Nach wie vor geht in der öffentlichen Diskussion viel durcheinander, wenn es um die begriffliche Abgrenzung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Fondsmanagement geht. Deshalb die Frage an Sie, was verstehen Sie unter einem KI-Fonds?
Sievers: Die Differenzierung ist in der Tat sehr wichtig. Der Begriff KI ist ja nicht geschützt und wird in der öffentlichen Diskussion aktuell für ein sehr breites Spektrum an Technologien verwendet. Fachlich unterscheidet man zwischen sogenanntem Deep Learning, einer Technologie, die mindestens mit Neuronalen Netzen arbeitet. Und den Vorläufern von moderner KI wie Machine-Learning-Anwendungen oder für die älteren Quant-Fonds genutzten statistischen Methoden wie zum Beispiel eine lineare Regression. Sehr vereinfacht könnte man sagen: Stellen Sie sich das vor wie den Unterschied zwischen einem Taschenrechner und einem modernen Computer.
Wenn Sie die ganze Stärke von KI wirklich nutzen wollen, dann brauchen Sie Deep Learning, weil sie viel mehr Daten verarbeiten, selbständig variable Muster erkennen, diese Muster auf neue Daten anwenden und die Gültigkeit dieser Regeln selbständig überprüfen und aktualisieren kann. Diese KI müssen Sie zudem professionell trainieren, das heißt, mit möglichst vielen Daten, mit möglichst vielen Assets und mit all den Themen, die potenziell Indikatoren für eine Kursentwicklung sind. Je umfangreicher und vielfältiger die Datenbasis ist, desto größer ist auch die Chance, verdeckte, auch multidimensionale Zusammenhänge zu finden. Wenn man seine KI dagegen mit zu wenig oder den falschen Daten trainiert, findet sie nur durch Zufall Alpha, weil Sie gerade in diesem Feld gesucht haben. Und darum geht es uns als KI-Haus ja. Wir wollen ein systematisches Alpha generieren.
Wir setzen unsere KI dabei im gesamten Investmentprozess ein. Von der Analyse von Makro- und Unternehmenskennzahlen über die Asset Allocation und die Risikobewertung bis zur finalen Anlageentscheidung. Wenn man sich überlegt, dass beispielsweise 97 Prozent der aktiven Fondsmanager im US-amerikanischen Large Cap Sektor es nicht schaffen, nach herkömmlichen Methoden Alpha zu erzielen, sieht man: Hier liegt eine große Chance für die KI.
Sie haben eine KI namens LAIC Advisor entwickelt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Hebestreit: Wir sind 2018 mit der Entwicklung unserer KI für das Asset Management gestartet. Zunächst haben wir die KI mit Makrodaten und den Daten von aktiven Fonds und ETFs gefüttert, weil diese Daten sehr transparent und einfach verfügbar waren. Im nächsten Schritt haben wir die KI dann auch auf Einzelaktien trainiert. Im Kern geht es darum, die Treiber zu identifizieren, die die Kursentwicklung von Märkten, Sektoren, Assetklassen und Unternehmen erklären. Wir sehen in der Auswertung, dass es sogenannte Faktoren gibt, die rund 70 bis 80 Prozent der Kursentwicklung bestimmen. Daraus leitet unser LAIC Advisor dann später die Asset Allocation ab. Die verbleibenden rund 20 bis 30 Prozent der Kursentwicklung, wir nennen das die Features, erklärt die Performance eines spezifischen Unternehmens im Vergleich zu seinen Wettbewerbern. Das bestimmt dann später die Einzeltitelauswahl. Aktuell erstellt unsere KI jeden Tag eine Kursprognose für 12.000 Fonds, 3.000 ETFs und rund 5.000 einzelne Aktien.
Vielleicht kann man das noch mal abgrenzen zu den Quant-Fonds, die ja recht bekannt sind. Diese Fonds suchen ebenfalls Regeln, also Algorithmen, nach denen Anlageentscheidungen getroffen werden sollen. Allerdings sind diese Algorithmen statisch. Das Management testet verschiedene Hypothesen und wendet die erfolgreichsten Regeln dann an. Das Problem ist, dass sich in der Wirtschaft die geltenden Regeln schnell verändern können, es sind ja keine Naturgesetze. Dieses Problem nennt man Alpha Decay: kaum habe ich einen Renditetreiber entdeckt, wird er wieder ungültig. Es bleibt also viel Potenzial liegen. Unsere KI dagegen findet selbst die Zusammenhänge, überprüft laufend deren Gültigkeit und passt diese dann selbständig an. Solche komplexen und multidimensionalen Datenanalysen sind erst seit wenigen Jahren möglich.
Sievers: Seit 2018 hat unsere Mutter, die LAIQON AG, über 20 Millionen Euro in die LAIC investiert, in den Aufbau dieser KI und in das Team. Wir sind jetzt rund 25 Mitarbeiter, die sich tagtäglich mit dem Thema beschäftigen. Und seit 2020 haben wir mit insgesamt fünf KI-gesteuerten Fonds auch einen Live Track Record, was ja immer wichtig ist.
Oftmals heißt es KI verbessere das Asset Management, nicht aber die Performance. Wie sieht Ihre Replik aus?
Sievers: Das halte ich für verkürzt. Wir sehen drei Anwendungsfälle, in denen man KI nutzen kann. Den Ersten haben Sie gerade angesprochen. Ich kann als Asset Manager Kosten sparen, weil ich Analysten und Portfoliomanager durch KI ersetzen kann. Aber zweitens, und hier würde ich Ihnen widersprechen, hat der Einsatz von KI ganz klar den Anspruch, Alpha zu generieren. Wir haben in der heutigen Welt mit rasant wachsenden Datenmengen zu tun, diese Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Systeme, die solche großen Datenmengen verarbeiten können, spielen hier ihre Stärken aus. Und der dritte wichtige Punkt ist, dass man durch KI erstmals in der Masse auch komplett individualisierte Portfolios konstruieren kann. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Anleger, der mit seinem Portfolio in der Region USA überpräferiert sein möchte, gern neue Technologien als Thema und Gold im Portfolio hätte. Was wäre früher passiert? Man hätte diesem Anleger ein paar Fonds zusammengestellt oder ihn in der Vermögensverwaltung in eins von fünf Standardportfolios gesteckt. Unsere KI kann solche individuellsten Präferenzen berücksichtigen und für jeden Investoren ein eigenes, hyper-personalisiertes Portfolio zusammenstellen und managen. Was früher viele Vermögensverwalter gebraucht hätte, erledigt heute die KI.