Mit deutlicher Kritik hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf die gestern beschlossene Absenkung des Leitzinses durch die Europäischen Zentralbank (EZB) reagiert. Die Reduzierung von 0,25 auf 0,15 Prozent, sei „verfehlt und unangemessen“. Unterstützung findet der GDV beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
Der Schritt der EZB markiere „eine neue Eskalationsstufe“, sagte GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland gestern in Berlin. „Mit der Maßnahme wird das erschreckend niedrige Zinsniveau weiter verfestigt, zu Lasten der Vorsorgesparer in Deutschland.“ Die Sparanstrengungen der Deutschen würden durch die EZB untergraben, so Erdland. Deshalb sei der Verband in Sorge.
Weiter kritisierte Erdland, dass die niedrigen Zinsen kaum noch Wachstumsimpulse auslösten. Wichtiger sei daher die Fortsetzung der Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Länder zurückzugewinnen. Nur so finde Europa auf den Wachstumspfad zurück, betonte Erdland.
Zinssenkung verpufft in Südeuropa
Schützenhilfe erhielt Erdland durch Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Er halte die Zinssenkung für ungeeignet, so Hüther, um die Kreditvergabe in den Südländern der Euro-Zone anzukurbeln. „Dort liegt das Problem bei den Banken, deren Unrat in den Bilanzen neue Kredite an Mittelständler verhindert“, wetterte der Ökonom.
Mit dem Zinsschritt werde es der EZB künftig noch schwerer fallen, zu „einer neutralen Politik zurückzukehren“, betonte Hüther, der „eher ein Zins von drei Prozent“ für angemessen hält. Zugleich kritisierte der IW-Chef, dass die EZB mit ihrer Politik die Gefahr von Preisblasen an der Börse schüre.
IW-Chef: „Vorsichtige Zinswende im zweiten Halbjahr 2015 möglich“
Das IW hatte im Auftrag des GDV eine Studie erstellt, die Hüther im Beisein Erdlands vorstellte. Darin schlagen die Ökonomen eine Anhebung der Zinsen in sehr kleinen Schritten vor, um die wirtschaftliche Entwicklung in Europa „nicht ungewollt zu belasten“. GDV-Präsident Erdland nahm die Empfehlung zu einer behutsamen Zinswende erfreut zur Kenntnis, denn die Entscheidung der EZB sei auch angesichts der aktuellen positiven Konjunkturprognosen für Europa „nicht gerechtfertigt“, betonte Erdland.
Zudem empfehlen die Wissenschaftler, dass die Notenbank die Finanzmärkte rechtzeitig auf Zinserhöhungen vorbereiten sollte, um keine Verunsicherung über die künftige Marschroute aufkommen zu lassen. Den Zeitpunkt für die Trendumkehr hält der IW-Direktor für bald gekommen: „Nach unserer Einschätzung ist eine vorsichtige Zinswende im zweiten Halbjahr 2015 möglich.“
Banken drohen Strafzinsen
Der EZB-Rat hatte auf seiner gestrigen Sitzung beschlossen, den Leitzins von 0,25 auf das Rekordtief von 0,15 Prozent abzusenken. Gleichzeitig nahmen die Notenbanker den Einlagenzins auf minus 0,1 Prozent herunter. Banken müssen künftig einen Strafzins bezahlen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken.
Die Währungshüter beschlossen zudem ein Kreditprogramm für Banken im Volumen von bis zu 400 Milliarden Euro. Die EZB verspricht sich von den Maßnahmen eine stärkere Kreditvergabe und in der Folge eine Ankurbelung der Wirtschaft, vor allem in den wachstumsschwachen Peripherie-Ländern der Euro-Zone. In großen Teilen der deutschen Wirtschaft stößt das Vorgehen der Zentralbank jedoch auf teils harsche Kritik. (lk)
Foto: GDV