In der Bedürfnispyramide des US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow folgt das Bedürfnis nach Sicherheit gleich auf die Grundbedürfnisse wie Atmen, Schlafen, Essen und Trinken. Nun ist es jedoch so, dass alles, was wir tun, ein gewisses Risiko birgt. Für die Stoiker waren mögliche Katastrophen eine philosophische Angelegenheit: Die Dinge, die kommen, können wir nicht kontrollieren, wohl aber die Art und Weise, wie wir über diese Dinge denken. Aber da Sicherheit ein elementares menschliches Bedürfnis ist, würden die meisten Menschen wahrscheinlich etwas Greifbareres vorziehen. Für diese Menschen gibt es Versicherungen.
Nicht umsonst gibt es erste Formen der Versicherung bereits seit Tausenden von Jahren. Der Grundgedanke des Geschäfts hat sich seither kaum verändert: Es geht um die Absicherung von Wertgegenständen. Trotzdem erlebt die Versicherungsbranche gegenwärtig einen gewaltigen Wandel. Aktuelle Marktentwicklungen veranlassen Versicherer dazu, ihr Geschäftsmodell komplett umzukrempeln.
Versicherungen müssen innovieren
Digitale Innovationen hat die Erwartungshaltung gesteigert, und Kunden verlangen heute ein perfektes Kundenerlebnis an jedem Berührungspunkt mit Marken, sowohl persönlich als auch online. Da heutige Verbraucher mehr digitale Kanäle nutzen als je zuvor, ist „Customer first” zwangsläufig ein Synonym für „digital first”. Sehen wir uns die sechs wichtigsten Gründe für eine Digital-First-Strategie an.
Neuen Kundenerwartungen entsprechen
Gerade jüngere Menschen sind es gewohnt, dass Services zu jeder Zeit online zur Verfügung stehen und der Austausch mit einem Serviceanbieter absolut unkompliziert ist. Die Generation Z, also die Jahrgänge, die zwischen 1995 und 2012 geboren wurden, werden nicht umsonst als „Digital Natives” bezeichnet: Sie sind mit digitalen Medien groß geworden. Bis 2025 werden sie ca. 30 Prozent des Bruttoeinkommens in Deutschland erwirtschaften und die größte Käufergeneration stellen.
An diese Generation muss sich auch die Versicherungsbranche anpassen, allerdings ist sie nicht nur besonders wichtig, sondern auch besonders anspruchsvoll. Obwohl sich viele Versicherungen bemühen, den Kundenkontakt so reibungslos wie möglich zu gestalten, müssen sie noch weiter gehen. Denn Einfachheit und Effizienz allein werden bald nicht mehr ausreichen, um die Loyalität der Gen Z zu gewinnen und auf lange Sicht zu halten. Reibungslosigkeit ist nicht mehr das eigentliche Ziel, sondern vielmehr ein Mittel zum eigentlichen Ziel: Einem wirklich außergewöhnlichen Kundenerlebnis. Das allerdings kann nur durch eine Digital-First-Strategie erreicht werden.
Kunden binden
Früher war es nicht unüblich, dass ein Kunde seinem Versicherungsunternehmen ähnlich wie der Kneipe an der Ecke ein Leben lang die Treue hielt. Aber Altbewährtes funktioniert nicht mehr. Die Digitalisierung hat die Bereitschaft zum Wechsel steigen lassen – und auch die aktuelle Krise sorgt dafür, dass Kunden sehr genau hinsehen, was ihnen für ihr Geld geboten wird. Kunden lediglich zufriedenzustellen und ihnen genau das zu bieten, was sie erwarten, ist heute die Mindestvoraussetzung.
Um Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden, muss wesentlich mehr geleistet werden: Ein außergewöhnlicher Service, der die Erwartungen der Kunden übertrifft. Das Kundenerlebnis ist besonders in Krisenzeiten wichtig, weil es wesentlich komplizierter ist, neue Kunden zu gewinnen als Bestandskunden zu halten. Unternehmen müssen jetzt alles dafür tun, keine bestehenden Kunden zu verlieren.
Doch selbst die beste Strategie für ein außergewöhnliches Kundenerlebnis ist wertlos, wenn veraltete Technologien die Umsetzung vereiteln. Digitale Tools sorgen für ein hyper-personalisierte, interaktive und zeitnahe Kommunikation, benutzerfreundliche Schnittstellen und die Möglichkeit, Informationen rund um die Uhr über die von den Kunden bevorzugten Kanäle und Geräte bereitstellen zu können.
Schäden können flexibel und zeiteffizient online oder über mobile Apps angemeldet werden. Indem sich Kunden in Echtzeit über den Status ihrer Schadensbearbeitung informieren können, werden Ängste abgebaut und so das Gesamterlebnis verbessert. Kurz: Digitale Tools sorgen dafür, dass alle Formalitäten während des gesamten Schadenprozesses schneller, bequemer und transparenter abgewickelt werden.
Vertrauen stärken
Das Kundenerlebnis bei der Schadenbearbeitung bietet Versicherungen die beste Gelegenheit, die Kundenloyalität zu steigern, birgt aber auch das größte Risiko, sie zu verspielen. Gute Kundenbeziehungen erhöhen die Chancen auf späteres Cross- und Up-Selling und beruhen im Wesentlichen auf Vertrauen. Umso bedenklicher ist es, dass das Vertrauen in Versicherungen einen historischen Tiefstand erreicht hat. Kunden erwarten eine Versicherung, auf die sie sich schnell verlassen können.
Um Vertrauen aufzubauen und so neue Wachstumsmöglichkeiten zu erschließen, müssen Forderungen korrekt bearbeitet und zeitnah erstattet werden. Die von den Kunden geforderte Zuverlässigkeit führt dazu, dass Versicherungsunternehmen eine fehlerfreie Qualität sicherstellen müssen. “Digital First“-Schadenregulierungssysteme verringern die Fehlerquote durch die Automatisierung von Prozessen, höhere Datenqualität und mehr Transparenz.
Kosten senken
Je höher der Verwaltungsaufwand und je länger die Bearbeitungszeit, desto höher die Kosten für die Schadensregulierung. Versicherungsunternehmen mit einem „Digital First“-Ansatz können ihre Betriebskosten deutlich reduzieren, indem sie ihre manuellen Prozesse automatisieren. Auf diese Weise lassen sich nicht nur die Personalausgaben verringern – durch die Reduzierung von Fehlern und Zeitverlusten wird auch die Wahrscheinlichkeit eines teuren Gerichtsverfahrens geringer. Die Automatisierung garantiert zudem Schnelligkeit und Transparenz – die wichtigsten Faktoren für ein positives Kundenerlebnis, besonders bei der Schadensregulierung.
Agilität erhöhen
Wenn ein Versicherungsunternehmen sich auf die Kundenperspektive konzentrieren, Produkte und Services flexibler und schneller auf den Markt bringen, innovativer werden und für neue Arbeitnehmergenerationen attraktiv sein will, dann muss es dafür agil sein. Versicherungen mit einem „Digital First“-Ansatz sind wesentlich agiler und in der Lage, viel schneller auf Marktveränderungen und neue Kundenwünsche zu reagieren. Durch eine kürzere Entwicklungsdauer für neue Digitalanwendungen können sich Unternehmen viel zügiger und einfacher an sich ändernde Konditionen anpassen und den Schadenprozess laufend optimieren.
Wettbewerbsfähigkeit verbessern
Im Bereich der Schadenregulierung müssen Versicherungsunternehmen die Anforderungen ihrer Kunden heute nicht nur erfüllen, sondern übertreffen. Um einen Wettbewerbsvorteil in einem digitalen Marktumfeld zu erzielen, sollte der Verbraucher an erster Stelle stehen und darauf basierend aufgebaut werden. Prüfen Sie, wie der Schadenbearbeitungsprozess für den Kunden möglichst komplikationslos abgewickelt werden kann, und überlegen Sie, wie Sie die Kundenbeziehung mithilfe von Technologie an verschiedenen Touchpoints optimieren können.
Traditionelle analoge Systeme können nicht mit den neuen digitalen Technologien von InsurTechs Schritt halten, die über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg Neuerungen schaffen und den Kundenwert verbessern. Versicherungsunternehmen, die eine auf die Digitalisierung ausgerichtete Strategie verfolgen, schaffen jedoch allmählich den Ausgleich – und übertreffen sogar die Wettbewerber.
Schadensfälle werden von vielen Menschen oft als existenzbedrohend empfunden, weshalb die Versicherungsbranche bereits vor 5.000 Jahren kein rein datengetriebenes Geschäft war. Kunden möchten verstanden werden und erwarten nach einem Schaden, z. B. einem Unfall, Empathie – auch von ihrer Versicherung.
Die schnelle und korrekte Bearbeitung von Schadensfällen ist ohne Frage ein wichtiges Ziel, aber echte Begeisterung lässt sich nur durch eine persönliche und einfühlsame Kundenansprache erreichen. Denken Sie deshalb gerade in Zeiten von Personalknappheit auch daran, was eine Digital-First-Strategie nicht ersetzen kann, wofür sie aber Zeit schaffen kann: Menschlichkeit.
Autor Jochen Razum ist Sales Director DACH bei Smart Communications.