Die EU-Kommission will in den nächsten Jahren richtig viel Geld für den Klimaschutz ausgeben. So bekommt er endgültig seine höheren politischen Weihen. Ab sofort sollte es beim Klimaschutz nicht mehr nur um Moral und Ideologie gehen, sondern vor allem darum, wie man mit ihm Geld verdienen kann. Die Halver-Kolumne
Denn es kommt keine freudige Erregung auf, wenn klassische Industriebranchen aus klimapolitischer Korrektheit hingerichtet werden. Kein deutscher Facharbeiter will bei der Versorgung seiner Familie feststellen, dass am Ende des Gehalts oder der Stütze noch so viel Monat übrig ist.
Ökonomie mit Ökologie versöhnen, nicht weiter spalten
Beim Klimaschutz müssen die Menschen mitgenommen werden. Sie müssen von ihm profitieren. Und wenn Europa und vor allem Deutschland schon die Rolle des Klimamusterknaben der Welt spielen, warum dann nicht auch konsequent in der wirtschaftlichen Umsetzung sein. Angesichts zunehmender Umweltverschmutzung und steigendem Ausstoß klimaschädlicher Gase ist Klimaschutz ein Jahrhundert-Geschäftsmodell. Überhaupt ist Klimatechnik Made in Germany in vielen Bereichen Weltklasse. Und ebenso gibt es in anderen EU-Ländern vielversprechende Ansätze.
Wie im Gleichnis aus dem Evangelium nach Matthäus darf Europa jetzt seine Talente nicht vergraben oder z.B. den Status der führenden deutschen Solarindustrie an China verschenken. Apropos China, es setzt alles daran, unseren Vorsprung auf- und dann zu überholen. Das Land hat knapp dreimal so viele Einwohner wie die EU und damit auch dreimal so viele Arbeitskräfte und Talente, die alle hungrig auf den Wohlstand sind, den wir für gottgegeben halten. Wenn sie können, werden sie Europa umwelttechnisch ausnehmen wie eine Weihnachtsgans und noch süßsauer lächeln.
Ran an die Buletten oder den Tofu
Der „Big Green Deal“ der EU wird zwar teuer. Deutschland wird ganz tief in die Tasche greifen müssen. Aber das mussten wir beim Wiederaufbau auch. Von nichts kommt eben nichts. Zur Zielerreichung wird nicht zuletzt die EZB als Big Spender eingespannt. Mit mehr als 20 Mrd. Euro monatlich kauft sie mehr als doppelt so viele Staatspapiere auf, als dass neue ausgegeben werden. Da bleibt genügend Kaufkraft für Öko-Anleihen übrig.
Im Übrigen, für Green Technology sollte Deutschland seine schwarze Null aufgeben. Immerhin geht es um alternative Wohlstands- und Beschäftigungssicherung. Wenn China für dieses Megathema neue Schulden macht – für die es im Vergleich zu Deutschland Zinsen zahlen muss – darf Berlin nicht am falschen Ende sparen, für das es früher oder später mit Wirtschaftseinbußen auch noch draufzahlt.
Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang ein europäischer Staatsfonds. Einstweilen sollte Deutschland zügig mit der Auflage eines nationalen Sondervermögens vorangehen, das sich dem Thema Umwelttechnik mit Inbrunst widmet. Wenn dann auch noch die krankhaft langen Planungs- und Genehmigungsverfahren nicht nur verkürzt, sondern kastriert werden, wäre das fabelhaft.
Dieser Staatsfonds sollte neben privaten Kapitalsammelbecken unbedingt auch für Anleger über regelmäßig steuerlich begünstigte Ansparbeiträge geöffnet werden. So entkämen sie der Zinsfalle, die ihnen todsichere Altersarmut einbringt.
Politik als Bleiweste
Grundsätzlich hat Europa keine Alternative zu diesem umfassenden Green Deal. Die EU als kollektives Industriemuseum ist keine Option. Ich bin aber nicht naiv. Hier 27 EU-Länder (ohne die Briten) unter einen Hut zu bringen, hat viel mit der Quadratur des Kreises zu tun.
Allein Deutschland hat ja schon seine liebe politische Not. Zunächst fehlt es vielen Amtsträgern der GroKo an Begeisterungsfähigkeit. So mancher Politiker hat in der Tat das Charisma eines Atlantik-Tiefs. Daneben zeigt das Motto des früheren SPD-Vorsitzenden Willy Brandt „Erst das Land, dann die Partei“ bei seinen Jüngern keine Wirkung mehr. Wie in einer Selbsthilfegruppe sinnieren die Sozialdemokraten, ob man die Groko verlassen sollte oder nicht. Während die einen sie für so attraktiv wie Fußpilz halten, wollen die Mandatsträger an ihr festhalten. Sie wissen, dass Opposition Mist ist. Selbst Kevin – Sie erinnern sich: „An Nikolaus ist Groko-Aus“ – warnt jetzt vor dem schnellen Verlassen der GroKo. Wenn das keine politische „Flexibilität“ ist, was dann?
Oder könnte es auch sein, dass vielen Genossen bei einer Neuwahl die Äste abgesägt werden, auf denen sie heute noch mit ordentlichen Diäten und Pensionsansprüchen sitzen? Überraschenderweise ist sich auch in der Politik jeder selbst der Nächste. Und auch die Union hat etwas gegen eine Neuwahl. Aktuell könnte sie unter 30 Prozent und in Reichweite der Grünen fallen, deren Zuwächse auch Fleisch vom Fleische der CDU sind.
Damit beide Partner gesichtswahrend an der Koalition festhalten können, wird man der SPD noch mehr fürsorgenden Staat gewähren. Umgekehrt wird die Union ein paar wirtschaftsfreundliche Brocken verlangen, aber bloß nicht zu viel, schließlich will man spätestens bei der Neuwahl 2021 nicht als k-CDU, als kalt-Christliche Demokratische Union antreten.
Damit geht die deutsche Politik nicht ins Obligo, wagt nicht den dringend benötigten politischen Befreiungsschlag, um den Klimaschutz nicht nur moralisch zu befördern, sondern ihn vor allem wirtschaftspolitisch auszunutzen. Hat man in Berlin etwa vergessen, dass man nur dann umverteilen kann, wenn es etwas zum umverteilen gibt?
Theoretisch könnte Klimaschutz dreifach beglücken: Die Umwelt, die Wirtschaft und die Anleger.
So viel Spaß, Spiel und Spannung scheint es praktisch jedoch nur beim Überraschungsei zu geben. Schade, dass Berlin kein Freund von Schokolade ist! Diese gesunde Ernährung wird sich noch rächen.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
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