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KI im Finanzvertrieb: „Da frag ich erstmal ChatGPT“

Einige KI-Anwendungen im Vordergrund hat Brigde bereits wieder ein- oder zurückgestellt. So hatte das Unternehmen ein Tool geplant, mit dem der Berater „avatarisiert“ wird, wenn er nicht erreichbar ist. Er wird also durch einen digitalen Stellvertreter (Avatar) ersetzt, der dann eigenständig agiert. „Das wurde in einer Pilotphase ausprobiert, aber nicht angenommen“, berichtet Hallier. „Die Leute sind noch nicht bereit, sich klonen lassen“, sagt er.

Auch ein KI-Tool für einfache Beratungsvorgänge oder die Beantwortung von simplen Anfragen wie die nächste Kündigungsmöglichkeit für eine Versicherung und ähnliches hat Bridge zunächst zurückgestellt. „Selbst solche Dinge wollen Berater nicht aus der Hand geben“, berichtet Hallier. Wesentlicher Grund auch in diesem Fall: Die Haftung für die Richtigkeit der Informationen ist nicht geklärt.

So ist ein komplexeres KI-Beratungstool mit dem – zumindest technischen – Potenzial, den Menschen als Berater zu ersetzen, erst recht noch in weiter Ferne. Hier spielt ein weiterer Punkt eine wichtige Rolle: Die DSGVO, also der Datenschutz. Solche komplexen KI-Programme, die auf unterschiedlichste Fragen und Situationen eingehen sollen, lassen sich nur mit Large-Language-Models (LLM) trainieren, also mit riesigen Datenmengen aus entsprechenden Gesprächen. Echte Beratungsgespräche sind dafür jedoch wegen des Datenschutzes tabu. Selbst die Verwendung von anonymisierten Transkripten ist eine rechtliche Grauzone, sofern sie sensible Daten enthalten (was in der Regel der Fall sein dürfte).

Knackpunkt Datenschutz

Das führt zu einem anderen Punkt, den Finanzdienstleister im Auge behalten müssen: Keinesfalls dürfen sie KI-Tools wie ChatGPT mit sensiblen Daten zu füttern. Dazu zählt etwa Kunden-Korrespondenz beziehungsweise die Bitte um Vorschläge für deren Beantwortung. Sofern dort sensible Daten enthalten sind, verstößt das ohne die Zustimmung des Kunden gegen die DSGVO (und potenziell auch gegen MiFID II beziehungsweise IDD). Denn ChatGPT & Co. saugen alle Informationen auf, verarbeiten und speichern sie irgendwo. Und spucken sie unter Umständen am anderen Ende der Welt wieder aus (oder beim Nachbarn) – unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Zurück zu den Grenzen und der Zukunft von KI in der Finanzberatung selbst. Dort sind sich die befragten Unternehmen im Wesentlichen einig: KI wird den Menschen nicht ersetzen. „Zum einen brauchen viele Kunden schlichtweg gerade bei komplexen Themen der Finanzberatung weiterhin Menschen als Berater. Es geht aber auch um rechtliche Fragen der Compliance und der Governance“, sagt etwa Christian Glanz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Vermögensberatung (DVAG).

„Unsere Vermögensberater durchlaufen schließlich ausgeklügelte und gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungen und müssen ihre Eignung nachweisen“, so Glanz unlängst im Cash.-Interview. „Aber wer nimmt eine KI-basierte Beratungssoftware ab? Die IHK, die BaFin, oder irgendein amerikanischer Hersteller? Was passiert bei einer Falschberatung? An wen wendet der Kunde sich dann? Wer haftet dafür? Es sind sehr viele Fragen noch komplett ungeklärt, wenn es um den eigentlichen Teil der Beratung geht und nicht nur um die Abwicklung oder eine standardisierte Empfehlung in einem Vergleichsportal.“

„Persönliche Beratung bleibt unersetzbar“

KI werde bei der DVAG vorrangig als Unterstützung in der Beratung genutzt. „Unsere Vermögensberaterinnen und Vermögensberater können sich so auf schwieriger zu lösende Probleme oder sehr individuelle Fälle konzentrieren und müssen nicht mit Standardaufgaben ihre Zeit vergeuden. Und so bleibt mehr für das wirklich Relevante – die Beratung“, betont Glanz.

„Die persönliche Beratung bleibt im Versicherungsvertrieb unersetzbar und wird niemals überflüssig werden“, ist auch Fonds Finanz-Chef Porazik überzeugt. „In einer zunehmend digitalen Welt bleibt die menschliche Komponente – Empathie, Vertrauen und persönliche Interaktion – unverzichtbar“, sagt er.
Fast alle der anderen befragten Unternehmen sehen die Rolle der KI im Finanzvertrieb ebenfalls so: Sie wird die Menschen unterstützen, aber nicht ersetzen.

Nur PMA-Vorstand Engel schränkt ein: „Grundsätzlich kann heute niemand mit Sicherheit sagen, wie die Finanzdienstleistung unter den Veränderungen getrieben durch KI in fünf bis zehn Jahren aussehen wird“. Auch er fügt indes hinzu, PMA halte es „für eine realistische Einschätzung, dass die richtige Mischung aus high-tech und high-touch, also einer modernen state-of-the-art Digitalinfrastruktur in Kombination mit spezialisierter, regionaler Beratungskompetenz vor Ort, die Mischung der Zukunft sein wird“. Am Ende heißt auch das: Unterstützung ja, Verdrängung nein.

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