Irren ist menschlich und Ärzte sind auch nur Menschen – aber mit einem besonders verantwortungsvollen Beruf. Ihre Fehler hinterlassen im schlimmsten Fall Schaden an Leib und Leben ihrer Patienten und Patientinnen. Macht jeder aktive Mediziner nur einen Fehler im Jahr, sind das bei aktuell fast einer halben Million berufstätigen Ärzten, Ärztinnen und Zahnmedizinern in Deutschland statistisch mehr als 1.300 falsche Entscheidungen täglich. Sie können von einem Missgeschick bis zu fatalen Fehleinschätzungen reichen.
Auch deshalb gilt für Ärzte und Ärztinnen seit Juli 2021 eine bundeseinheitlich vorgeschriebene Versicherungspflicht. Sie schreibt den freiberuflichen Medizinern eine Haftpflichtversicherung im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit vor. Davon profitieren nicht nur Patienten mit berechtigten Ansprüchen auf Schadenersatz. Zugleich schützt die Police Ärzte und Ärztinnen vor den womöglich existenzbedrohenden Folgen eines schweren Fehlers. Sie unterliegen persönlich der Haftung: Unter Umständen müssen sie deshalb unbegrenzt mit ihrem gesamten Privatvermögen haften.
Als Fehler gilt nicht nur eine falsche Behandlung, sondern auch die Verletzung der Pflicht zur Patientenaufklärung und zur Behandlungsdokumentation. Eine ausbleibende Heilung ist dagegen kein medizinisches Versagen. Ärzte schulden ihren Patienten eine sinnvolle, fehlerfreie Behandlung nach den allgemeinen Standards in der Medizin, aber – verständlicherweise – keinen Heilerfolg.
Orthopäden vorne
Im Jahr 2021 bestätigte der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der nur die Verdachtsfälle von gesetzlich Krankenversicherten untersucht, in 3.665 Fällen einen Fehler und in 3.222 Fällen einen Fehler mit Schaden. Mehr als 13.000 Fehler wurden insgesamt gemeldet. Zugleich warnt der Medizinische Dienst, es sei wissenschaftlich belegt, dass die Dunkelziffer der Behandlungsfehler deutlich über dem liege, was in der Statistik sichtbar werde.
Der Verteilung der Ärzte und des medizinischen Risikos entsprechend, kamen zwei Drittel der Klagen über Mediziner in der stationären Versorgung, meist Krankenhäuser, und ein Drittel bezogen sich auf Arztpraxen. Die Top 5-Statistik zeigt: 30 Prozent der Nachforschungen betrafen Orthopädie und Unfallchirurgie, 12 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin, jeweils knapp neun Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie, gefolgt von der Zahnmedizin.
Fehlerhaftes Verhalten wird sehr unterschiedlich bewertet: Juristen sprechen von einem einfachen Behandlungsfehler, wenn gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht und medizinische Standards der Behandlung verstoßen wird. Als grober Fehler gilt ein elementarer Verstoß gegen die Berufsregeln oder gegen medizinische Erkenntnisse. Daraus ergibt sich in der Praxis viel Interpretationsspielraum. Unter anderem hängt von der Klassifizierung auch die Frage ab, welche der beiden Parteien die Beweislast trägt.
Unterschiedliche Einsatzorte
Der Umfang der ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung hängt wesentlich davon ab, welche ärztlichen Tätigkeiten genau ausgeübt werden. Bei freiberuflichen Ärzten können das neben der ambulanten Praxistätigkeit auch ambulante Operationen und stationäre Tätigkeiten sein. Letzteres gilt etwa für Ärzte, die als Belegärzte in Kliniken arbeiten.
Eine gute Versicherung deckt aber auch gelegentliche außerdienstliche oder gelegentliche ärztliche Tätigkeiten ab, sofern es sich nicht um Einsätze im Krankenhaus, in der eigenen Praxis oder als Narkosearzt handelt. Dazu gehören zum Beispiel Erste Hilfe bei einem Unglück sowie die Teilnahme am Notfall- und Rettungsdienst. Auch die Tätigkeiten als Impfarzt, Praxisvertretung, Gutachter, auf Veranstaltungen oder ein ärztlicher Freundschaftsdienst im Bekanntenkreis sind darüber abgesichert.
Es gibt viele Gelegenheiten, als Arzt Hilfe zu leisten. Daher ist es wichtig, dass eine Angestellten-Haftpflicht ausdrücklich auch diese „gelegentlichen außerdienstlichen Tätigkeiten“ beinhaltet. Vergleichbaren Versicherungsschutz benötigen etwa Ruheständler und Ärzte in Elternzeit, sofern sie noch gelegentlich ärztlich tätig sind.
Dabei geht es nicht nur um Ansprüche aus der direkten Behandlung des freiberuflichen Arztes oder der Ärztin, sondern auch um die Haftung, falls sich eine Vertretung oder ein Mitarbeiter falsch verhält. Denn: Ärzte dürfen das Haftungsrisiko ihrer Mitarbeiter nicht einfach über den Arbeitsvertrag auf sie übertragen.
Solche Klauseln sind unwirksam. Mediziner haften ebenso, wenn ihre mangelhafte Praxisorganisation zu einem Patientenschaden geführt hat. Zugleich wehrt die Berufshaftpflicht unberechtigte Ansprüche ab. Für medizinische Versorgungszentren, sogenannte MVZ, gilt die gleiche Pflichtversicherung wie für Berufsausübungsgemeinschaften mit angestellten Ärzten und Zahnärzten. Für Tätigkeiten außerhalb des MVZ wie die Weiterführung einer eigenen Praxis oder als Belegarzt ist ein zusätzlicher Versicherungsschutz erforderlich.
Besonderer Schutz
Die ärztliche Haftpflichtversicherung übernimmt nicht nur in zivilrechtlichen Verfahren die Kosten vor Gericht und für einen Rechtsanwalt. Viele Versicherungen bieten diesen Schutz auch in strafrechtlichen Verfahren wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Dagegen unterscheiden sich die Versicherungen erheblich, wenn es um ambulante Operationen und kosmetische Behandlungen geht.
Oft werden Ärzten hierfür höhere Versicherungsbeiträge in Rechnung gestellt, selbst wenn sie nur kleinere Eingriffe wie endoskopische Untersuchungen, durchführen. Ebenso sollte der Haftpflichtschutz nicht zeitgleich mit der medizinischen Tätigkeit enden, sondern im Fall erst später sich realisierender Haftpflichtfälle mehrere Jahre darüber hinaus, die sogenannte Nachhaftung.
Die gesetzliche Mindestversicherungssumme beträgt seit Juli 2021 drei Millionen Euro, nur für Vertragsärzte mit angestellten Ärzten und für MVZ liegt sie bei fünf Millionen Euro für Personen- und Sachschäden. Für Krankenhausärzte, die zum Beispiel im Rahmen einer erlaubten ambulanten Nebentätigkeit als sogenannte „Ermächtigte Ärzte“ zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden, gelten die Verpflichtungen zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nur, wenn hierfür nicht anderweitig (z.B. über eine Betriebshaftpflichtversicherung des Krankenhauses) Versicherungsschutz besteht.
Der Autor Tom Stahlmann ist Abteilungsleiter Haftpflicht Individualgeschäft Heilwesen bei der Ergo Versicherung AG.