Letztes Treffen 2022: EZB und Fed werden wieder an der Zinsschraube drehen

Ein großes blaues Eurozeichen in Frankfurt vor Hochhäusern
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Explodierende Inflationsraten haben die Notenbanken der großen Industrieländer in diesem Jahr zu einem scharfen Kurswechsel gezwungen.

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, kommentiert was die Märkte bewegt. Diese Woche befasst er sich anlässlich der diese Woche anstehenden Sitzungen von EZB und Fed mit dem Ausblick auf die Geldpolitik. Er betont, dass langsamere Zinserhöhungen nicht mit einem Ende des Zinserhöhungszyklus verwechselt werden sollten.

Explodierende Inflationsraten haben die Notenbanken der großen Industrieländer in diesem Jahr zu einem scharfen Kurswechsel gezwungen. Im Jahresverlauf addieren sich die Zinserhöhungen in den USA bisher auf 375 Basispunkte, im Euroraum auf 200 Basispunkte. Wenn sich die Notenbanker beider Zentralbanken diese Woche zu ihren letzten Treffen des Jahres zusammenfinden, werden sie ein weiteres Mal an der Zinsschraube drehen. Der US-Leitzins wird in der nächsten Woche aller Voraussicht nach um 50 Basispunkte erhöht. Das Zielband würde damit 4,25 bis 4,50 Prozent erreichen, das Tempo der Erhöhungen nach vier 75bp-Schritten erstmals vermindert. Die EZB gibt sich hinsichtlich der Schrittgröße noch etwas bedeckt, scheint das Tempo der Zinserhöhungen aber ebenfalls auf 50bp drosseln zu wollen. Damit würde der Einlagensatz der EZB zum Jahresende bei zwei Prozent, der Hauptrefinanzierungssatz bei 2,50 Prozent stehen. Langsamere Zinserhöhungen bedeuten jedoch nicht, dass der Zinserhöhungszyklus bereits zu Ende ist. Beide Notenbanken betonen derzeit, dass die aktuelle Inflationsentwicklung und das wirtschaftliche Umfeld keine Entwarnung geben. 

Die Märkte rechnen derzeit damit, dass der US-Leitzins im Laufe des zweiten Quartals 2023 bei knapp unter fünf Prozent seinen zyklischen Höhepunkt erreichen wird. Angesichts der hohen Inflation bleiben wir jedoch skeptisch, dass es damit getan sein wird. Der Rückgang der Inflationsrate dürfte sich in Europa merklich langsamer vollziehen als in den USA. Die Erzeugerpreise in der Eurozone sind im September 2022 noch um 41,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Hohe Erzeugerpreise überwälzen sich typischerweise zeitverzögert auf die Verbraucherpreise. Wir gehen daher momentan davon aus, dass der Einlagensatz der EZB im Laufe des nächsten Jahres auf über drei Prozent steigen wird.

Neben den Zinserhöhungen stehen andere Entscheidungen der europäischen Notenbank an, die oftmals übersehen werden, aber einen großen Einfluss auf die Finanzmärkte haben: Der EZB-Rat wird in diese Woche darüber entscheiden, wie die EZB ihre enorm hohen Anlagebestände zurückführen wird.  In den USA ist die Federal Reserve bereits dazu übergegangen, die stark gestiegenen Anleihebestände von zuletzt 8,3 Billionen US-Dollar Monat für Monat um 95 Mrd. US-Dollar abzubauen. Anders als die Fed bleibt die EZB bei der Reduzierung ihrer ebenfalls rekordhohen Anleihebestände weiterhin vage:  Es soll vorerst nur um die konzeptionelle Vorbereitung eines „Quantitative Tightenings“ (QT) gehen. Nach Ausführungen des Chefvolkswirts der EZB, Philip Lane, will die EZB wohl keine Verkäufe vornehmen, sondern die Bestände entsprechend der Fälligkeiten abschmelzen lassen. Wir erhoffen uns eine klarere Kommunikation der EZB dazu in dieser Woche. Der Grund für die Zurückhaltung der EZB bei der Reduzierung ihrer Anleihebestände ist offensichtlich, dass ein rascher Verkauf von Anleihen zu einer Renditeausweitung italienischer Anleihen und eine Belastung auch für andere hochverschuldete EU-Mitgliedstaaten werden könnte. Und an hochverschuldeten Staaten herrscht kein Mangel in der Eurozone. 

Steigende Zinsen und die Rückführung der Anlagebestände durch die Notenbanken sind zentrale Risiken für Eigentümer langlaufender Staatsanleihen. Die Zinsstrukturkurve steht bereits wieder auf dem Kopf: In den USA sind die 2-jährigen Zinsen mit rund 4,3% bereits deutlich höher als die 10-jährigen Zinsen in Höhe von rund 3,5 Prozent. Der Unterschied zwischen den 2-jährigen und den 10-jährigen Zinsen in den USA ist derzeit so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. In den letzten 50 Jahren war eine inverse Zinsstrukturkurve ein verlässlicher Indikator für eine Rezession. Die Marktteilnehmer wetten derzeit darauf, dass die Fed die Zinsen bereits ab Juni 2023 aufgrund der zu erwartenden Rezession wieder senken wird. Wenn sie sich da nicht täuschen: Fällt die Rezession in den USA – wie die Mehrzahl der Ökonomen derzeit erwartet – milde aus, dann werden die Leitzinsen in einem Stagflationsszenario länger hoch bleiben, als es die Märkte derzeit erwarten. 

Unsere Anlagepolitik bleibt klar: Wir halten die Duration weiter kurz, da wir von weiteren Leitzinserhöhungen durch die Zentralbanken ausgehen: „Don‘t fight the Fed“. Zudem investieren wir verstärkt in Unternehmensanleihen mit kurzen Laufzeiten, da diese bereits wieder interessante Renditen aufweisen. Unternehmensanleihen sind oftmals dann interessant, wenn eine Rezession begonnen hat, die Renditeaufschläge bereits stark gestiegen sind und mögliche Kreditausfälle bereits eingepreist sind. Das Jahr 2023 könnte zu einem interessanten Jahr werden für die Eigner von Unternehmensanleihen angesichts der zuletzt stark gestiegenen Renditeaufschläge.  Wo Risiken sind, da gibt es halt immer auch Chancen.

 

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