Der primäre wirtschaftliche Übertragungsmechanismus bei ernsthafteren Spannungen im Nahen Osten ist in der Regel ein Anstieg der Energiepreise. Der Preis für Rohöl der Sorte Brent ist in der letzten Woche gestiegen und lag zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts bei in etwa 91 US-Dollar. Geschuldet ist diese Entwicklung den zunehmenden Befürchtungen, wonach Angebotsstörungen in der Region die Preise in Zukunft noch viel stärker in die Höhe treiben dürften. Schließlich haben Spannungen in der Region früher regelmäßig zu einem erheblichen Anstieg der weltweiten Ölpreise geführt. Das dramatischste Beispiel hierfür sind die 1970er Jahre, als sich die Preise vervierfachten, während der Nahe Osten in einem Krieg versank.
Stagflationäre Folgen?
Wir verfolgen das Risiko infolge eines Angebotsschocks in dem Szenario „Höhere Rohstoffpreise“, das in unserem jüngsten Economic and Strategy Viewpoint veröffentlicht wurde. Dieses Szenario basierte größtenteils auf Produktionsdrosselungen durch die „OPEC+“-Gruppe von Exporteuren fossiler Brennstoffe, die den Preis für die Sorte Brent auf 120 US-Dollar pro Barrel treiben würden. Gegenüber unserem Basisszenario würde eine solche Entwicklung die Weltwirtschaft in eine stagflationäre Richtung lenken.
Höhere Rohstoffpreise führen zu einer höheren Inflation. Zugleich würde das Risiko von Zweitrundeneffekten (d. h. steigende Löhne und Preise) vor dem Hintergrund weltweit angespannter Arbeitsmärkte die Zentralbanken zu erneuten Zinserhöhungen veranlassen. Diese anhaltenden Bedenken über eine hartnäckigere Inflation würden ferner einen möglichen Wechsel zu Zinssenkungen bis zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr 2024 hinauszögern. Somit würde die Geldpolitik während des gesamten nächsten Jahres restriktiver ausfallen.
Eine straffere Geldpolitik und die Belastung der Privathaushalte durch höhere Rohstoffpreise hätten ein trägeres Wachstum und damit eine Stagflation zur Folge.
Die nachlassenden Auswirkungen der Energiepreiserhöhungen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine Anfang 2022 waren mit ausschlaggebend für die weltweite Desinflation im vergangenen Jahr. Dieser Trend hatte sich jedoch bereits vor den tragischen Ereignissen der letzten Tage umgekehrt. Nachstehende Grafik zeigt, dass die Energieinflation in den G7-Staaten in der Tat von -8 % im Juli auf -1 % im August gegenüber dem Vorjahr anzog.
Selbst wenn der Ölpreis auf dem derzeitigen Niveau von 91 US-Dollar pro Barrel verharrte, würde die Energieinflation bis zum nächsten Sommer auf positives Terrain voranpreschen, bevor sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 wieder abklänge.
Die Ölpreise müssten indes noch viel weiter steigen, um den stetigen Rückgang der Gesamtinflation aufzuhalten.
Energie-Inflation
Die angespannte Lage an den Arbeitsmärkten, wie anhand des Lohnwachstums in den USA im September und eines neuen historischen Tiefs bei der Arbeitslosigkeit in der Eurozone im August ersichtlich, könnte höhere Lohnabschlüsse infolge der anhaltenden Preisteuerung bedeuten, was wiederum für eine längerfristig hartnäckigere Inflation sorgen würde. Wenngleich die US-Notenbank Fed in ihrem jüngsten Dot-Plot bereits die Debatte über eine letzte Zinserhöhung eröffnet hat, besteht durchaus auch die Möglichkeit, dass Bedenken über Zweitrundeneffekte im November zu einer erneuten Zinserhöhung führen, sollten die Ölpreise weiter steigen.
Zugleich wäre es aber falsch, das unmittelbare Risiko für die allgemeine Inflation aufgrund höherer Energiepreise überzubewerten. Unsere Analyse zeigt vielmehr, dass die Energiepreise lediglich 1,7 % des Kern-VPI ausmachen. Folglich wären die direkten Auswirkungen höherer Ölpreise auf die zugrunde liegende Teuerungsrate minimal.
Autor David Rees ist Senior Emerging Markets Economist bei Schroders.