Sicht der Autofahrer dürfte gerade dies jedoch auch Chancen auf ein Ende der Preissprünge bergen. 

Autor Thomas Zwack ist Partner bei der Strategieberatung Advyce & Company.

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