Silvia Dall’Angelo, Senior Economist bei Federated Hermes: 2021 wird das Jahr der wirtschaftlichen Erholung werden. Die entscheidende Frage lautet aber, wie diese Erholung verlaufen wird: kraftvoll und W-förmig angesichts mehrerer COVID-Wellen, schwach und L-förmig oder ungleichmäßig und somit K-förmig.
Charakter der Erholung
Die Dynamik und der Umfang der Erholung werden hauptsächlich der Maßnahmenpalette staatlicher Akteure sowie von der Frage abhängen, ob es am Arbeitsmarkt zu Hysterese-Effekten kommt. Falls für die breite Öffentlichkeit zu Beginn des kommenden Jahres ein Impfstoff verfügbar ist, wird der Fokus sowohl auf der Größe als auch der Art und Weise der Konjunkturpakete liegen. Sollten öffentliche Ausgaben Bereiche mit hohem Multiplikatoreffekt und strukturelle Elemente beinhalten, Infrastrukturausgaben und die Umschulung von Arbeitskräften, wird das zu einer Produktivitätssteigerung führen und sich erheblich und nachhaltig auf das Wachstum auswirken.
Quo vadis Geldpolitik?
Die Geldpolitik wird einstweilen extrem locker bleiben und zunehmend auf die Fiskalpolitik abgestimmt werden. Die Zentralbanken werden ihre bestehenden Ankaufpläne verlängern oder sogar ausweiten. So haben die drei großen Zentralbanken für das kommende Jahr bereits den Kauf zusätzlicher Vermögenswerte im Wert von 4,5 Billionen US-Dollar beschlossen.
Darüber hinaus werden sie sich intensiv dafür einsetzen, die Zinssätze niedrig zu halten – durch Forward Guidance und möglicherweise eine neu eingeführte Zinskurvenkontrolle –, was wiederum als Anker für eine langfristige Zinsentwicklung dient. Voraussichtlich werden sie ihre Mandate anpassen und verstärkt Ziele für eine Durchschnittsinflation im Stil der Fed übernehmen und/oder das Wachstum und die Arbeitsmarktentwicklung konkreter vorantreiben.
China schreitet voran
Geografisch wird die wirtschaftliche Erholung größtenteils synchron verlaufen, ähnlich wie die tiefe Rezession in diesem Jahr sämtliche Regionen betraf. Hierbei dürfte China – das erste betroffene Land – vorangehen. Synchronisierung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Koordination. Der Trend zu stärkerer Isolation und Regionalisierung wird sich wahrscheinlich fortsetzen und durch die Pandemie eher noch beschleunigt werden.
Doch es gibt auch Lichtblicke. Die Coronakrise könnte einen Prozess der kreativen Zerstörung auslösen, der sich folglich günstig auf die Produktivität auswirken könnte. So haben Unternehmen bereits innovative Wege gefunden, ihre Güter und Dienstleistungen bereitzustellen. Ein entscheidender Punkt ist zudem, dass die Krise als Impulsgeber für öffentliche Ausgaben und eine stärkere Zusammenarbeit der Währungs- und Finanzbehörden gewirkt hat.
Dieser neue Rahmen könnte, wenn er sich bei der Bewältigung der Pandemie als erfolgreich erweist, auch bei anderen dringlichen Problemen unserer Gegenwart – vor allem im Kampf gegen den Klimawandel –angewendet werden.
Herausforderung Klimapolitik
Eoin Murray, Head of Investment bei Federated Hermes: Dies ist möglicherweise der optimistischste Ausblick, den ich je verfasst habe. Und da er unmittelbar auf eine weltweite Pandemie folgt, bedarf er einer gründlichen Erklärung. Der designierte US-Präsident Joe Biden hat zugesagt, dem Pariser Klimaabkommen an seinem ersten Tag im Amt wieder beizutreten.
Dieses Umlenken in der US-Politik wird deutlich positive Auswirkungen auf die weltweiten klimapolitischen Bemühungen haben und die Grundlage für weitere Fortschritte im Jahr 2021 schaffen. Biden schlägt zudem ein Emissionsziel zum Erreichen von CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 für die USA vor.
Gemeinsam gegen den Klimawandel
Von den zehn größten Volkswirtschaften der Welt würden damit lediglich Indien und Brasilien ohne eine solche Selbstverpflichtung bleiben. In Zeiten, in denen unser Planet unter nie dagewesen Hitzewellen, Flächenbränden und Hurrikanen leidet, bereitet dieser Schritt die Basis für einen verstärkten globalen Kampf gegen den Klimawandel. Er sorgt für deutlich bessere Chancen, dass bei der vertagten UN-Klimakonferenz (COP 26) in Glasgow im kommenden Jahr bedeutsame Ergebnisse erzielt werden. Wobei ich für meinen Teil jedoch optimistischer bin, dass wir bei der Weltbiodiversitätskonferenz (CBD-COP 15) im kommenden März in China eine echte Beschleunigung des Reformtempos erleben werden.
Weitere Konjunkturpakete
Da wir die Pandemie noch nicht überwunden haben, dürften im nächsten Jahr voraussichtlich zu verschiedenen Zeitpunkten weitere Konjunkturpakete auf den Weg gebracht werden. Ich hege die Hoffnung, dass diese dazu beitragen, sich auf eine „neue Normalität“ zu fokussieren, in der Unternehmen all ihren Stakeholdern echte Wertschätzung entgegenbringen und entsprechend in Arbeitskräfte, Technologie und Nachhaltigkeit investieren. Der bisher erlittene wirtschaftliche Schaden ist groß und ein zweiter Rückfall in eine Rezession könnte ihn noch verschärfen.
Positiv bleibt jedoch festzuhalten, dass wir vermutlich nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen werden, unseren wirtschaftlichen Ansatz komplett zu überdenken. Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Stadterneuerung werden wahrscheinlich den größten Anteil haben, wenn wir uns auf eine Welt nach Corona zubewegen.
Umbau der Volkswirtschaften
Wirklich interessant ist dabei die Frage, wie Staaten – und auch Unternehmen – die Pläne für diese Umstellung finanzieren werden. Ich bin überzeugt, dass der Anteil grüner Anleihen am Gesamtemissionsvolumen im Jahr 2021 verglichen zu heute exponentiell zunehmen wird. Bei Staatsanleihen lässt sich bereits ein Trend zu grüner Finanzierung erkennen: So hat Großbritannien Pläne für die Emission seiner ersten grünen Anleihe bekannt gegeben und es ist die Rede davon, dass die USA unter Biden nachziehen könnten. Zudem gehen wir davon aus, dass Emittenten aller Art, von Staaten über Kommunen bis hin zu Unternehmen, auf Erfüllungsgarantien setzen werden.
Der Zinssatz dieser Instrumente ist an das Erreichen konkreter Dekarbonisierungsziele gekoppelt. Werden die entsprechenden Ergebnisse nicht erzielt, steigen die Zinsen und damit die an die Inhaber zu zahlenden Erträge. Im Gegenzug sinken die Auszahlungsbeträge, wenn Zwischenziele übertroffen werden. Anleger, die es wagen, diese Gelegenheit zu ergreifen, erhalten somit eine günstigere Finanzierungsquelle.