Europas Währungshüter haben im Grunde alle Register im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche gezogen – nun wartet die EZB zunächst ab. Höhere Zinsen sind absehbar nicht in Sicht.
Die Europäische Zentralbank (EZB) verschärft ihren Kurs trotz anhaltender Mini-Inflation vorerst nicht. Der Leitzins bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent. Unverändert bei minus 0,4 Prozent ließen die Währungshüter bei ihrer auswärtigen Sitzung in Wien auch den Strafzins, den Banken zahlen müssen, wenn sie Geld bei der EZB parken statt es als Kredite weiterzureichen.
Volkswirte rechnen mit einer längeren Phase ohne Änderungen an der ultralockeren Geldpolitik. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet beispielsweise hatte kürzlich bekräftigt, es brauche noch Zeit, um die Wirkung zuletzt beschlossener Maßnahmen bewerten zu können. Erst im März hatten die Währungshüter ihren Kurs massiv verschärft. Erstmals wurde der Zins, zu dem Banken Zentralbankgeld bekommen, auf Null gesenkt.
Geldflut soll Kreditvergabe ankurbeln
In Staatsanleihen und andere Wertpapiere steckt die EZB noch mehr Geld: 80 Milliarden Euro monatlich. EZB-Präsident Mario Draghi hatte wiederholt erklärt, das Kaufprogramm werde bis mindestens März 2017 aufrechterhalten. Vom 8. Juni an will die Notenbank auch Unternehmensanleihen kaufen. Die Geldflut soll die Kreditvergabe ankurbeln und so Wachstum und Inflation anschieben. Dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Konjunkturrisiko, weil Unternehmen und Verbraucher in Erwartung sinkender Preise Investitionen aufschieben könnten.
Der Druck auf die EZB, nochmals nachzulegen, hat zuletzt etwas nachgelassen. Zwar lag die Inflationsrate im Euroraum im Mai laut vorläufigen Zahlen mit minus 0,1 Prozent weiter im negativen Bereich. Die Jahresrate dürfte sich nach Einschätzung von Ökonomen aber zum Jahresende hin in Richtung ein Prozent bewegen.
Günstige konjunkturelle Aussichten für den Euroraum
Denn die niedrige Inflation ist zum großen Teil auf den drastisch gesunkenen Ölpreis zurückzuführen – und in den vergangenen Monaten wurde der Schmierstoff der Weltwirtschaft wieder etwas teurer. Zudem stellten sich die konjunkturellen Aussichten für den Euroraum zuletzt günstiger dar als noch zu Jahresbeginn.
Dennoch halten es Volkswirte für unwahrscheinlich, dass Europas Währungshüter bald die Wende zu steigenden Zinsen einläuten könnten – im Gegenteil: „Eine nachhaltig höhere Inflation ist nicht in Sicht. Deshalb bleibt eine weitere geldpolitische Lockerung der EZB zum Jahresende auf der Agenda“, schreibt Commerzbank-Analyst Christoph Weil. Kritiker halten die Wirkung der Geldflut für begrenzt, die Nebenwirkungen bekommen zum Beispiel Sparer zu spüren: Anlagen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch Rendite ab.
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Der EZB-Rat tagt jedes Jahr ein oder zwei Mal nicht am Stammsitz der Notenbank in Frankfurt. Auf Wien fiel die Wahl auch deshalb, weil dort am Abend das 200-jährige Bestehen der österreichischen Nationalbank gefeiert werden sollte. (dpa-AFX)
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