Klaus Morgenstern (DIA) im Interview: „Anstatt laut Skandal zu rufen, sollte sich Frau Wagenknecht die Vorschläge mal anschauen“

Klaus Morgenstern vor dem Hintergrund der Reichstags-Kuppel
Foto: DIA
Klaus Morgenstern, Sprecher des DIA

EXKLUSIV Jeder fünfte Deutsche mit mindestens 45 Versicherungsjahren kommt lediglich auf eine Rente unter 1.200 Euro. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat dies mit deutlichen Worten kritisiert. Was Klaus Morgenstern, Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA), dazu sagt.

„Dass jeder fünfte Rentner nach 45 Arbeitsjahren sogar weniger als 1.200 Euro Rente bekommt, ist ein politischer Skandal“, sagt BSW-Chefin Wagenknecht. Hat sie Recht? 

Morgenstern: Die Tatsache, die Frau Wagenknecht des Wahlkampfes wegen zum Skandal erklärt, ist seit längerem bekannt. Wir weisen schon seit Jahren darauf hin, dass die gesetzliche Rente allein in den seltensten Fällen zur Absicherung des gewünschten Lebensstandards reicht. Aber diese Entwicklung ist doch der demografischen Situation geschuldet. Die Rentenreformen der vergangenen Jahre sind aus diesem Grund gemacht worden. Vorschläge, wie die Situation verbessert werden kann und die demografischen Gegebenheiten Berücksichtigung finden, haben die Wirtschaftsweisen in ihrem letzten Gutachten gemacht. Anstatt laut Skandal zu rufen, sollte sich Frau Wagenknecht diese Vorschläge mal anschauen und darüber diskutieren.

Der anstehende Bundestagswahlkampf wird nach der Erwartung Wagenknechts auch eine Volksabstimmung über die gesetzliche Rente. Erwarten Sie das auch? 

Morgenstern: Nein, ich glaube nicht, dass wir einen Rentenwahlkampf bekommen. Dafür gibt es einfach noch zu viel andere dringende Themen. Die aktuellen Umfragen deuten auch nicht darauf hin, dass es eine Volksabstimmung über die Rente wird. Dann müssten die Werte für die Union schlechter sein, denn sie trägt die Reformen der Vergangenheit ja mit.


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Wagenknecht fordert, Deutschland möge sich ein Beispiel an Österreich nehmen. Dort liege die Durchschnittsrente für langjährig Versicherte 800 Euro höher. Taugt unser Nachbarland in Sachen Rente tatsächlich als Vorbild?

Morgenstern: Politiker, die Österreich als Vorbild benennen, weisen immer nur auf die Vorteile hin, aber es gibt auch Nachteile, die werden dann meist vergessen. Zum Beispiel, dass in Österreich ein höherer Rentenbeitrag zu zahlen ist und dass Anwartschaften viel leichter verfallen als in Deutschland. Insofern plädiere ich dafür, sich genau anzuschauen, was es wert ist, übernommen zu werden. So könnte ich mir vorstellen, dass wir nach dem Vorbild Österreichs eine Erwerbstätigenversicherung sukzessive aufbauen. Aber nicht um die Rentenfinanzen zu retten, das leistet sie nämlich nicht, sondern um mehr Rentengerechtigkeit zu schaffen. Viele Versicherte verstehen nämlich nicht, warum Teilgruppen leistungslose Anwartschaften erhalten, zum Beispiel Abgeordnete. Außerdem könnte mit einer Erwerbstätigenversicherung das Problem bei den Selbständigen aus der Welt geschafft werden. Selbständige, die keine gleichwertige andere Altersvorsorge haben, sollten dann in die Rentenversicherung einbezogen werden.

Die Legislaturperiode läuft noch etwas mehr als ein Jahr. Was erwarten Sie von der Bundesregierung bis dahin noch in Sachen Altersvorsorge?

Morgenstern: Ich hoffe, dass die Ergebnisse der Fokusgruppe „Private Altersvorsorge“ noch in ein Gesetz einfließen und zum Beispiel das angekündigte Altersvorsorgedepot eingeführt wird. Außerdem wäre mein Wunsch, dass einige Festlegungen aus dem „Rentenpaket II“ noch einmal ernsthaft auf den Prüfstand gestellt werden. Aber daran glaube ich nicht mehr so recht.

Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.

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