„KI ermöglicht ungeahnte Produktivitätsgewinne”

Thomas Kruse, Amundi Deutschland
Foto: Alexander von Spreti
Thomas Kruse: „Die Bäume wachsen am Aktienmarkt nicht in den Himmel, aber es besteht durchaus ein Kurspotenzial von zehn Prozent.“

Der Chef von Amundi Deutschland, Christian Pellis, wurde in diesem Jahr als Head of the Year ausgezeichnet. Cash. nutzte diese Gelegenheit, um einen Blick hinter das Unternehmen zu werfen. Vor Ort in München sprachen wir mit den Führungskräften von Amundi Deutschland. Thomas Kruse ist CIO bei Amundi Deutschland. Er gibt uns seine Einschätzungen zur Inflationsentwicklung, Geldpolitik und den Zustand der deutschen Wirtschaft.

Herr Kruse, Sie sind der oberste Anlagechef bei Amundi Deutschland, bei Ihnen laufen also die Investmentdrähte aus den unterschiedlichen Asset Management Units zusammen. Geben Sie unseren Lesern doch bitte einmal einen Eindruck über Ihre konkrete Tätigkeit?

Kruse: Wir erarbeiten nicht nur Strategien für Deutschland, sondern internationale Strategien, für die wir mit vielen internationalen Kollegen zusammen arbeiten sowie mit den Experten vom Amundi Investment Institut. Die größere Line für unsere Investmententscheidungen und -strategien treffen wir in einem Gremium, das jede Woche digital zusammen trifft. Alle zwei Wochen haben wir zudem einen Call mit Kollegen aus Indien, China und Singapur. Lediglich die Kollegen in den USA liefern aufgrund der Zeitverschiebung ihre Daten nach. Was allerdings aufgrund er guten Verfügbarkeit der Marktdaten aus Amerika so auch gut funktioniert. Indien und China sind da schon spannender. Der Call zu diesen beiden Ländern findet montagsmorgens statt. Auf Basis dieses Austausches legen wir zum einen die strategische Asset Allocation international fest sowie die taktische Umsetzung national. Diese besprechen wir dann noch mal im Team in München und passen sie falls notwendig für den deutschen Markt an. Damit haben unsere Fondsmanagerinnen und Fondsmanager eine gewisse Bandbreite, innerhalb derer sie agieren und entscheiden können.

Kommen wir einmal zu den Märkten. 2022 war bereits ein schwieriges Jahr an den Märkten, wie ist 2023 bis dato gelaufen? Mit welcher Entwicklung rechnen Sie bis Jahresende?

Kruse: 2022 war sicherlich schwierig aufgrund der Tatsache, dass es große und viele Zinserhöhungen gab, teilweise bis zu 75 Basispunkten. Das hat deutlich gemacht, dass die Inflation nicht nur temporär ist, wie uns die Notenbanken ja lange Zeit Glauben machen wollten. Andererseits hat es natürlich die Gefahr mit sich gebracht, dass sich das Wachstum eintrüben könnte. Schauen wir dann auf die Aktienmärkte, so sind diese 2023 doch relativ gut laufen. Das ist zum einen der Stimmung geschuldet, zum anderen aber auch der Tatsache, dass diese Vielzahl und der schnelle Anstieg der Zinsen nicht unbedingt gravierende oder harte Spuren in der Wirtschaft hinterlassen hat. Wenn sie mich fragen, sind wir jetzt an einem Punkt, an dem wir eine milde Rezession sowohl für die USA als auch Europa erwarten. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, auf das jeweilige Zentralbankziel für die Inflation zurückzukommen. Solange hier die Richtung nach unten bleibt, gibt es keinen wirklichen Grund, dass sich die Wirtschaft noch stärker eintrübt und die Zinserhöhungen noch massiver sein müssten. Aber ausgeschlossen ist natürlich nichts, wie man an den Beispielen Kanada und Australien sieht, die zunächst eine Pause signalisiert haben und dann die Zinserhöhungen doch wieder aufgenommen haben.

Im Mai haben Sie die Aussage getroffen, dass bis 2025 nicht mit einem Rückgang der Inflation nahe zwei Prozent zu rechnen sei. Warum dauert es so lange trotz erheblicher Gegenmaßnahmen der Notenbanken?

Kruse: Für Europa ist das richtig. Es stellt sich aber auch die Frage, ob man an den zwei Prozent festhalten sollte. 2025 ist wahrscheinlich das Jahr, in dem wir die zwei Prozent oder auch leicht niedrigere Zahlen sehen werden. Für Ende 2024 liegen unsere Prognosen für Amerika bei 2,3 und für Europa bei 2,7 Prozent. Wir sehen zwar, dass die Energiepreise der einzige Preistreiber sind, der inzwischen noch negativ wirkt. Nahrungsmittel waren zwischenzeitlich zwar ein extrem hoher Preistreiber, kommen jetzt aber wieder zurück. Aber wenn man sich die aktuelle Kerninflation anschaut, also Energie und Nahrungsmittel herausnimmt, dann stammt der Preisdruck fast ausschließlich aus der Servicesektorkomponente. Sprich, alles, was im Moment noch mit Reisen, Restaurants zu tun hat, treibt die Preise, und das wird länger dauern, bis das zurückkommt.

Wie sollten sich Anleger denn angesichts dieses Umfelds positionieren?

Kruse: Dass wir so einen guten Aktienmarkt haben würden, haben wir nicht erwartet, zumal sich am Szenario von 2022, das besonders negativ war, in 2023 nicht so richtig viel verändert hat. Hinsichtlich der Inflation sind wir über den Berg und auch die Notenbanken werden wohl nicht weiter an der Zinsschraube drehen. Einige, wenn ich jetzt Richtung Emerging Markets schaue – Chile oder Brasilien –, fangen sogar an, langsam die Zinsschraube wieder zu lockern. Wir sind mit Blick auf die Bewertung durchaus hoch. Dass wir jetzt allerdings eine massive Korrektur bekommen, das glaube ich nicht. Immer unter der Maßgabe, dass die Inflation nicht noch einmal wieder ansteigt und weitere Zinsschritte notwendig macht. Das wäre aber nicht unser Basisszenario. Die Unternehmen waren lange Zeit in der Lage, ihre Margen zu halten und die Preissteigerungen gerade bei Vorprodukten, weiterzugeben. Wenn wir noch einmal eine Korrektur bekommen, dann sicher nichts, was über maximal 5 bis 10 Prozent hinausgehen sollte. Das würde dann auch eher die Möglichkeit eröffnen, Aktien wieder aufzustocken. Wir waren jetzt lange Zeit defensiv. 2023 war nicht unbedingt das Jahr, in dem wir diesen Move an den Aktienmärkten übergewichtet begleitet haben. Aber für das vierte Quartal bin ich eher positiver eingestellt. Ich glaube, dass wir zum Jahresende tendenziell etwas höher stehen werden. Warum? Wir bekommen mittlerweile ein ganz anderes Umfeld. Wir haben sehr lange mit dem Thema Zentralbanken, Zinserhöhungen und Inflation gearbeitet. Das ist eigentlich etwas, was Portfoliomanager gar nicht so gerne mögen, so langfristige Ziele. Es ist eine gewisse Ungeduld da. Das nächste Thema wird sein: Wann haben wir die Möglichkeiten, auch die Zinsen zu senken? Das ist das, was der Markt jetzt bereits ins Auge fasst. Das wird sich sicherlich bis 2024 hineinschleppen, aber man redet bereits darüber.

Was heißt das für die Märkte?
Kruse: Die Bäume wachsen an den Aktienmärkten jetzt nicht in den Himmel, aber es besteht durchaus ein Kurspotenzial von zehn Prozent. Die Wirtschaft befindet sich eher in einer Spät- als in einer Frühzyklik. Da bieten sich vielleicht Technologieunternehmen, aber auch defensive Titel an. Auch Wachstumstitel haben jetzt eine Chance. Wobei man immer zwischen nicht profitablen Tech-Titeln und profitablen großen Tech-Unternehmen unterscheiden muss. Für die ist Zinssensitivität kein Thema. Aber in Summe bin ich eigentlich eher konstruktiver für das vierte Quartal und die Zeit danach.

Blicken wir noch ein wenig weiter über den Tellerrand hinaus. Mit dem Anziehen der Inflation haben einige Experten ein Ende der goldenen Zeiten an den Kapitalmärkten prophezeit. Diese würden auch dann nicht zurückkehren, wenn die Teuerungsrate wieder auf ein Normalmaß zurückgekommen sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Kruse: Jetzt haben wir wieder eine Rendite auf den Staatsanleihen und ich gehe auch nicht davon aus, dass wir noch mal in die Verlegenheit kommen, dass wir wieder negative Renditen brauchen. Das heißt, wir haben wieder ein normales Verhältnis zwischen Aktien und Renten. Aber es stimmt, das Produktivitätswachstum ist extrem gering. Da spielen auch die geopolitischen Unruhen mit hinein, inklusive der Blockbildung – China auf der einen, die USA auf der anderen Seite. Energiepolitik ist ein großes Thema. Der Russland-Ukraine-Krieg zeigt, dass viele Unternehmen in Zeiten der Globalisierung die Schraube etwas überdreht haben und die Risiken einiger Länder ignoriert haben nach dem Motto: Wir haben stabile geopolitische Verhältnisse, Kriege sind kein Thema, wir können in diesen Ländern produzieren und haben da die niedrigsten Produktionskosten, erreichen die höchsten Margen. Der Ukraine-Krieg sowie die Thematik China-Taiwan haben hier zum Umdenken geführt. Wenn Sie jetzt entgegnen, dass die Produktivitätsgewinne niedrig sind, dann stimmt das zwar. Aber dass deshalb keine Aktienmarktrenditen mehr möglich sein sollen, kann ich mir nur vorstellen, solange wir ein geschlossenes System haben. Das ist aber nicht der Fall. Auf der einen Seite verschiebt sich alles in Richtung Emerging Markets, wo höhere Produktivitätsgewinne möglich sind. Auf der anderen Seite gibt es auch das Thema KI, wodurch ebenfalls Produktivitätsgewinne möglich werden dürften, deren Ausmaß wir heute noch gar nicht kennen. Ich verweise gerne auf die Themen Digitalisierung, Internet oder Chips. Alles das, was wir an Phantasie hatten, ist gekommen, viel mehr sogar, aber nicht zu den Preisen, zu denen wir es angesetzt haben. Netzkapazität wurde schnell ein Commodity und dementsprechend bei den Telekom-Unternehmen nicht so teuer bezahlt, wie wir das alles angenommen haben. Aber es ist gekommen, und es hat einen enormen Wandel mit sich gebracht. Insofern glaube ich, dass es da durchaus wieder andere Möglichkeiten geben wird, um auch Produktivitätsgewinne zu erzielen.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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