Kosten für Altersvorsorgeprodukte: „Das Konzept der Effektivkosten überzeugt mich nach wie vor“

Foto: Fraunhofer Institut
Professor Dr. Ralf Korn, Fraunhofer Institut

Eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM analysiert, wie hoch die Effektivkosten bei typischen Altersvorsorge-Produkten unter realistischen Kostenparametern sind. Über die überraschenden Ergebnisse sprachen wir mit Prof. Dr. Ralf Korn, einer der Studienautoren.

Herr Prof. Korn, wie war die Resonanz auf Ihre Studienergebnisse?
Korn: Wir sind am Fraunhofer Institut Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) in Kaiserslautern, an dem meine beiden Ko-Autoren, Dr. Franziska Diez und Patrick Holzer, den Großteil der Berechnungen durchgeführt haben, mit der Resonanz sehr zufrieden. Es wurde in einer Vielzahl von Fachjournalen sehr sachlich von der Studie berichtet und insbesondere auf die doch teils erstaunlichen numerischen Effekte hingewiesen.


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Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung vom 4. Dezember von „theoretischen Extremfällen“ statt realistischen Bildern. Wie extrem sind die Ausreißer, die Sie feststellen konnten? Und haben Sie die Ergebnisse überrascht?
Korn: Schaut man sich die Angaben der Kostenparameter, mit denen die Anbieter rechnen und die zugehörigen, konservativen Grenzen für die jeweils maximalen Kosten an, so überrascht die Differenz in Prozentpunkten zwischen den Effektivkosten auf Maximalkostenbasis im Muster-PIB und die auf der Basis realistischer Kosten im Sinne von gerade aktuellen Kostenparametern nicht. Bei unseren Rechnungen lagen die Differenzen in Prozentpunkten zwischen 1,1 und 3,4 Prozent für die betrachteten Produkte, um die die Effektivkosten im Muster-PIB höher waren.

Dies ist durchaus eine große Spanne. Aber beeindruckender sind dann die Konsequenzen in Euro-Beträgen. Betrachtet man zum Beispiel einen Kunden mit 200 Euro monatlichem Beitrag und einer Vertragslaufzeit von 40 Jahren, so ergibt sich bei Effektivkosten von 4,39 Prozent gemäß Muster-PIB eine Ablaufleistung von 108.500 Euro, während man bei 1,03 Prozent Effektivkosten in unserer Rechnung beim Ansatz realistischer Kostensätze 235.404 Euro erhält, also eine um ca. 126.000 Euro höhere Ablaufleistung, was mehr als eine Verdoppelung darstellt.

Wie hoch sind denn die tatsächlichen Kosten für eine fondsgebundene Basisrente?
Korn: Ich verwende bewusst den längeren Begriff Effektivkosten (englisch Reduction in Yield), also die Reduktion der Rendite in Prozentpunkten durch Kostendeckung bzw. Eigenbeteiligung des Anbieters am Ertrag des Produkts. Hierdurch werden auch missverständliche Begriffe wie Garantiekosten vermieden. Wir haben bei den tatsächlichen Effektivkosten bei 40-jähriger Laufzeit eine Spanne von ein bis zwei Prozent bei unseren Rechnungen erhalten. Um dies in Eurobeträgen zu veranschaulichen, geben wir bei unserem obigen Beispiel die Ablaufleistungen für Effektivkosten von ein, zwei, drei und vier Prozent an. Sie betragen 237.000 Euro, 186.000 Euro, 147.000 Euro, 118.000 Euro. Dies gilt für die in der Chancen-Risiko-Klasse (CRK) 4 klassifizierten fondsgebundenen Basisrenten ohne Beitragsgarantie.

Sie haben die Berechnungen für Basis-Renten ohne Garantien bzw. auf Basisrenten mit 80 Prozent Beitragsgarantie durchgeführt. Lassen sich die Ergebnisse auch auf andere Produktarten übertragen? Etwa die Riester-Rente oder die private Altersvorsorge?
Korn: Die Übertragung stellt im Prinzip gar kein Problem dar, denn die Auswahl unserer Produkte waren durch Verbraucher und Verbraucherinnen aktuell besonders häufig gewählte Produkte, die der Chancen-Risiko-Klassifizierung unterliegen, motiviert. So wie das Konzept der Effektivkosten konstruiert ist, ist es produktunabhängig. Natürlich gibt es durch die Bruttobeitragsgarantie bei der Riester-Rente die Besonderheit, dass die Effektivkosten die vorgegebene Rendite vor Kosten nicht überschreiten können, was ohne die Beitragsgarantie durchaus möglich wäre.

Welche Aussagekraft haben Produktinformationsblätter in Bezug auf die tatsächlichen Kosten eines Altersvorsorgeprodukts vor dem Hintergrund ihrer Studienergebnisse? Und warum werden Muster-PIBs dennoch herangezogen, wenn sie keine realistischen Ergebnisse liefern?
Korn: Lassen Sie mich vielleicht ein bisschen weiter ausholen. Der Grundgedanke, eine Obergrenze für die Effektivkosten anzugeben, ist im Sinne des Verbrauchers nicht schlecht. Und der Anbieter geht mit der Angabe einer Obergrenze natürlich auch ein Risiko ein, weshalb er sie eher konservativ wählen wird, um nicht am Ende auf entstandenen Kosten sitzen zu bleiben. Man erhält dann aber auch nur eine Aussage vom Typ „schlechter wird’s nicht“. Sicher kann man dem entgegenhalten, dass dies bei den individuellen PIBs, bei denen man für den Kunden zum Beispiel mit einem konkret gewählten Fonds und dessen Kosten rechnet, nicht zwingend der Fall ist. Aber der Erstkontakt zum Produkt, bevor es überhaupt in die Beratung geht, sind die auf den Internetseiten der Anbieter bereit zu stellenden Muster-PIBs. Vergleicht man nun Basis-Renten- oder Riester-Renten mit Alternativprodukten, die keine Produktinformationen in der Art eines Muster-PIBs haben, also keine solche Obergrenzen angeben müssen, so werden Basis- und Riester-Rente beim Kostenvergleich anhand von Muster-PIBs, die wie von uns unter Anwendung des Maximalkostenprinzips gerechnet werden, zu einem dankbaren Gegner. Ein fairer Vergleich verschiedener Produkte kann nur auf einer gleichen Basis geführt werden, d.h. es muss auch klar erkennbar sein, was man vergleicht. So lassen sich beispielsweise. auch im Effektivkostensystem nur Produkte gleicher CRK hinsichtlich ihrer Effektivkosten vergleichen.

„Abwracken oder Aufrüsten“ lautete der Titel einer Studie über die Riester-Rente, die das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) im Auftrag des Deutschen Instituts für Altersvorsorge im Frühjahr 2019 erstellt hatte. Darin kam das IVFP zum Schluss, dass die Riester-Rente hinsichtlich Rentabilität, Marktdurchdringung und der Kundengruppen sowie hinsichtlich der Verbreitung sehr wohl lohne. Verbraucherschutzverbände wie die vzbv, Finanzwende oder der Bund der Versicherten haben in der Vergangenheit sehr deutliche Kritik an der Riester-Rente geübt. Kritisiert wurden stets die hohen Kosten der Produkte, die das Produkt unrentabel machen würden. Unter Berücksichtigung Ihrer Berechnungen und Ergebnisse: Ist die Kritik noch haltbar?
Korn: Unsere Berechnungen zeigen, dass Studien, die auf den im Muster-PIB ausgewiesenen Effektivkostensätzen basieren, nicht für realistische Kostenangaben geeignet sind. Grundsätzlich sind Kosten und Effektivkosten nicht dasselbe. Die Effektivkosten zeigen die Konsequenz von Kosten an, nicht aber ihre Höhe im Einzelnen. Grundsätzlich sehe ich die Situation wie das IVFP. Die konzeptionelle Stärke und gleichzeitig die Problematik der Riester-Produkte liegen in der Beitragsgarantie. Diese in den zurückliegenden Jahren der nicht vorherzusehenden Niedrigstzinsphase einzuhalten, war eine bemerkenswerte Leistung der Anbieter. Die von uns berechneten Höhen der tatsächlichen Effektivkosten zeigen noch dazu auf, dass die Größenordnungen sehr weit von den theoretischen Obergrenzen entfernt sind.

Eine Ihrer Empfehlungen lautet, die Art der Kostenausweisung weiterzuentwickeln. Wie könnte denn ein solcher Kostenausweis aussehen?
Korn: Zunächst vorweg, ich bin nach wie vor vom Konzept der Effektivkosten überzeugt. Auch das Maximalkostenprinzip im Muster-PIB ist eine wertvolle Information. Um allerdings eine realistischere Einschätzung der Effektivkosten im gegenwärtigen Rahmen zu erhalten, sollten als Zusatzangabe die Effektivkosten für eine Rechnung mit gegenwärtig aktuellen Kostenparametern mit z.B. den am häufigsten getroffenen Wahlen für einen Fonds bereitgestellt werden. Dies hielte den Zusatzaufwand in Grenzen, wäre lediglich eine weitere Zahl und würde den Kunden und Beratern auch kein weiteres Konzept zumuten.

Will man den gegenwärtigen Rahmen verlassen, so kann ich mir auch die Anwendung des zur Chancen-Risiko-Klassifizierung verwendeten Simulationsverfahrens vorstellen, um sowohl eine Rendite vor Kosten als auch eine Rendite nach Kosten zu bestimmen und dann die Effektivkosten als Differenz der beiden Renditen anzugeben. Dies wäre allerdings sowohl von der Durchführung als auch vom Verständnis der Details her deutlich komplizierter, könnte aber besser auf die tatsächlichen Eigenschaften des Produkts eingehen, während momentan die Rendite vor Kosten allein durch die Zugehörigkeit eines Produkts zur jeweiligen CRK bestimmt ist.

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